Rituale neu entdecken

Das ist kein Buch, das ist eine Reise. Emilia Handke und Meike Barnahl nehmen die Leserin mit ins pralle Leben mit all seinen Aufbrüchen, Höhenflügen, Umwegen und Abschieden. Die Autorinnen tun das, was Pfarrerinnen eben tun: Sie erkunden leidenschaftlich Lebensgeschichten. Sie tun es so meisterhaft, dass sich in ihren Texten eine ganze Kasualtheologie entfaltet, die sich in Geschichten erzählt. Immer wieder geht es auch um die eigenen Geschichten der beiden Autorinnen, um das, was sie trägt, berührt und antreibt.

Die Kraft der Rituale wird ausgelotet in all ihren Facetten. Uta und Ralph zum Beispiel haben ihren heiligen Moment erlebt. 31 Jahre haben sie darauf gewartet. Damals wollten sie am See heiraten, aber das wollte die Kirche nicht. 2022 fuhr dann ein Schiff unter dem Titel „A ship called love“ über die Alster und Menschen waren eingeladen, auf das Schiff zu kommen und sich trauen oder taufen zu lassen. Endlich konnten Ralph und Uta ihren heiligen Moment so feiern, wie sie es sich immer gewünscht hatten.

Auch von den ersten Drop-in-Taufen in Kopenhagen erzählt das Buch. 2017 ist die Idee dazu entstanden und seitdem haben sich mehrere hundert Menschen auf diese besondere Weise taufen lassen. Wer sich taufen lassen will, kann einfach in die Kirche kommen ohne Anmeldung. Jesper hatte bis vor Kurzem noch gar nicht gewusst, was ihm fehlt. Dann las er bei Facebook den Post zur Drop-in-Taufe, und ihm war klar: Das ist sein Moment, um sich taufen zu lassen. Genau jetzt. Genau so.

Neben Kasualien wie Taufe, Trauung oder Bestattung kommen in dem Buch auch ganz andere Ritualanlässe in den Blick. Der Umzug in eine neue Wohnung, der Abschied von dem Wunsch nach einem Kind, neue Rituale zum Erwachsenwerden oder eine Schiffstaufe. Das Buch zeigt die Weite des Kasualfeldes und vermittelt ein Gefühl dafür, wie angefüllt unsere Lebenswelt ist mit Anlässen, die Räume und Innehalten brauchen oder gefeiert werden sollten. Immer werden die Lesenden verlockt zum eigenen Tun durch kleine Anleitungen für Rituale, wie etwa ein Naturgang oder auch ein Vorschlag, wie man sein eigenes Zuhause segnen kann.

Ein Kapitel des Buches widmet sich einem Fuck-up-Ritual, eine Form, in der Teams miteinander das, was gescheitert ist, feiern und verabschieden können. Es ist das Team von St. Moment, das hier miteinander fröhlich das Scheitern feiert mit Luftschlangen und allem, was dazugehört. St. Moment ist die Ritualagentur, welche die beiden Autorinnen in Hamburg auf den Weg gebracht haben und die seither wie ein Brennglas das große Potenzial der individuell gestalteten Rituale für eine Kirche der Zukunft zeigt.

St. Moment ist mehr als ein Leuchtturm. Es ist der Knotenpunkt eines Netzwerks rund um die Kraft heiliger Momente, es ist Kirchenentwicklung im besten Sinne. Wie St. Moment kommt auch dieses Buch zur rechten Zeit. Inmitten einer Zeit der Ratlosigkeit und Abbrüche in der Kirche zeichnet es ein Bild einer Fülle, die nach Zukunft schmeckt. Die beiden Autorinnen sind überzeugt, dass die alten christlichen Rituale nichts an ihrer Kraft und Heiligkeit verloren haben und dass wir sie einfach nur anders erzählen müssen. Genau das tun Meike Barnahl und Emilia Handke auf ihrer Reise quer durch die Lebensgeschichten und heiligen Augenblicke.

Es gibt diese Bücher, die man liest und die wirklich einen Unterschied machen. Dieses ist so eins.

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Foto: Christian Lademann

Katharina Scholl

Dr. Katharina Scholl ist Studienleiterin am Evangelischen Studienseminar Hofgeismar. Zuvor war sie Gemeindepfarrerin in Hanau-Großauheim.


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