Aufarbeitung

Christen in der DDR

Kirchengeschichte macht im glücklichen Fall die kirchliche Gegenwart transparent. So tut es dieser Band, dessen 16 Beitragende die Militarisierung der DDR-Gesellschaft in ihrer kirchenpolitischen Dimension multidisziplinär ausleuchten. Unter dem SED-Regime, das – aller „antifaschistischen“ Friedensrhetorik, „progressive“ Straßen- und Kasernennamen inklusive, zum Hohn – von Anfang an eine Verfeindung, ja Hasserziehung betrieb und keinerlei Abweichung duldete, nahm die evangelische Kirche offiziell eine radikalpazifistische Position ein und erklärte die Kriegsdienstverweigerung zum besseren christlichen Zeugnis. Anders in der westdeutschen Republik, die der Verweigerung des Waffendienstes als bürgerlichem Grundrecht Verfassungsrang zusprach: Hier identifizierten sich Kirchenleitungen niemals mit fundamentalen Militärgegnern, sondern hielten die 1959 in den Heidelberger Thesen definierte Komplementarität von Militär- und zivilem Friedensdienst fest. Die auch als Ost-West-Differenz manifeste innere Spannung der evangelischen Friedensethik spiegelt immer noch unterschiedliche Staatserfahrungen des vergangenen Jahrhunderts.

Mit der Jugendweihe hatten sich in der DDR die Weichen gestellt. Obwohl unpopulär, gelang es der SED, die atheistische Ersatzzeremonie als regulären Passageritus gegen die Konfirmation zu etablieren. Die Protestanten unterlagen im gesellschaftlichen Loyalitätstest. Fortan agierten die Kirchen defensiv, schützten aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten Gewissensfreiräume junger Menschen. Den „Thüringer Weg“ einer – nach dem Exzess der dortigen „Deutschen Christen“ – neuerlichen Regimenähe der Kirchenleitung profiliert Mitherausgeber Spehr als regelrechten Politthriller; dieweil zeigt der Beitrag von Henning Pietzsch eindrucksvoll die Leistung der in dieser Kirche erbrachten Jugendarbeit. Wie einzelne Pfarrer es vermochten, zur Armee gepresste junge Männer seelsorglich zu stützen, hat sicherlich eine eigene ausführliche Studie verdient. Christiana Steiner präsentiert mit der offenen Jugendarbeit Walter Schillings ein Beispiel. Wie Heiner Bröckermann darlegt, war der statistisch zwar nur geringfügige antimilitaristische Widerstand den totalitären Staatsideologen stets schmerzhafter Dorn im Auge.

Kurz wird der die DDR unterschwellig prägende Antisemitismus behandelt. Opportune mentale Brücke zur NS-Vergangenheit, schuf er in „Antizionismus“ und „antiimperialistisch“ tönender Verteufelung des liberalen Staatsmodells Ideologeme, die bis heute Diskurse beeinflussen. In diesem Zusammenhang hätte das taktische Festhalten der DDR-Oberen an kompromittierten und neuerlich kollaborationswilligen Theologen wie Walter Grundmann breiter bedacht werden können.

Mit den Zeugen Jehovas schlägt Falk Bersch ein bitteres Kapitel der Kontinuität zwischen brauner und roter Diktatur auf. Spätestens hier verriet die SED jede Solidarität unter NS-Gegnern. Auf das Schicksal von Mennoniten und Katholiken gehen Bernhard Thiessen, Jörg Seiler und Roland Cerny-Werner ein.

Wichtig ist das Buch als Mythenzertrümmerer: Die DDR war kein moralisch integrer Friedensstaat, durchsetzte vielmehr schon lange vor Einführung des Wehrkundeunterrichts 1979 alle Pädagogik mit Elementen wehrpolitischer Abrichtung. Respekt vor persönlichem Gewissen kannte sie nicht. Die weitgehend kritiklose Fortdauer der Jugendweihe – einst Machtinstrument der SED – markiert somit bleibenden Aufarbeitungsbedarf.

Andere Rahmenbedingungen verlangen differenziertes Zugreifen auf die hier entfalteten Erfahrungen. Radikalpazifismus wird die überzeugende ethische Folgerung aus dem 20. Jahrhundert kaum sein können – wurde das NS-Regime doch einzig und allein militärisch beseitigt. Die Weigerung, sich dem Militarismus der DDR zu fügen, war hingegen fraglos ein imponierendes christliches Zeugnis jener, die der SED-Herrschaft ausgeliefert waren.

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