Erinnerungen

Über das Alter und das Sterben

"Ich habe nie das kleineste Anzeichen von Zuneigung, Liebe, gar Respekt bei meinen Eltern wahrgenommen.“ Es sind Sätze wie diese, die die Zuhörerin mit einem Federstrich in das Leben der Eltern ziehen. Der französische Philosoph Didier Eribon beleuchtet auch in seiner neuen autobiografischen Schrift Eine Arbeiterin seine Herkunft, im Besonderen das Leben seiner Mutter. Das fasst er allerdings gleich zu Anfang des Hörbuches mit dem Satz „Meine Mutter war ihr Leben lang unglücklich“ zusammen. Die ungekürzte vollständige Lesung beginnt mit dem Umzug seiner Mutter in ein Altenheim in Fismes unweit der nordfranzösischen Stadt Reims. Sicher, ein radikaler Einschnitt im Leben eines jeden Menschen, denn es ist kein Umzug wie jeder andere. Und doch holt Eribon vieles mehr unter der Oberfläche hervor.

Über die fast acht Stunden Hörbuch werden die Folgen dieses Schrittes und die Szenarien in der Pflege sehr mannigfaltig beschrieben, getragen von nur einer Sprecherstimme. Allein der Schauspieler Ulrich Matthes bestreitet die Aufnahme, in der er Eribon klar, nüchtern und unaufgeregt durch dieses Leben folgt. Aller beschriebenen katastrophalen Umstände zum Trotz.

Und wie auch schon in dessen Buch Rückkehr nach Reims bettet der französische Autor seine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen in seine soziologische und philosophische Lektüre, schneidet sie vielmehr dagegen. Simone de Beauvoir und Pierre Bourdieu sind neben vielen anderen seine Gewährsleute, mit denen er nicht nur die desaströse Situation in der Pflege, die gesellschaftliche Altersdiskriminierung, Scham und Einsamkeit beschreibt, sondern auch die Machtverhältnisse der Geschlechter in einen größeren politischen Kontext stellt.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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