Kompetent und kritisch

Johannes Rechenberger untersucht die Digitalisierung evangelischer Schulen
Johannes Rechenberger
Foto: Stefan Sauer

Wie verändert der Einsatz digitaler Medien den Unterricht und das Schulklima in evangelischen Schulen Mitteldeutschlands? Dieser Frage geht die Doktorarbeit Johannes Rechenbergers nach.

Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich in Oranienburg, nahe Berlin, wo meine Familie in der evangelischen Kirchengemeinde sehr engagiert ist. Die Junge Gemeinde und der Posaunenchor prägten mein Verständnis von Gemeinschaft und Zusammenhalt. Diese Erfahrungen motivierten mich, Theologie in Heidelberg und Greifswald zu studieren. Im Hauptstudium in Greifswald kam ich mit der Religionspädagogik in Berührung: Mich faszinierte besonders der Fokus auf die Medienpädagogik. Ich wurde Hilfskraft bei Roland Rosenstock, der den Lehrstuhl für Praktische Theologie, Religions- und Medienpädagogik innehat. Nach meinem Ersten Theologischen Examen bot er mir die Möglichkeit zur Promotion an.

Während der Corona-Zeit unterstützte ich das Dekanat der Theologischen Fakultät Greifswald dabei, das Lehrangebot auf digitale Formate umzustellen. So konnte ich erstmals digitale Bildungsarbeit aktiv mitgestalten. Nach dem Examen arbeitete ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Konzeption und Umsetzung der „Klassenzimmer der Zukunft“ an der Universität Greifswald. Sie stellen eine Umgebung für eine zukunftsorientierte Pädagogik mit Fokus auf den Erwerb digitalitätsbezogener Kompetenzen bereit.

In meinem Promotionsprojekt „Religiöse Bildung in einer Kultur der Digitalität“ (Arbeitstitel) erforsche ich die Auswirkungen digitaler Transformation auf evangelische Schulen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Mit diesem Fokus kann die Studie einen Einblick in die spezifischen Herausforderungen und Chancen von Bildungseinrichtungen in einer Region geben, die in der Forschung noch immer unterrepräsentiert ist. Die Studie kann dazu beitragen, die Bedürfnisse und Perspektiven ostdeutscher Bildungsarbeit besser einzuordnen und zu berücksichtigen. Sie basiert auf der breit rezipierten Annahme von Professor Felix Stalder, dass Digitalisierungsprozesse signifikante Effekte auf alle Lebensbereiche haben.

Mein Schwerpunkt liegt darauf, wie digitale Technologien Bildungseinrichtungen transformieren und wie diese Veränderungen das Lehren, Lernen und die Gemeinschaft an evangelischen Schulen beeinflussen. Ziel der Untersuchung ist, die „evangelische Schulkultur“ innerhalb der Rahmenbedingungen einer „Kultur der Digitalität“ zu verorten. Für diese Untersuchung arbeite ich mit der Evangelischen Schulstiftung in Mitteldeutschland St. Johannes zusammen.

Diese Kooperation eröffnete mir die Möglichkeit, durch Interviews qualitative Daten zu erheben. So besuchte ich verschiedene Schulen der Schulstiftung, um Schulleitungen, Lehrkräfte sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu befragen. In den Interviews sammelte ich Daten darüber, wie die Werte evangelischer Schulen deren pädagogische Praxis und das Schulleben prägen. Zudem erfasste ich den Einsatz digitaler Medien an den Schulen, einschließlich der notwendigen Kompetenzen und spezifischen Strategien, sowie persönliche Erfahrungen und Empfehlungen zum Einsatz digitaler Medien in Bildungseinrichtungen. Die Befragung ist abgeschlossen, und ich befinde mich in der Phase der Datenauswertung. Anschließend sollen die Ergebnisse durch quantitative Forschungsmethoden an einer repräsentativen Stichprobe der Schulstiftung validiert werden. Die bisherigen Ergebnisse verdeutlichen, dass die Pädagogik im Fokus aller Befragten steht: Digitale Werkzeuge, Lern-Apps und interaktive Lernelemente sind entscheidend, da sie das Engagement der Schülerinnen und Schüler erhöhen und ein schnelles Feedback ermöglichen. Das Erstellen von Podcasts und Videos fördert nicht nur die aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an ihrem eigenen Lernprozess, sondern stärkt auch deren Medienkompetenz und unterstützt eine kritische Auseinandersetzung mit digitalen Medien.

Zudem verändert sich die Rolle der Lehrkraft: Sie steht nicht mehr nur als Wissensvermittlerin vor der Klasse, sondern moderiert die Lernprozesse und arbeitet gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern an für sie relevanten Fragestellungen. Diese Dynamik wandelt das traditionelle Gegenüber im Klassenzimmer in ein kooperatives Miteinander. Und die ersten Ergebnisse zeigen auch, dass der Religionsunterricht keineswegs eine Ausnahme darstellt, sondern wertvolle Perspektiven bezüglich der Auswirkungen von Technologien auf unser Leben bietet. Beispielsweise bietet er Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Bereichen wie Medizin, autonomen Fahrzeugen und sozialen Medien zu reflektieren. Dabei stehen Verantwortung und Gerechtigkeit im Mittelpunkt der Diskussionen. Dies fördert ein tieferes Verständnis der sozialen und ethischen Dimensionen der Digitalität und hilft den Schülerinnen und Schülern, ein kritisches Denkvermögen zu entwickeln.

Für den Sozialraum Schule ist digitale Teilhabe entscheidend, um ein inklusives und interaktives Lernumfeld zu schaffen, das allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft zugänglich ist. Der reflektierte Einsatz digitaler Medien fördert nicht nur eine Kultur der Verantwortlichkeit. Er bildet auch die Grundlage dafür, dass Schülerinnen und Schüler als digitale Bürgerinnen und Bürger in einer vernetzten Welt handlungsfähig sind.

Wenn Schulen den Umgang mit digitalen Medien nicht aktiv gestalten oder nur durch Verbote regulieren, wird ihnen die Möglichkeit genommen, in einer sicheren Umgebung digitale Medien zu erkunden. Insbesondere die Gruppe der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter schildert eindrücklich, dass Handyverbote weder bei Schülerinnen und Schülern noch bei Pädagoginnen und Pädagogen einen positiven Effekt auf die Schulgemeinschaft haben. Probleme wie Mobbing werden eher verschärft, wenn die Schülerinnen und Schüler nicht die Gelegenheit erhalten, den verantwortungsvollen Umgang mit sozialen Medien zu erlernen.

Positive Effekte hingegen entstehen, wenn in Projekten und im Unterricht digitales Handeln gezielt reflektiert werden kann. Entscheidend ist dabei eine Pädagogik, die digitale Medien als integralen Bestandteil des Lernprozesses versteht und aktiv nutzt, ohne dass pädagogische Prinzipien unterminiert werden.

Mit diesem wachsenden Verständnis für die digitale Transformation der Bildung und dem Ziel, meine Doktorarbeit im Frühjahr nächsten Jahres abzuschließen, blicke ich gespannt in die Zukunft – offen für vielfältige berufliche Möglichkeiten, sei es in der Universität oder im Pfarramt. 

 

Aufgezeichnet von Jürgen Wandel

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Foto: Stefan Sauer

Johannes Rechenberger

Johannes Rechenberger ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Universität Greifswald.


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