Konsequente Sicht

Zum 100. Todestag Franz Kafkas

Durch die Vortragskunst Frank Arnolds wird Rüdiger Safranskis Kafka-Essay zu einem anregenden Diskussionsangebot. Der Untertitel „Um sein Leben schreiben“ gibt Safranskis Intention präzis wieder: Kafka kann nicht leben, ohne zu schreiben. Im Schreiben strömt ihm Lebenskraft zu. Aber wenn er sich, um schreiben zu können, dem Leben entzieht, macht er sich schuldig am Leben. Und wenn er Zeit „vergeudet“, die er zum Schreiben nutzen könnte, macht er sich an der Bestimmung seines Lebens, am Schreiben, schuldig. Die Schuldfrage spielt immer eine Rolle.

Diesen Zwiespalt anhand von Selbstzeugnissen Kafkas und von zeitgenössischen Aussagen herauszuarbeiten, das gelingt Safranski eindrucksvoll. An Kafkas Schreiben-Müssen scheitern mehrere Liebesbeziehungen. Er sucht Gemeinschaft mit Frauen, fürchtet aber zugleich die Einschränkungen, die ein gemeinsames Leben für seine Arbeit bedeuten würde. Erst gegen Ende seines Lebens kann er in Anwesenheit einer Geliebten schreiben, muss er sich nicht mehr fast zwanghaft zurückziehen.

In dem Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach Gemeinschaft und dem unbedingten Verlangen zu schreiben, sieht Safranski das Grundproblem von Kafkas Leben. Daneben behandelt er seine prekäre Existenz als Jude, seine Angst vor Sexualität. Höhepunkte sind die Interpretationen der Erzählungen „Die Verwandlung“ und „Das Urteil“.

Man muss Safranski nicht in allen Ansichten zustimmen. Aber seine konsequente Sicht regt nicht nur zum Nachdenken und zum Lesen von Kafkas Texten an, sondern vermittelt grundsätzliche Einsichten zu dessen Werk und zu den Bedingungen künstlerischer Existenz.

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