Auf den Punkt

Comet Gain: Radio Sessions

Das Schöne an der Erbsündenlehre ist, dass man seine Unschuld eigentlich gar nicht verlieren kann. Biografisch sieht das natürlich anders aus, heißt da indes Ernüchterung und ist ein lebenslanger Prozess. Dazu gilt es, Haltung zu finden. Bewegung ist eh genug drin, bis der letzte Würfel fällt. Comet Gain mit ihrem bezaubernden Garage Pop sind der illusionslos idealistische Anwendungsfall: „A record changed my life“, singt Mastermind David Fleck in Tighten Up. In diese Kerbe hauen sie auch. Nach den 15 Songs der BBC-Sessions am Stück hat man es längst zu glauben begonnen und ist bekehrungsoffen.

Comet Gain seien eine der meist unterschätzten UK-Indiebands, befand mal ein Kollege. Von Erfolg unbehelligt haben sie sich seit 1992 mit wechselnden Besetzungen Kultstatus erspielt. After Midnite, after it’s all gone wrong („After I‘m gone, after I’m gone / Don’t forsake the memory ache / It‘s just the memory ache“) darf als emblematisch gelten: Hier tanzt der Bär, zwar ohne Honig, jedoch unverdrossen. Bis zur Neige geschlürfter Postpunk, Northern Soul und Faible für Swell Maps und Orange Juice sind die Inspirationen für ihre Credo-Sätze wie „believe in art / believe in yourself / contradict yourself“ oder „Dreams never end“. Traurigkeit ist bloß ein Kollateralschaden – wie im richtigen Leben –, aber schlägt nie auf die Stimmung. Die ist ausgelassen, von der SciFi-Gitarrenabfahrt Working Circle Explosive! mit augenzwinkernden Soli, herrlichen Keyboard-Akzenten und taffer Frauenstimme, Shout-Beatnik-Punk (Chain Smoking) und Lounge-Psychedelic (I can’t believe) bis hin zu der souligen, Sixties-getauften Girlpop-Ballade Emotion Pictures: „He fell in love with the girl of the tragedy“ – da ist es zum „broken angel“ nicht weit. Getragen schmachtend, aber doch sehr erwachsene, weil sinistre Abrechnung mit Movie-Beziehungskonzepten. Sie haben es faustdick, meinen es nie böse, sie sind bloß lebensfroh. Ruppig folgt darauf Tighten Up. Fleck deklamiert („I’m nobody but myself“), verzerrte Gitarren sind von der Kette, und das Key pumpt orgelig zum HuHu-Chorgesang. Das folgende Young Lions hat ähnlich viel Punch. Diese drei waren 2008 bereits auf ihrer Compilation Broken Record Prayers enthalten und stammen von der dritten John-Peel-Session 1997. 1996 lud er sie zweimal ein, Marc Riley dann 2011. Sessions, mit denen das Hamburger Tapete-Label erneut gutes Händchen beweist (siehe zz 8/2023).

Wer Comet Gain noch nicht kannte, mag sie nun nicht mehr missen, auch wegen der begeisternden Lust am Detail. Es passiert viel, aber immer auf den Punkt, nie überladen. Wer in Stripped etwa vom mädchenhaften Gesang eingelullt beim Anziehen der Gitarre die Eruption erwartet, wird stattdessen vom einsetzenden Dub-Bass aufs Feinste in die Arme genommen. Sie seien „chaotisch, süß und angetrunken“, urteilt liebevoll ein Ex-Mitstreiter. Das ist schön gesagt. Und gültig.

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