"Was hat es mit Israel auf sich, dass so viele glauben, was unmöglich wahr sein kann“, heißt es, angelehnt an George Orwells Antisemitismus-Aufsatz von 1945 im Vorwort zur deutschen Israelphobie-Ausgabe. Geschrieben hat es der Autor, Journalist und Jewish Chronicle-Herausgeber Jake Wallis Simons vierzig Tage nach dem Hamas-Pogrom vom 7. Oktober. Da hatte es vor Beginn der IDF-Offensive schon Palästina-Demos, Freudenfeiern sowie Markierungen mit Davidstern an Wohnungen von Juden gegeben. Einen Monat davor ist das Original erschienen und darum auf ähnliche, aber vom 7. Oktober unabhängige Aktionen fokussiert, die – von sich links-progressiv Wähnenden getragen – damit indes in einer Reihe stehen. Böse ist für sie stets Israel.
Simons fragt in seiner Philippika, wie das sein kann. Schließlich sei Israel im Nahen Osten die einzige funktionierende Demokratie und Freiheitsrechten für Homosexuelle oder andere Minderheiten verpflichtet, nur eben seit 1948 im Überlebenskampf. Er rekonstruiert, wie trotz schlagender historischer wie politischer Evidenz für das Gegenteil die angeblich ja ähnlichen Werten folgende Linke im Westen und vor allem in Großbritannien dazu kommt, Israel derart zu dämonisieren. Zentral sei die Behauptung, dass der Staat von vornherein ein kolonialistisches, imperialistisches Projekt „Weißer“ gewesen sei – vom „Weltjudentum“ der Banker und Strippenzieher unterstützt. Ein Mix aus Verschwörungstheorien und Geschichtsfälschung, der das J-Wort meidet und auf das Z-Wort (Zionist) setzt, um dem Antisemitismus-Verdacht zu entgehen. Dann lasse sich im Duktus des Postkolonialismus-Diskurses aber eben doch eindeutig das Opfer benennen und auf den Judenstaat einprügeln: mit From the river to the sea-Deklamationen, die letztlich auf einen finalen 7. Oktober hinauslaufen.
Neu ist dem Kundigen, wie wirkmächtig die in „Dritter Welt“ und bei westlichen Linken lange mit viel Aufwand betriebene Sowjet-Propaganda beim Implementieren solcher bis heute nachgekauter Slogans und Bilder war: Das reicht vom Apartheidsstaat bis zum Geld- und Knüppeljuden als „Nazi-Pig“ der Kasseler documenta. Traditionsgeschichtlich triftig zeigt Simons auf: „Die Entwicklung vom mittelalterlichen Antijudaismus zum Rassenantisemitismus der Nazis, zur sowjetischen Desinformation und zur modernen Israelphobie ist offensichtlich.“ Sein Buch ist mit Furor und Sorge geschrieben. Er betont dabei, dass Kritik an Israels Politik keineswegs tabu, vielmehr nötig ist. Die eliminatorische Tendenz der Israelphobie stellt er indes nachdrücklich heraus. Im Verteidigen von Israels Existenzrecht hätte er es jedoch besser bei völkerrechtlichen sowie historischen Argumenten belassen. Sein Ausgriff auf biblische Zeiten wirkt eher wie ein Fingernagel auf der Kreidetafel. Jean Amérys schmerzvolle, nach 1967 geschriebene Essays zur jungen Linken und deren Antizionismus, bei Cotta gerade frisch wiederveröffentlicht und bestürzend aktuell, sind da viel luzider.
Améry, den erst Nürnberger Rassegesetze, die Tortur und Auschwitz unentrinnbar zum Juden machten, schreibt lapidar: „Jeder Jude hat durch das Bestehen dieses Staates eine neue Identität gewonnen, auch, wenn er sich überhaupt nicht als wesentlich jüdisch bestimmt fühlt. Er weiß, dass er, solange Israel besteht, nicht noch einmal unter schweigender Zustimmung der ungastlichen Wirtsvölker, günstigstenfalls unter deren unverbindlichem Bedauern, in den Feuerofen gesteckt werden kann.“
Israelphobie ist ein höchst anregender Beitrag, der dem grassierenden, historisch horrend uninformierten Palästina-Aktivismus gehörig die Maske zerknittert und ihn als antisemitisch entlarvt. Ein Einwand gegen das Buch, selbstredend bloß unter Gleichgesinnten geäußert, lässt sich jedoch bereits erahnen: Simons sei zwar Brite, aber schließlich eben doch auch Jude …
Udo Feist
Udo Feist lebt in Dortmund, ist Autor, Theologe und stellt regelmäßig neue Musik vor.