Bitter aktuell

Cohen im Sinai

Da „war dieser Jude, der über eine Gitarre gebeugt saß und leise für uns spielte“, erzählt der greise Patzi. „Ich fragte, wer er sei, und jemand sagte, er käme aus Kanada oder Gott weiß woher, ein Jude, der gekommen sei, um die Stimmung der Kämpfer zu heben. Es war Leonard Cohen. Seitdem hat er einen Platz in meinem Herzen.“ Patzi war 1973 Feldkommandeur, seine Einheit berüchtigt – ein Haudegen, einer von „denen, die Kriege für dich gewinnen. Und die dich davor bewahren, zu wissen, was das bedeutet“, erinnert sich ein Soldat. Cohen spielte nach einem Gefecht am Suez-Kanal: „Ein Stahlhelm auf dem Sand. Auf dem Helm sitzt eine Gestalt mit Gitarre und singt Lover Lover Lover.“ Im Text heißt es weiter: „come back to me“.

Es ist der einzige Song, den der damals 39-jährige Cohen im Jom-Kippur-Krieg schrieb. Am Schabbat der Schabbate, dem Versöhnungstag, hatten Ägypten und Syrien Israel überfallen. Der Dichter und Sänger flog spontan hin und beendete dann alle Konzerte der seltsamsten Tour seiner Karriere mit „Lover Lover Lover“. Mit vielen der damals jungen Frauen und Männer, die eines der improvisierten Frontkonzerte erlebten, hat der kanadisch-israelische Autor und Journalist Matti Friedman gesprochen. Teils bedrückende Erinnerungen montiert er zu einem stimmungsdichten Bild jener Wochen. Sand und Waffenfett schmeckt man ebenso wie Angst und Tod: die seelisch zerzauste Bühne für Cohens ruhige melancholische Songs wie „So Long Marianne“, „Bird on the Wire“ oder „Suzanne“. Er sagte später darüber: „Ich bin gekommen, um sie aufzumuntern, und sie haben mich aufgemuntert.“

Dass er überhaupt kam, wird ihm in Israel bis heute hoch angerechnet. Es war allerdings auch eine Flucht: vor einer Schaffenskrise und nicht zuletzt vor der Familienenge mit Suzanne und Baby Adam auf der griechischen Insel Hydra. Nicht mal eine Gitarre hatte er dabei, als er in Tel Aviv landete und mit anderen Musikern an die Front zog. Friedman verbindet beide Aspekte und zitiert bisher unveröffentlichtes Material, das er in Archiven fand – Cohens Tagebuch der Zeit und einen Text zum Krieg. Bereits dies wäre eine Story. Weil er kaum darüber sprach, bleibt Cohens Tripp in relevanten Biografien wie „Various Positions“ von Ira B. Nadel oder Silvie Simmons’ „I’m Your Man“ bloße Randnotiz – Simmons unterstellt dem Spross einer jüdischen Familie aus Montreal unerfindlicherweise gar, er habe kämpfen wollen.

Inspiriert, gründlich und werkvertraut gräbt Friedman indes noch tiefer, indem er markante Cohen-Songs hinzunimmt. Eingebettet in Szenen aus diesem Überlebenskrieg zeichnet er so ein spirituelles Portrait, das zwischen dem Mann und dem Künstler zwar sorgsam unterscheidet, aber den Kern seiner Jüdischkeit dennoch nachvollziehbar einkreisen kann. Neben „Story of Isaac“ ist es vor allem das unmittelbar nach dem Krieg begonnene „Who by Fire“. Der Song nimmt ein mittelalterliches Gedicht auf, das mit seiner Liste absehbarer Todesarten für die aschkenasische Jom-Kippur-Liturgie so zentral ist wie das Buch Jona mit dessen verweigertem Hineni („hier bin ich“) und der aaronitische Segen. Ihn hat Cohen bei seinem letzten Israel-Auftritt 2009 dem Publikum selbst gespendet. You want it darker, kurz vor seinem Tod 2016 eingespielt, macht den Deutungsbogen rund – eine Annäherung, die weit über den „verschmitzten Kavalier mit Filzhut“ seiner späten Jahre hinausgeht, den viele in Erinnerung behalten haben.

Dass er gegen Kriege war, Pazifismus aber ablehnte, passt ebenso ins Bild wie das Detail, dass Cohen sich im Krieg durchweg mit seinem hebräischen Namen Eliezer (Gott ist Hilfe) anreden ließ.

Für Cohen-Fans ist das gut geschriebene Buch ein Muss, für andere mindestens anregender Genuss. Dass es zum 50. Jahrestag jenes Krieges erschien, den die Hamas gezielt als Datum für ihr abscheuliches Pogrom wählte, macht diese intensive Studie über Identität und Loyalität zudem bitter aktuell.

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