Loslassen

Über die Kirche der Zukunft

Dies ist ein Buch für alle, die die Kirche noch nicht aufgegeben haben. Denn anders als Tilmann Haberer sieht Theresa Brückner, geboren 1986, Pfarrerin in Berlin, Kirche nicht am Ende, wohl aber in einem „gewaltigen Umbruch“, den sie annehmen und akzeptieren muss: „Es ist sowie es ist – und es wird noch krasser!“ Deshalb gelte es, Abschied zu nehmen von vollen Kirchen, von hohen Tauf- und Konfirmand:innen-Zahlen und von der Hoffnung, viel mehr Ehrenamtliche zu finden. Doch: „Auch wenn sich Kirche verändert, bleibt Gott da.“ Und: „Es ist die Aufgabe meiner und nachfolgender Generationen, in den kommenden 30 Jahren den kirchlichen Strukturwandel zu gestalten.“

In sieben Kapiteln beschreibt Brückner dem Titel des Buches entsprechend, was die Kirche der Zukunft loslassen und Neues ausprobieren sollte. Sehr stark dabei die Idee, mit einem Satz zu beginnen, der ihr in der kirchlichen Welt gesagt wurde und zeigt, wo destruktive Behaarungskräfte wirken: „Sie arrogantes junges Ding haben doch keine Ahnung, wie das in der Kirche läuft“, „Das haben wir schon immer so gemacht“, „Sie müssen schon öfter im Seniorenheim den Gottesdienst machen, das freut die alten Männer so“ oder „Das Internet ist auch nur eine Modeerscheinung, die sich nicht durchsetzt“. Das sind Sätze, mit denen junge Menschen ruhiggestellt, Traditionen totgepflegt, Frauen diskriminiert oder sich verändernde Lebenswirklichkeiten ignoriert werden. Hinzu kommen noch die Themen ständige Überlastung des Pfarrpersonals, sexualisierte Gewalt („Das war doch nur ein Witz“) und Mut zur ästhetischen Vielfalt. Den oft verletzenden Sätzen zu Beginn setzt Brückner positive Beschreibungen der zukünftigen Kirche entgegen und nennt konkrete Beispiele ihrer Umsetzung in der kirchlichen Welt.

Dass für die „Pfarrerin für Kirche im digitalen Raum“ dabei die digitale Kirche eine wichtige Rolle spielt, überrascht nicht. Schon eher der innerkirchliche Neid und Frust, mit dem ihr und ihrer Arbeit begegnet wird. Gerade die leitenden Personen der mittleren Ebene lehnten das „Neuland“ ab, statt die Pionierarbeit zu unterstützen. Demgegenüber stehen ihre positiven Erfahrungen bei Online-Gottesdiensten unter dem Titel „Brot und Liebe“ oder auf Social-Media unter „theresaliebt“. Dem Vorwurf, dass ihre Posts dort zu oberflächlich, eitel und ohne Inhalt seien, begegnet sie damit, dass auch der Post über ein entspannendes Bad am Abend etwas über Achtsamkeit und Selbstsorge vermittle, und der über Freude am neuen Outfit dazu aufruft, sich darüber zu freuen, wie wunderbar Gott uns erschaffen hat. Das überzeugt theologisch den gestandenen Protestanten vielleicht nicht immer, ist aber gewiss niederschwelliger und einladender als so mancher klassische Sonntagsgottesdienst.

Wer Brückner an dieser Stelle Beliebigkeit vorwirft, verkennt, dass sie sehr konzeptuell arbeitet. Sie verfolgt den NABC-Ansatz, der eigentlich für Innovationen in der Geschäftswelt entwickelt wurde. Die Buchstaben stehen dabei für „Needs“ (Bedürfnisse), „Approach“ (Ansatz), „Benefit“ (Nutzen) und „Competition“ (Wettbewerb). Übertragen auf die kirchliche Arbeit bedeutet das: Was brauchen die Menschen wirklich? Wie reagieren wir darauf? Was bringt unser Angebot den Menschen und der Kirche? Und was macht es einzigartig? Klingt einfach, ist aber für viele Theolog:innen, die streng von der biblischen Botschaft ausgehen und diese an den Menschen bringen wollen, ein noch immer schwer nachzuvollziehender Perspektivwechsel. Doch nach der Lektüre dieses auch für Nicht-Theolog:innen gut verständlich geschriebenen Buchs wird erneut deutlich: Er wird nötig sein, damit die Kirche tatsächlich noch eine Zukunft hat.

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Foto: Rolf Zöllner

Stephan Kosch

Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen". 


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