Als Klopstock die Theologen entzweite

Sein Versepos „Messias“ diente als wichtige erbauliche Lektüre. Fast so wichtig wie die Bibel
Portraitbild eines Mannes mit Halbglatze
Foto: akg-images
So hat Johann Heinrich Tischbein (1751–1829) Friedrich Gottlieb Klopstock 1790 gemalt.

Friedrich Gottlieb Klopstock arbeitete über Jahrzehnte an seinem christlichen Versepos „Messias“, aber auch  an religiösen Oden und Geistlichen Gesängen für den praktischen Gebrauch im Gottes­dienst. Über Leben und Werk des großen evangelischen Dichters des 18. Jahrhunderts berichtet aus Anlass dessen 300. Geburtstags Kai Kauffmann, Professor für Germanistische Literatur­wissen­schaft an der Universität Bielefeld.

An Sendungsbewusstsein fehlte es ihm schon in jungen Jahren nicht. Als Friedrich Gottlieb Klopstock, der in der sächsischen Fürstenschule Pforta bei Naumburg auf das Theologiestudium vorbereitet worden war, dort 1745 seine Abschiedsrede hielt, verkündete er das Programm einer epischen Dichtung. Sie sollte nicht nur Homer und Vergil, sondern auch Torquato Tassos „Befreites Jerusalem“ und John Miltons „Verlorenes Paradies“ übertreffen. Offenbar plante er schon damals, die in den Evangelien des Neuen Testaments niedergeschriebene Heilsgeschichte Christi in Form eines großen Versepos dichterisch auszugestalten. Damit wollte er den höchsten Gipfel der „heiligen Poesie“ ersteigen und seinem dann nicht mehr überbietbaren Werk eine ewige Bedeutung für die gesamte Christenheit verschaffen. Während des anschließenden Theologiestudiums in Jena und Leipzig arbeitete er an den ersten drei Gesängen des „Messias“, die 1748 im Druck erschienen: Sie beginnen mit den Worten:

Sing, unsterbliche Seele, 
der sündigen Menschen Erlösung,

Die der Messias auf Erden 
in seiner Menschheit vollendet,

Und durch die er Adams Geschlechte 
die Liebe der Gottheit

Mit dem Blute des heiligen Bundes 
von neuem geschenkt hat.

Also geschah des Ewigen Wille. 
Vergebens erhub sich

Satan wider den göttlichen Sohn; 
umsonst stand Judäa

Wider ihn auf; er thats, 
und vollbrachte die grosse Versöhnung.

Die Veröffentlichung der Gesänge machte den 24-jährigen Autor schlagartig bekannt. Das Werk wurde begeistert gelesen, aber auch kontrovers diskutiert. Vor allem bei protestantischen Theologen stieß es auf Kritik. Aus dogmatischer Sicht musste es höchst bedenklich erscheinen, dass sich Klopstock mit der Dichtung des „Messias“ in Konkurrenz zur Heiligen Schrift der Bibel begab, die Luther als Medium der Offenbarung absolut gesetzt hatte (sola scriptura). Durfte ein Dichter von den heiligen Worten der Bibel abweichen? Durfte er die einzig wahren Berichte der Evangelisten über das Leben und Sterben Christi durch von ihm frei erfundene Figuren und Episoden ergänzen?

Das waren dogmatische Fragen von prinzipieller Bedeutung. Einwände konkreter Art erhoben sich gegen die Figur des „reuigen Teufels“ Abbadona, bei dem Klopstock zu Beginn des Versepos die Möglichkeit eröffnete, dass er gegen Ende im Jüngsten Gericht begnadigt werden könnte. Folgte Klopstock damit der Lehre des alexandrinischen Bibelexegeten Origines von der Apokastastis Panton, der Wiederbringung aller Wesen? Diese Lehre galt seit dem 2. Konzil von Konstantinopel als Häresie.

Bezeichnend war die ambivalente Haltung, die ein Diakon aus Winterthur in dieser Frage einnahm: „Der Teufel Abaddonaah ist eine recht glükliche und reizende fiction: mich wundert nur was zulezt orthodoxe mit ihm werde werden können? Muß er in der Helle bleiben so deucht mich er werde auch wieder zu einem wahren Teufel müßen gemacht werden: denn jezt redet er wie ein bußfertiger Sünder […] Kommt er aber heraus so können wirs Theologi nicht gelten laßen.“ Zur Lösung dieses Dilemmas empfahl ein anderer Theologe, Klopstock solle den reumütigen Teufel durch einen erlösungsbedürftigen Menschen ersetzen.

Anrührende Figur

Die meisten Leserinnen und Leser störten sich an der Figur des Abadonna jedoch nicht, ganz im Gegenteil. Für sie steigerte gerade diese anrührende Figur den Reiz der insgesamt auf die Erregung starker Empfindungen und Gefühle abzielenden Konzeption des „Messias“: Durch die empfindsame Erzählung vom stellvertretenden Leiden Christi, bei der sogar die Teufel zu Zeugen seiner heilsgeschichtlichen Bedeutung werden, sollten die Menschen emotional bewegt und so in ihrem christlichen Glauben bestärkt werden. Tatsächlich diente der „Messias“ im 18. Jahrhundert vielfach als erbauliche Lektüre, die neben das Studium der Bibel trat.

Klopstock war mehr als ein Vierteljahrhundert mit seinem Hauptwerk beschäftigt, bis die zwanzig Gesänge des „Messias“ vollständig vorlagen. In der kurzen Zeit seiner von 1754 bis 1758 dauernden Ehe mit Meta Moller schrieb er Vers um Vers, während sie, neben ihm sitzend, für den Fortgang des Werkes betete. Meta berichtete in einem Brief: „Er arbeitet nie daran, daß ich nicht unterdeß bete, daß Gott die Arbeit u die Erbauung segnen möge, u mein Kl, der Beste! er arbeitet immer mit Thränen in den Augen.“

Aber ihre Unterstützung beschränkte sich nicht auf den religiösen Zuspruch. Sie war für Klopstock auch zu einer literaturkritischen Instanz geworden, die seine soeben entstandenen Verse anhörte und Verbesserungen anregte. Ihr früher Tod – sie starb wie so viele Frauen damals im Kindbett – war für Klopstock ein Schock, der seine Arbeit am „Messias“ einige Jahre lang zum Erliegen brachte. Erst 1773 lag das gesamte Versepos in vier Bänden vor. Allerdings hatte der „Messias“ zu diesem Zeitpunkt bereits den Höhepunkt seiner Beliebtheit beim Lesepublikum überschritten.

In den Vordergrund traten nun die Oden Klopstocks, die er 1771 in einer Sammelausgabe veröffentlichte. Die erste Abteilung dieses Gedichtbands war überwiegend durch die Empfindungen des Glaubens bestimmt. Hier fand sich unter anderem die große Ode, die unter dem Titel „Die Frühlingsfeier“ bis heute berühmt ist und auch als literaturgeschichtlich bedeutsame Einführung freier Rhythmen in die Versformen der deutschsprachigen Dichtung gilt.

Erregung der Seele

Die zahlreichen Strophen dieser Ode schildern das Naturgeschehen eines Gewitters. In seinem Verlauf wird das lyrische Ich so erregt, dass es nur noch stoßweise zu sprechen vermag. Die Erregung der Seele und die Bewegung der Worte erreichen ihre Klimax, wenn das Ich das Gewitter als Offenbarung Jehovas erfährt, wenn die Donnerschläge gleichsam zur Sprache des allmächtigen Gottes werden. In der ursprünglichen Fassung der Ode aus dem Jahr 1759 lauten die letzten Strophen:

Seht ihr den neuen Zeugen des Nahen,

Seht ihr den fliegenden Blitz?

Hört ihr, hoch in den Wolken, 
den Donner des Herrn?

Er ruft Jehova!

Jehova!

Jehova!

Und der gesplitterte Wald dampft!

Aber nicht unsre Hütte!

Unser Vater gebot

Seinem Verderber

Vor unsrer Hütte vorüberzugehn!

Ach schon rauschet, schon rauschet

Himmel und Erde vom gnädigen Regen!

Nun ist, wie dürstete sie! Die Erd’ erquickt,

Und der Himmel der Fülle des Seegens entladen!

Siehe, nun kömmt Jehova 
nicht mehr im Wetter!

Im stillen, sanften Säuseln

Kömmt Jehova!

Und unter ihm neigt sich 
der Bogen des Friedens.

Mit dem Abklingen des Gewitters beruhigt sich auch der Ausdruck der Gefühle in der Bewegung der Worte. Die Ode endet mit einem Himmel und Erde verbindenden Regenbogen, dem zur Ruhe gekommenen Bild des Friedens. So deutete Klopstock das Gewitter, das im Alten Testament ein Zeichen für Gottes Zorn ist, im Sinne des Neuen Testaments als Zeichen seiner Gnade, der schließlich erfolgten Versöhnung mit dem Menschen um.

Auf diese Ode spielte Goethe in „Die Leiden des jungen Werthers“ an, wenn er Lotte in der Gewitterszene des Romans ausrufen lässt: „Klopstock!“ Die damaligen Leserinnen und Leser, denen die Ode aus dem nur drei Jahre zuvor erschienenen Gedichtband noch vor Augen stand und in den Ohren klang, haben sich vielleicht gefragt, ob die für Klopstock entscheidende Deutung des Gewitters als Offenbarung Gottes noch in Goethes Roman hineinspielte oder ob die dort beschriebenen Empfindungen der Natur nicht auf ein Ich- und All-Gefühl im Sinne eines innerweltlichen Pantheismus hinausliefen.

Zwischen 1751 und 1770 lebte Klopstock größtenteils in Kopenhagen. Er hatte vom dänischen König Friedrich V. eine jährliche Pension erhalten, um ohne die Belastung einer beruflichen Tätigkeit den „Messias“ vollenden zu können. Pa­rallel zu der Arbeit an seinem christlichen Versepos und an religiösen Oden wie „Der Frühlingsfeier“ dichtete er in dieser Zeit auch eine größere Anzahl von Geistlichen Gesängen für den praktischen Gebrauch im evangelischen Gottesdienst.

Kirchenlieder reinigen

Zusammen mit seinem Freund Johann Andreas Cramer, der als Hofprediger nach Kopenhagen gerufen worden war, unternahm Klopstock eine Gesangbuchreform. Mit der Unterstützung weiterer Freunde wollte man die bis dahin gebräuchlichen lutherischen Gesangbücher von solchen Kirchenliedern reinigen, die den Vorstellungen einer aufgeklärten Theologie vom wahren Glauben widersprachen oder gegen die Regeln des guten Geschmacks verstießen. Andere Lieder wollte man gründlich bearbeiten, um ihnen einen Charakter zu geben, der stärker die Empfindungen der Gläubigen ansprach. Die entstehenden Lücken sollten durch eigene, gänzlich neu gedichtete Lieder gefüllt werden.

Verbindliches Gesangbuch

Als Zwischenresultat der Reform­anstrengungen gab Cramer im Jahre 1760 ein Kopenhagener Gesangbuch mit zahlreichen Um- und Neudichtungen heraus. 1780 erschien dann das so genannte Cramersche Gesangbuch, das für alle deutschsprachigen Gemeinden des Königreichs Dänemark verbindlich wurde und mit wenigen Veränderungen bis 1883 in Schleswig und Holstein in Gebrauch blieb. Klopstock war mit 60 Nummern vertreten.

Der Dichter betrachtete die Arbeit an den Kirchenliedern zeitweilig als seine wichtigste Aufgabe nach dem „Messias“. Seinem Vater schrieb er: „Mann soll, wo nicht dem gemeinen Haufen, doch den Meisten verständlich seyn; u doch der Religion würdig bleiben. Unterdeß scheint es mir, daß mir Gott die Gnade gegeben, u mir diese Arbeit hat gelingen lassen.“ Im Unterschied zu seinen schwerer verständlichen Oden, die sich an ein gebildetes Lesepublikum richteten, passte er die Inhalte und Formen der Geistlichen Gesänge dem geringeren Auffassungsvermögen des gewöhnlichen Kirchenvolks an. Nicht wenige von ihnen sind auch in andere Gesangbücher eingegangen und gehörten lange Zeit zum festen Kanon des evangelischen Gottesdienstes. Klopstocks bis heute bekanntestes Kirchenlied trägt den Titel „Die Auferstehung“ und beginnt mit den Worten „Auferstehn, ja auferstehn wirst du …“. Dieses Lied war es auch, das ein Hamburger und Altonaer Kirchenchor bei Klopstocks Begräbnis am 22. März 1803 sang, bevor sein blumengeschmückter Sarg in die Erde gesenkt wurde. 

 

Information
Kai Kauffmann: Klopstock! Wallstein Verlag, Göttingen 2024, 420 Seiten, Euro 36,–.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kultur"