Schönheit gefunden

Edler Pop des Ruhrgebiets

"Es kann nur eine Liebe geben, / immer auf der Wiese leben“ und danach „Ja, ja – ja, ja!“, smart gepoltert im krachigknappen Rock’n’Roll-Boogie „International Heat“, der gleich ein Liebling ist. Auf ihrer im Oktober anlaufenden Headliner-Tour sollten International Music ihn dehnen: Wir sehen die Leute schon toben. Dabei haben die drei Wahl-Essener mit den Stones und dem Waldbühnen-Furor von 1965 eigentlich nichts am Hut. Sie schwelgen in Melodien, Sound, Sprache, hegen Gedanken bis zum Ende, denken sie aus. Und wer denkt heut schon noch. „Unterschied“ ist ein weiterer Liebling, zwölfter und letzter Song ihres Albums „Endless Rüttenscheid“, benannt nach Essens Ausgehviertel, in dem auch die JVA, Gruga, Folkwang- und Voodoo-Museum „Soul of Africa“ liegen. Ruhrgebiet also, bekennende Provinz, doch die hat es bei diesem Trio faustdick hinter Stil-, Musik- und Lyrics-versierten Ohren, Beat- und sachte Country-verwurzelt, mit Big Star- und Soft Boys-Anklängen, um Krautrock, Wave, gewieften Moe Tucker-Naivpop und Antifolk nie verlegen.

Es ist Musik, die schwelgend warmer Lead- und Harmoniegesang zuerst arglos scheinen lässt – wenn da nicht die queren Texte wären. Im gemächlichen „Lass es ziehen“ etwa grinsen sie „Nimm den Turm und mach ihn schief“. Dann pfeifen sie, die Gitarre dröhnt, und „Alles bleibt gleich im großen Stau“ eröffnet dissonanten Soloausklang. Reisenotizen und was man sich dabei so denkt? Das Erstaunliche: All ihre Songs sind schlüssig. Man glaubt sie, wie Kafkas Figuren. Tiefe Wahrheiten oder hehre Gefühle behaupten sie nie, berühren sie aber stets, ironiefrei, quasi nackt. Wie machen sie das? Sie beobachten gut – sich selbst, im Alltag, sie spüren Irritationen nach und fassen es in Songs. Nonsens ist das nie, Kalauer manchmal schon. Ihr Flow gleicht Bohumil Hrabals Baflern, Gestalten vom Gesellschaftsrand, die Schönheit finden, wo andere sie nie vermuteten, und bafeln: Erzählen unbändig in assoziativem Redefluss.

Eine „Unterschied“-Zeile fasst den Ansatz so: „Und wieder gibt es kein Prinzip, / wenn sich der Augenblick verschiebt, / denn wir heben doch nur auf, / was uns gefällt, was vor uns liegt, / was uns umgibt“. Die drei sagen: „Wir machen timeless melancholic music.“ Ob sie dabei grinsen? Egal, es funktioniert. Dann wieder im Song: „Es ist das Wasser, das die Welle schiebt. / Es ist die Frage nach dem Unterschied, / die dich hier an diese Stelle zieht.“ Folgt White-Album-Noise mit schriller Gitarre und Fiepen, der das Album zitatsicher schließt. Es ist ihr drittes. Dass es darauf vielfach um Beziehungen und physikalische Festigkeit geht, mag jenen ein Anreiz sein, die das gerade beschäftigt. International Music gehen diese Fragen bandtypisch an: unverstellt, mit vollem Risiko, sympathisch – und mindestens so fragil wie das Leben, nicht bloß in Rüttenscheid. Ein starkes Album und Pop, wie er sein soll.

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