Erhellend

Hiob-Motive im Film

Kaum ein Buch der Bibel hat eine so starke Wirkungsgeschichte wie die Geschichte des frommen Hiob, der mit Gottes Erlaubnis vom Satan versucht und ins Leiden geführt wird, der an Gott und seiner Gerechtigkeit zweifelt und damit den im Orient gängigen Glauben an den Tun-Ergehens-Zusammenhang menschlichen Handelns in Frage stellt. Im 20. und 21. Jahrhundert tauchen die Figur und das Schicksal Hiobs in dem neuen Massenmedium Film auf. Dem widmet sich der Hamburger Theologe und Akademiedirektor der Nordkirche Jörg Herrmann. Er zählt im ersten Kapitel seines Buchs Warum ich? Hiob-Motive im Spielfilm ein knappes Dutzend von Spielfilmen auf, die sich auf Hiob beziehen. Diese Filme werden von Herrmann gründlich analysiert. Er geht dabei von der These aus, dass moderne Medien, vor allem der Film, Funktionen der Sinnorientierung übernommen haben, die früher von den Religionen bestimmt wurden. Dabei bezieht er sich auf Thomas Luckmann, der von „unsichtbarer Religion“ spricht. Das Christentum hat sich nicht einfach nur säkularisiert, sondern transformiert.

Herrmanns Auswahl der Filme umfasst einen Zeitraum von etwa vierzig Jahren. Es gibt Filme, die explizite Bezüge zum Buch Hiob enthalten wie „Hiob“ von Michael Kehlmann (1978), „Hiobs Revolte“ von Imre Gyöngyössy (1983), „Adams Äpfel – Gott ist auf deiner Seite“ von Anders Thomas Jensen (2005), „The Tree of Life“ von Terence Malick (2011), „Leviathan“ von Andrey Zvyagintsev (2014), „First Reformed“ von Paul Schrader (2017). Und Filme, die implizite thematische Bezüge zum Buch Hiob haben, wie „Wolken ziehen vorüber“ von Aki Kaurismäki (1996), „Bruce allmächtig“ von Tom Shadyac (2003), „A Serious Man“ von den Coen Brothers (2009) und „The Broken Circle“ von Felix von Groeningen (2012).

An erster Stelle der sehr gründlichen Filmanalysen steht eine Hinführung zum jeweiligen Film, der eine Inhaltsübersicht folgt, darauf ein Kapitel zu Ästhetik und Dramaturgie des Filmes. Anschließend schildert Herrmann die Konstellationen der Figuren und Personen im Film, es folgen die Erörterung der Hiobbezüge und der religiösen Dimensionen. Eine kurze Gesamtinterpretation schließt die Analyse ab. Zu jedem Kapitel gibt es zahlreiche farbige Filmaufnahmen mit Kurzerläuterungen, durch die die Leserschaft etwas von dem Filmstil, seiner Machart, Dramatik und von den darstellenden Schauspieler*innen erfährt. Insgesamt ist das eine sehr genaue und erhellende Analyse der elf vorgestellten Filme, ein Hiob-Film-Kompendium, hilfreich für die Arbeit in Schule, Konfirmationsunterricht, in Jugend- und Erwachsenenbildung.

Herrmann liefert aber auch ein Kapitel „Neue Antworten auf Hiobs Fragen? Versuch einer Zusammenschau“. Auffällig ist bei dem Vergleich der behandelten Filmerzählungen, dass die Geschichten in mehreren Fällen tragisch enden und es gerade keine Rettung oder Wiederherstellung in letzter Minute wie im biblischen Hiob-Buch gibt. Auf die Warum-Frage, warum verhindert Gott nicht die Leiden, geben die Filme keine neuen Antworten. Mit expliziten Ratschlägen für den Umgang mit negativer Kontingenz halten sie sich zurück. Hiob-Filme sind so „ein bedeutsamer Teil des notwendigen Ausdrucks von menschlicher Erfahrung an den Grenzen der Leidensfähigkeit“. Sie halten so den Schrei der Leidenden wach, spenden temporären Trost in Erfahrungen der Musik, des Humors und der Liebe.

Einen schönen Abschluss der Untersuchung bildet das theologisch dichte Kapitel „Dimensionen des Trostes, bei Hiob, im Film, durch den Film“. Wie der Theologieprofessor Henning Luther sieht er im Trostversuch der Freunde Hiobs ein Beispiel „für eine Art des Tröstens, die die Trostlosigkeit der Welt zugunsten einer Fassadenwelt ausblendet, in der alles seine Ordnung hat“. Das Tröstliche des Glaubens bestehe vielmehr in einer „anhaltenden Beunruhigung über unsere Welt“. Herrmann fragt zu Recht, ob in den zitierten Filmen etwas Tröstliches geschieht, was an die Stelle der Gottesreden am Ende des Hiob-Buchs treten kann. Dazu greift er die ästhetische Erfahrung der Musik auf, die in einigen Filmen neben dem Humor und der ästhetischen Erfahrung des Schönen eine wichtige Rolle spielt. 

Jörg Herrmann hat mit seinem Buch eine überzeugende Analyse der Rezeption des Hiob-Buches im zeitgenössischen Film vorgelegt und den Filminteressierten die Basis dafür geliefert, die Filme noch einmal anzuschauen oder innerlich ablaufen zu lassen.

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Foto: privat

Hans-Jürgen Benedict

Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich  der Literaturtheologie.


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