Die „Black Power“-Bewegung in den USA der 1960er-Jahre prägte auch den Theologen James H. Cone, der nach Verbindungslinien zur Theologie suchte. Er gilt als Begründer der Black Theology. Max Tretter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie (Ethik) der Universität Erlangen-Nürnberg, skizziert seinen Ansatz.
Um Black Theology zu verstehen, ist es entscheidend, die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe zu kennen, in denen sie entstanden ist. Ihre Wurzeln lassen sich in die „Post Civil Rights Era“ der späten 1960er-Jahre zurückverfolgen; eine Zeit, in der die vorherige Euphorie über die Erfolge der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung bei vielen Afroamerikaner:innen allmählich in Ernüchterung umschlug. Dieser Wandel war auf anhaltende rassistische Ressentiments in großen Teilen der US-Gesellschaft und das Fortbestehen unterdrückender Strukturen zurückzuführen. Trotz einiger gesetzlicher Errungenschaften hatten Schwarze Personen nach wie vor schlechteren Zugang zu Bildung, geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, waren regelmäßig mit Alltagsrassismus konfrontiert und litten unter übermäßiger Polizeigewalt. In diesem gesellschaftlichen wie politischen Umfeld erstarkten alsbald neue, radikalere Protestgruppen und -bewegungen, die unter dem Begriff „Black Power“ zusammengefasst werden können. Statt sich wie die Bürgerrechtsbewegung für Integration in bestehende Gesellschaftsstrukturen einzusetzen, wurden mit „Black Power“ eher separatistische Forderungen erhoben. Im Vordergrund stand dabei das Bestreben, selbstbestimmte Schwarze Gemeinschaften auszubilden und die Kontrolle über deren politische Institutionen zu erlangen. Und statt sich auf gewaltlose Protestformen zu verlassen, herrschte die Mentalität vor, diese Ziele wenn nötig „by any means necessary“ (Malcolm X), also mit allen erforderlichen Mitteln, zu verfolgen.
Verzwickte Lage
Angesichts der sozialen Situation, in der sich zahlreiche Schwarze Personen in den Vereinigten Staaten befanden, übten die Ziele der sich formierenden „Black Power“-Bewegung, die Radikalität, mit der diese angestrebt wurden, sowie das Charisma ihrer Führungsfiguren auf viele Afroamerikaner:innen eine große Anziehungskraft aus. Doch nicht wenige Schwarze Christ:innen sahen sich dadurch vor eine praktisch-ethische Herausforderung gestellt: Während sie politisch große Sympathien für „Black Power“ hegten, waren sie aus Glaubensgründen von der Zielsetzung der Bewegung und ihren Vorgehensweisen abgeschreckt, die sich deutlich von der christlichen Botschaft der Nächstenliebe und der Versöhnung zu unterscheiden schienen. Wie sollten sie sich in dieser verzwickt erscheinenden Lage verhalten?
Auf zwei Ebenen
Auch der Theologe James H. Cone sah sich mit dieser Herausforderung konfrontiert, wie er im Vorwort zu dem Buch schildert, das am Anfang der Black Theology als einer theologischen Disziplin stehen und zu einem ihrer zentralen Referenzwerke werden sollte: Black Theology and Black Power aus dem Jahr 1969. Mit diesem Werk unternahm Cone den Versuch, die wahrgenommene Spannung zu lösen und einen theologischen Zugang zu „Black Power“ zu entwickeln. Dies gelingt ihm, indem er Befreiung in den Mittelpunkt seiner Ausarbeitung stellt und als Deutungsfolie sowohl für „Black Power“ als auch für das Wirken Jesu Christi nutzt.
In seiner konstruktiven Auseinandersetzung mit der gleichnamigen Bewegung arbeitet Cone erstens heraus, dass Befreiung das Kernanliegen von „Black Power“ bilde. Dabei betont er, dass die anvisierte Befreiung stets auf zwei Ebenen erstritten werde müsse. Erstens gelte es, Minderwertigkeitsvorstellungen zu überwinden, die nicht wenige Schwarze Personen angesichts anhaltender Diskriminierungserfahrungen internalisiert hätten, und ein neues Schwarzes-Selbstbewusstsein zu finden: „Black Power ist eine Haltung, eine innerliche Bestätigung des wesentlichen Wertes des Schwarzseins. Sie bedeutet, daß der schwarze Mensch sich nicht vergiften läßt durch die Klischeevorstellungen, die andere von ihm haben […].“ (Cone 1971, 16–17)
Aus dieser neugefundenden inneren Haltung müsse oder würde dann, so Cone weiter, der Antrieb erwachsen, auch äußere Unterdrückungszustände anzugehen, diskriminierende Gesellschaftsstrukturen zu überwinden und sich dadurch praktisch zu emanzipieren.
Manifestation Gottes
Doch nicht nur die „Black Power“-Bewegung zeichne sich durch ihr Streben nach Befreiung aus; vielmehr bilde Befreiung, wie Cone in seiner Rekonstruktion des Wirkens Jesu Christi herausarbeitet, auch das Zentrum und Ziel des Evangeliums. Dabei unterstreicht er mehrfach, dass es auch hierbei gleichermaßen um Befreiung von inneren Verzweiflungszuständen wie von unterdrückenden Strukturen gehe.
Die Zusammenschau beider Deutungen bildet die Grundlage für Cones theologische Würdigung der „Black Power“-Bewegung, ihrer Anliegen und Vorgehensweisen: Denn wenn Befreiung den Kern des Evangeliums darstelle und durch Jesus Christus bezeugt und bewirkt werde, dann könne oder müsse auch der Kampf um Befreiung als evangeliumsgemäß betrachtet und die „Black-Power“-Bewegung als „eine Manifestation Gottes selbst“ (Cone 1971, 48) erkannt werden. Daraus folge jedoch, dass „Black Power“ und Christentum nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Vielmehr müsse festgehalten werden, wie Cone in einem Spitzensatz formuliert: „Christentum steht Black Power nicht fremd gegenüber; es ist Black Power.“ (Cone 1971, 48)
Mit seinem Vorschlag, „Black Power“ und Christentum mittels des Befreiungsbegriffs produktiv aufeinander zu beziehen, beantwortet Cone die initiale Vereinbarkeitsfrage, die etliche Christ:innen und „Black Power“-Sympathisant:innen bewegte, auf positive Weise. Doch seine Ausführungen liefern mehr als nur die Antwort auf eine praktisch-ethische Frage; mit ihnen legt Cone den Grundstein für eine eigenständige theologische Richtung: die Black Theology.
Dabei sind es vor allem zwei Grundzüge, die Cone in seinem Buch Black Theology and Black Power grundgelegt hat, die kennzeichnend für die Black Theology in quasi all ihren Ausprägungen wurden: Erstens werden die Unterdrückungserfahrungen Schwarzer Personen als maßgebliche Quelle des Theologietreibens anerkannt, und die Befreiung aus diesen unterdrückenden Strukturen wird zu einem maßgeblichen Paradigma der Theologie erklärt; zweitens werden die Implikationen der Deutung des Evangeliums aus dieser Befreiungsperspektive für zentrale theologische Topoi sowie für glaubenspraktische wie kirchenpolitische Fragen systematisch entfaltet. Wie dies aussehen kann, soll an zwei kurzen Beispielen verdeutlicht werden.
Macht man etwa ernst mit der Aussage, dass, wie sich im Titel eines der Hauptwerke Cones spiegelt, Gott der Befreier (1982) ist und Jesus Christus dieses Befreiungshandeln vorantreibt, dann müssen im Umkehrschluss sämtliche Gottesvorstellungen und Bilder von Jesus Christus, die nicht dazu beitragen, bestehende Unterdrückungs- und Diskriminierungsstrukturen zu durchbrechen, oder sogar dazu genutzt werden, diese aufrecht zu erhalten, klar als falsch deklariert und kritisiert werden. So sind etwa Darstellungen eines weißen Jesus, die, wie Sarah Vecera (2022) oder Alexander Jun et al. (2018) in ihren Abhandlungen zeigen, regelmäßig dazu genutzt werden, bestehende Sozialordnungen zu verteidigen und Kritik an ihnen zu delegitimieren, klar zu dekonstruieren und stattdessen Bilder eines „Black Christ“, wie beispielsweise von Kelly Brown Douglas in ihrem gleichnamigen Werk (1994) skizziert, hochzuhalten.
Auch in der Kirche
Auf ekklesiologischer wie institutioneller Ebene würde ein konsequentes Ernstnehmen dieser theologischen Ideen bedeuten, dass sich Gottes Befreiungshandeln auch in der Kirche und ihren Strukturen spiegeln muss. Mit Cone ließe sich dann einfordern, dass Gemeinschaften, die nicht klar für Befreiung einstehen oder diese gegebenenfalls sogar behindern, nicht „Kirche“ genannt werden dürften, sondern gegebenenfalls sogar als „antichristlich“ bezeichnet werden müssten. Im Anschluss an Willie James Jennings (2020) müsste dann auch die gesamte theologische Ausbildung und kirchliche Bildungsarbeit dahingehend hinterfragt werden, inwiefern sie in Strukturen der „weißen Vorherrschaft“ wurzelt und diese reproduziert, und so umgestaltet werden, dass sie mehr Raum für Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Befreiung bietet.
Wie diese Darstellungen bereits andeuten, ist Black Theology heute eine äußerst vielfältige theologische Strömung. Ausgehend von James H. Cones Black Theology and Black Power, wurden dessen Ansätze in verschiedene Richtungen weiterentwickelt – mal stärker dogmatisch, mal ethisch, mal praktisch-theologisch oder exegetisch. Black Theology wurde mit verschiedenen anderen Disziplinen in Dialog gebracht und in intersektionaler Weise mit weiteren Befreiungsanliegen verknüpft. Doch unabhängig von ihrer Ausprägung ist jede Form der Black Theology kontextuell, kämpferisch und kritisch. Kontextuell: Sie entspringt konkreten Unterdrückungserfahrungen Schwarzer Personen und macht diese Unterdrückung zum zentralen Kern ihres theologischen Denkens. Kämpferisch: Sie schließt sich dem Kampf Schwarzer Personen gegen Unterdrückung sowie gegen die ideologischen wie institutionellen Strukturen an, die diese aufrechterhalten. Kritisch: Sie entfaltet kritische Potenziale gegenüber etablierten theologischen Vorstellungen und religiösen Institutionen, wo diese sich nicht klar gegen Unterdrückung stellen.
Max Tretter
Max Tretter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg.