Dreimal aufgefahren

Klasse-Kantaten klug kombiniert

Die Beschäftigung mit dem Kantatenwerk Johann Sebastian Bachs ist aus dem Stadi­um der reinen Gesamteinspielungen herausgetreten. Das bahnbrechende Projekt von Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnoncourt, den längst verstorbenen Altmeistern der historischen Aufführungspraxis, liegt Jahrzehnte zurück. Gegenwärtig laufen noch zwei sehr ambitionierte Unternehmungen: Zum einen in der Schweiz, wo Chor und Orchester der dortigen J. S. Bach-Stiftung St. Gallen seit 2006 mit ihren einzigartigen Live-Aufführungen und grandiosen Vor-Ort-Inszenierungen jeweils einer Bachkantate schon weit fortgeschritten sind – alles dokumentiert auf dem beglückend-erschöpfenden Medienportal www.bachipedia.org. Zum anderen in den Niederlanden, wo die „Nederlandse Bachvereniging“ auf ähnlich hohem Niveau vor einiger Zeit mit dem gigantischen Projekt „All of Bach“ begonnen hat, alle (!) Werke des großen Thomaskantors auf ein Videoportal zu bannen. Wirklich schade, dass Bach selbst, der vor dreihundert Jahren in Leipzig über eine „wunderliche, der Music wenig ergebene Obrigkeit“ klagen musste, das nicht mehr hienieden erleben darf.

Gefreut hätte sich Bach gewiss auch über die nun vorliegende brandneue Aufnahme mit dem schlichten Titel Himmelfahrt: Auf dieser CD rahmen zwei der insgesamt vier Kantaten Bachs zum Himmelfahrtsfest eine Kantate seines damals im 18. Jahrhundert weit berühmteren Zeitgenossen Georg Philipp Telemanns ein, der übrigens gleich mit dreißig (!) Werken zu diesem Hochfest aufwarten kann. „Lobet Gott in seinen Reichen“ aus dem Jahre 1738, von Bach selbst als „Oratorium zum Fest der Himmelfahrt Christi“ betitelt, enthält verschiedene Weiterverarbeitungen früherer Kompositionen und dauert eine knappe halbe Stunde. Seine zweite Kantate „Auf Christi Himmelfahrt allein“ von 1725 dagegen ist ein konzen­triertes 17-minütiges Werk auf den Punkt – mit einem im besten Sinne wundersamen Eingangschor mit Hörnerklang, einer prachtvollen Bassarie mit Trompete samt kunstvoll eingeflochtenem Rezitativ und einem hinreißend elegischen Duett von Alt und Tenor samt Solo-Oboe. Zwischen den beiden Bächen dann – ganz anders, viel rationeller in den Mitteln, aber nicht weniger berückend – die Kantate „Ich fahre auf zu meinem Vater“ von Telemann.

Wer sich fragt, was CD-Produktionen in Zeiten überbordender Streamingdienste noch sollen, dem sei gesagt: Zum einen liegt in solch kluger Kombination und Kuratierung eines Themas ein großer Wert an sich. Und zum anderen wäre es wegen der wirklich überragenden musikalischen Qualität des Vokalensembles Vox Luminis und des Freiburger Barockorchesters molto schade, wenn man so etwas nicht hören könnte, nur weil es schon andere Aufnahmen gibt. Insofern gilt: Bitte weitermachen!

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