Lebensernte

Streifzüge durch Bibel und Lied

Die „kleine Form“ der Schriftauslegung – Radioandacht, Meditation in der Kirchenzeitung, knappe Entfaltung einer Herrnhuter Losung – hat ihre eigenen Gesetze, Grenzen und Chancen. Für dogmatische und historische Tiefenbohrungen bleibt wenig Raum, alles muss – und darf! – pointiert gesagt sein. Komplexe Gedanken gerinnen manchmal zu schlichten Schlagworten. Dafür aber spricht die kleine Form den Leser unmittelbar an, erregt spontan Interesse, trifft schärfer in das Leben hinein als der Großtext. Werden solche kleinen Gelegenheitsarbeiten gesammelt, entsteht in der Summe dann doch eine facettenreiche Gesamttheologie ihres Autors.

Fulbert Steffensky, ursprünglich katholischer Theologe und Ordensmann, der nicht verdient hat, auf die Rolle des Ehemannes der epocheprägenden politischen Protestantin Dorothee Sölle (1929–2003) reduziert zu werden – der gleichwohl spirituell stark von dieser Bindung zehrt –, hat eine derartige Sammlung kleiner biblisch angeregter Texte vorgelegt. Als Frucht eines langen Theologenlebens vermacht er seinen Lesern ein vielfältiges Werkstück. Schade ist, dass das konkrete Alter der Texte nicht vermerkt wird. Dies nämlich ermöglichte es, Entwicklungen nachzuvollziehen und Themenkreise zu begleiten. Das Buch folgt der kanonischen Reihenfolge der Bibelstellen und hängt, zu seinem und des Lesers Gewinn, noch eine Anzahl Liedinterpretationen an.

Auffällig scheint dem Rezensenten ein Fremdeln Steffenskys mit der paulinischen Botschaft von der geschenkten Rechtfertigung des Gottlosen. Paulus­stellen kommen spärlich zum Zuge, wiederholt verwahrt der Schriftausleger sich gegen die Anmutung eines Sünderlebens, für das Christus „die Zeche zahlt“. Ob dies nun mehr der katholischen Wurzel oder politreligiösen Ambitionen geschuldet ist, sei dahingestellt. 

Bewegend aber lässt sich miterleben, wie sich bei den von Steffensky, dem Seelsorger und Trostsucher, heiß geliebten Liedern Paul Gerhardts der paulinisch-lutherische Fokus auf den Gekreuzigten schließlich doch Bahn bricht und die Vorbehalte gegen die auf Christus abgewälzte Zeche überwindet. Der Charme der kleinen Form liegt ja darin, nicht alles harmonisieren zu müssen. Biblisch wohl berechtigtes Insistieren auf persönlicher Schuld und Verantwortung und der Heilandsruf „Du sollst ja guter Dinge sein, ich zahle deine Schulden!“ tun einander gut. Seelsorglich stimmt, was lehrhaft klemmt – und dass der Leser mehr als einmal angestoßen wird, eine Bibelstelle ganz anders aufzufassen als der Autor, ist eine weitere Stärke dieser sympathischen Sammlung, die Steffensky sich zum 90. Geburtstag selbst geschenkt hat. Bestimmte politische Schlagseiten mögen für die Zeitgebundenheit der Bibelinterpretationen stehen – richtig bleibt dabei allemal: Was immer stimmt, stimmt nie. Stark wird der Autor als Seelsorger, vorzüglich beim Punkt der self forgiveness, des getrösteten Lebenlernens mit dem, was an der eigenen Biografie schmerzt. Um so sprechen zu können, muss ein Mensch im Glauben geprüft sein.

Der Titel verdankt sich der Erinnerung an ein verfallenes Haus, dessen Keller einen uralten Schatz barg. Die lebensstarken Gedanken der Bibel und des christlichen Liedgutes lagert Steffensky so der Ruine der Kirche ein. Ob da nicht allzu katholisch gedacht werde, fragt der Rezensent, ist die Bibel doch kaum im Keller der Kirche lokalisiert und schon gar nicht deren Besitz. Wie dem auch sei: Dass Steffensky im Vorwort die politische Belehrungsabsicht „geschlechtergerechter“ Sprache abweist – aus Respekt auch vor dem Sprachgefühl der Lesenden –, zeigt ihn einmal mehr als souveränen, weisen Mann, der in seiner Zeit dachte, schrieb und redete, weit über seine Zeit hinausschauend. Wie groß die kleine Form doch sein kann.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Theologie"

Weitere Rezensionen