Lebhaft erinnere ich mich an erste eigene Best-of-Zusammenstellungen: Tagelang nahm ich mir Zeit für Auswahl und Reihenfolge, musste rechnen, was auf jeder Seite einer Kassette Platz findet und hatte schließlich ein Unikat, das ich in den kommenden Wochen hoch und runter hörte. Die ersten professionellen Best-of-CDs ernüchterten mich dann gehörig – ich musste feststellen, dass immer nur eine Hälfte Best-of war, die andere mitunter unerträglich. Willkommen im Business, wo auch Best of nur häppchenweise veräußert wird!
Entsprechend machte ich fortan einen Bogen um derlei – um nun doch wieder einmal zuzugreifen. Warum? Vorliegendes Klavier-Best-of köderte mich mit einem auf die Tageszeiten ausgerichteten Opus, dem ich nicht widerstehen konnte in der Aussicht auf ein wohlklingendes Setting für volle Tage – für den Morgen, den Nachmittag, den Abend, die Nacht. Nix Aufreibendes, nix Anzettelndes, keine Eruptionen, keine Explosionen. Stattdessen Ausklinken aus der vertikalen Taktung des Tages und Ankommen im horizontal strömenden Moment. Kann das dieses 4-CD-Konvolut leisten? Hat es mehr Tiefe als sein karges Cover? MORGEN: verträumtes Erwachen mit Gjeilo (Before Dawn), Richard Rodgers (Something Good), Schumanns Träumerei, Liszts Pastorale, Bach-Bearbeitungen von Ólafsson, Schuberts Frühlingsglaube, am Ende Abba-Boy Benny Andersson. Fazit: einnehmend. In sich stimmig. NACHMITTAG: gelungene Eröffnung mit Debussy, dann Neues: Chad Lawson (My father’s favourite), George Gershwin (Love walked in), wunderbare Frédéric-Chopin-Etüden, Agnes Obel (September Song), Philip Glas (Etüde Nr. 14), brillante russische Klaviermusik von Tschaikowski und Prokofjew, am Ende Rachmaninoff. Fazit: sehr facettenreich und anspruchsvoll – nach vollem Tag eine neu sich ordnende Fülle, die mit großer Erhabenheit ihren eigenen Raum einfordert, dabei von großer Finesse und Aufgeräumtheit bestimmt ist. Passt. Sogar sehr. ABEND: sehr inspiriert eingeläutet mit Edvard Griegs Summer Evening und dem folgenden Moment Musical Nr. 5 von Rachmaninoff, folgend Klassiker wie Beethovens Für Elise und Bagatelle in A, Chopins Largo in E und Walzer in a, aber dann auch wieder Benny Andersson mit Chess, Ludovico Einaudis ABC, Stephan Moccio mit See Change und Max Richter mit H in New England. Fazit: weiter sehr atmosphärenreich, gut ausbalanciert mit Klassik, Romantik, Neoklassik, minimalistischer und populärer Klaviermusik. NACHT: bezaubernde Eröffnung mit einer Chopin-Nocturne, nachthelle Bach-Bearbeitungen von Ólafsson, Joep Bevings pulsendes Ab Ovo, John Cages In a Landscape, Max Richters Dream Solo – das letzte Klingen ist Chad Lawson mit Of twilight skies vorbehalten. Fazit: alles da. Sie brauchen kein Buch, sie brauchen kein Licht. Nur offene Sinne. Dann ist dieses espritreiche CD-Quartett zu seiner Zeit genau das Richtige.
Klaus-Martin Bresgott
Klaus-Martin Bresgott ist Germanist, Kunsthistoriker und Musiker. Er lebt und arbeitet in Berlin.