Mutig Neuland betreten

Der Masterstudiengang Pioneer Ministry in Jena weist Wege in die kirchliche Zukunft
Blick auf Jena
Foto: Jens Meyer
Jena, für manche Studierende die „Toskana Thüringens“.

Seit kurzem bietet die Universität Jena den Masterstudiengang Pioneer Ministry an. Johannes Greifenstein, als Professor für Praktische Theologie neu an dieser Universität, hat in zz 05/2024 einen sehr kritischen Blick auf dieses Angebot geworfen. Im folgenden Text stellt Katharina Bracht, Studiendekanin der Theologischen Fakultät Jena, dar, wie die Universität mit dem Studiengang auf die rasante Entkirchlichung der Gesellschaft antwortet

„Ich kann den Master Pioneer Ministry ausdrücklich empfehlen! Selbst mit reichlich Vorwissen aus einem Bachelor in Sozialer Arbeit und Religionspädagogik bietet er mir neue Impulse und Raum, eigene Fragen tiefgehend zu beantworten und dabei von einem kompetenten Team und einer persönlich bereichernden Weggemeinschaft als Studierende zu profitieren.“ So fasst Ruth Steigerwald, Studentin im MA Pioneer Ministry an der Theologischen Fakultät Jena, ihre Erlebnisse am Ende ihres ersten Semesters zusammen.

„Als besonders spannend erlebe ich die Ganzheitlichkeit im Studium. Neben den Vorlesungen und Seminaren habe ich viel Zeit und Raum, die Praxis in einem selbst gewählten ‚Erprobungsraum‘ der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) zu erleben. Die geistliche Begleitung und die intensiven Blocktage bieten mir Gelegenheit, mich selbst und mein neues Berufsfeld kennenzulernen. In Jena, in der Toskana Thüringens, lässt es sich wunderbar wohnen und das Studierendenleben genießen.“

Der MA Pioneer Ministry als Antwort auf die rasante Entkirchlichung der Gesellschaft: 

Die jährlichen Mitgliedschaftsberichte der EKD zeigen allein in den vergangenen 20 Jahren einen Rückgang von 7,7 Millionen Menschen für die Kirchenmitgliedschaft in den evangelischen Landeskirchen (Mai 2024). Das entspricht einem Verlust von über 26 Prozent. Für die EKM sind die Zahlen noch drastischer: In den vergangenen drei Jahren sank die Mitgliederzahl von 638 000 Mitgliedern (2022) auf 594 000 Mitglieder (März 2024). Es ist anzunehmen, dass bundesweit bereits in weniger als zwei Jahrzehnten die Anzahl der evangelischen Kirchenmitglieder im einstelligen Millionenbereich liegen wird. 

"Kirche stirbt"

Andreas Rauhut, Professor für Missionarische Kirchen- und Gemeindeentwicklung an der Evangelischen Hochschule Tabor (Marburg/Berlin), erkennt den Ernst der Situation: „Kirche stirbt. Und sie stirbt schnell. Die jährliche Rate des Mitgliederschwunds liegt heute in den EKD-Gliedkirchen schon bei knapp 3 Prozent. Ein Anwachsen der Schrumpfungsraten ist wahrscheinlich; das schnelle Abschmelzen des Mitgliedsbestands unausweichlich.“

Die gesellschaftlichen Implikationen können massiv sein: Keine diakonischen Einrichtungen, kein kulturelles Leben in kirchlichen Räumen, kein Religionsunterricht in den Schulen, keine Vermittlung christlicher Werte, keine Gottesdienste in den verwaisten Kirchen. In das wachsende weltanschauliche Vakuum strömen moralische Werte und politische Meinungen aller Art, ungehindert und unreflektiert, oft fundamentalistisch, schein- oder explizit antichristlich.

Als Theologische Fakultät sehen wir es als unsere Aufgabe an, auf diese Entwicklung zu antworten. Wo Kirche und Staat sich aufs Engste berühren und ihr Miteinander vertraglich geregelt haben, wo christlicher Glaube und christliche Praxis wissenschaftlich reflektiert werden, stellen wir uns der Verantwortung, die daraus erwächst: „Wir wollen jungen Menschen, die sich aus christlichem Engagement in die Gestaltung von Gesellschaft und Kirche einbringen wollen, die nötigen Kompetenzen und Kenntnisse an die Hand geben und sie auf dem Weg ihrer theologischen Persönlichkeitsbildung begleiten“, so formuliert es Michael Wermke, Dekan der Theologischen Fakultät.

"Innovativ und vorbildhaft"

Die EKM, auf deren Gebiet die Universität Jena liegt, begrüßt den neuen Masterstudiengang Pioneer Ministry ausdrücklich. Kirchenrat Thomas Schlegel, Leiter des Referats Gemeinde und Seelsorge der EKM, hebt hervor: „Der neue Studiengang Pioneer Ministry ist innovativ und vorbildhaft: die intensive Vernetzung mit anderen, auch freien Hochschulen und Bildungseinrichtungen; die Kooperation mit den Landes- und Freikirchen; die Einbindung vieler einschlägiger Akteure bei Design und Anlage des Studiengangs. Aber auch die Architektur mit den drei Säulen: Inhalte an der Uni, Praxis in Erprobungsräumen und eigene Spiritualität entspricht den heutigen Erfordernissen einer gegenwartsorientierten Theologie.“

Der Studiengang hat die Studiengang-Akkreditierung an der Friedrich-Schiller-Universität erfolgreich durchlaufen. Herman Selderhuis, Professor an der Theologischen Universität Apeldoorn, und Sprecher des Wissenschaftlichen Beirats der Fakultät, zeigt sich beeindruckt: „Das ist eine tolle Idee, sie ist international einmalig und verdient viele Studierende!“ An der Jenaer Fakultät studieren junge Menschen verschiedener Studiengänge miteinander – auf Pfarramt, auf Lehramt für Gymnasium und Regelschule sowie auf verschiedene Bachelor- und Masterabschlüsse in den Fächern Evangelische Theologie oder Religionswissenschaft. Sie leben und diskutieren miteinander in den Lehrveranstaltungen, in den universitären Gremien, in der Fakultät. „Wir freuen uns über diese Vielfalt und über den offenen Diskurs! Er dient der Vernetzung in ökumenischer Verbundenheit“, schildert Tommy Drexel, Referent für Studium und Lehre, die Stimmung an der Theologischen Fakultät Jena.

Der Pioneer Minister als neues Element im Portfolio kirchlicher Berufe:

Der Pioneer Ministersoll künftig das Portfolio der kirchlichen Berufe ergänzen. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und andere Landeskirchen haben bereits ihr Interesse angemeldet. Er reiht sich sinnvoll in die Berufsbilder des Verkündigungsdienstes von Pfarrer/Pfarrerin, Diakon/Diakonin, Gemeindepädagoge/-pädagogin und Kirchenmusiker/-musikerin ein. Im Orchester dieser verschiedenen kirchlichen Berufe, in den multiprofessionellen Teams kann er künftig eine Stimme unter anderen übernehmen. „Die Landessynode der EKM hat auf ihrer Herbstsynode 2022 das Landeskirchenamt beauftragt, entsprechende Vorschläge für die Implementierung des neuen Berufsbildes auf Ebene der Kirchentheologie. Im Orchester kirchlicher Berufe kann der Pioneer Minister künftig eine Stimme übernehmen.

Christliche Entrepreneure

„Die Landessynode der EKM hat auf ihrer Herbstsynode 2022 das Landeskirchenamt beauftragt, entsprechende Vorschläge für die Implementierung des neuen Berufsbildes auf Ebene der Kirchentheologiekreise zu erarbeiten, um damit die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für die Anstellungsfähigkeit der Pioneer Minister zu schaffen“, sagt Kirchenrat Jens Walker, Referatsleiter für Ausbildung und Hochschulwesen im Landeskirchenamt der EKM. Wie die anderen Berufe bringt auch der Pioneer Minister ein besonderes Profil an Kompetenzen und Zuständigkeiten in die gemeinsame kirchliche Arbeit zur Verkündigung des Evangeliums ein. „In Jena geht es uns darum“, betont Miriam Schade, Dozentin und Koordinatorin des MA Pioneer Ministry, „engagierte junge Menschen, die bereits vielfältige berufsqualifizierende Hochschulabschlüsse mitbringen, für einen gleichermaßen christlich begeisterten wie wissenschaftlich reflektierten Einsatz heranzubilden, der Kirche auch außerhalb von Kirchenmauern entstehen lässt“.

Die Absolventinnen und Absolventen des Master-Studiengangs sind jedoch nicht auf die Kirchen als mögliche Arbeitgeber beschränkt, sondern können als christliche Entrepreneure auf einer theologisch reflektierten und verantworteten Basis eigene Startups gründen, die aus christlicher Perspektive dem gesellschaftlichen und sozialen Gefüge vor Ort neue Impulse geben und Menschen sozial-praktisch unterstützen. Ruth Steigerwald berichtet: „Ich darf in Gotha-West im Senfkorn-Projekt mitarbeiten und dabei in den Plattenbaukontext eintauchen, lernen, mit den Menschen vor Ort kontextualisierte, theologisch-fundierte Angebote durchzuführen, und so in einem geschützten Rahmen von den Erfahrungen anderer Pioneer*innen profitieren und die Theorie mit der Praxis ‚vor Ort‘ ins Verhältnis setzen.“

Diaspora-Situation

Der Studiengang Pioneer Ministry lebt von der Verzahnung von Theorie und Praxis. Um Handlungsräume vor Ort kennenzulernen und schon im Studium die eigenen Praxiserfahrungen vor dem Hintergrund des akademisch Gelernten zu reflektieren, arbeiten die Studierenden einen Tag pro Woche in einem der 54 „Erprobungsräume“ der EKM mit. Auch diese Projekte, in denen neue, experimentelle Formen von Kirche entstehen können (www.erprobungsraeume-ekm.de), sind aus der Einsicht geboren, dass der Traditionsabriss neue Wege erfordert.

Ökumenische Ausrichtung des MA Pioneer Ministry: 

In der zunehmenden Diaspora-Situation, die im Osten Deutschlands bereits deutlich zu spüren ist, rücken die Christen näher zusammen und weiten ihren Horizont über die gewohnten kirchlichen Strukturen hinaus. Sie wollen in gegenseitigem Respekt voneinander lernen, um politische und soziale Herausforderungen gemeinsam im Geist des Evangeliums zu meistern. In diesem Sinn ist der MA Pioneer Ministry ökumenisch ausgerichtet. Im Ökumenischen Lagebericht 2023 (MD 75/1, 2024, 28) hebt Lothar Triebel vom Konfessionskundlichen Institut Bensheim positiv hervor, dass mit der „Kooperation von (landeskirchlich geprägter) Universitätsfakultät und freikirchlichen Hochschulen“ in Jena Neuland betreten wird. Der multilateralökumenische Zuschnitt betrifft nicht nur die Lehre, sondern auch die Studierenden: Der MA Pioneer Ministry spricht explizit ein konfessionell heterogenes Bewerberinnen- und Bewerberfeld an. Die Erfahrungen des ersten Semesters haben gezeigt, wie positiv die ökumenische Öffnung eines Studiengangs an unserer konfessionell gebundenen evangelisch-theologischen Fakultät wahrgenommen wird, und wie fruchtbar die Kooperationen in der Lehre sich gestalten. Die Pioneer Ministers, die in Jena studieren, entwickeln Widerstandskräfte gegen Fundamentalismus und sind voll ökumenischen Engagements für Kirche und Gesellschaft. 

Pioneer Ministry, „Das Abenteuer einer neuen Vision theologischen Lernens“: 

In ihrer Keynote Address bei der Auftaktveranstaltung des neuen Master-Studiengangs Pioneer Ministry im Oktober 2023 hob Oberkirchenrätin Friederike Erichsen-Wendt, als Referentin für Strategische Planung und Wissensmanagement der EKD schwerpunktmäßig mit der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung und Reformprozessen in den Landeskirchen befasst, hervor: „Dass Sie mitten im Kipppunkt volkskirchlicher Religiosität in Deutschland nicht in Schockstarre verfallen, nicht abwarten, sondern sich zeitig ins Abenteuer einer neuen Vision theologischen Lernens geworfen haben, macht ausgesprochen Mut.“

Lust auf Abenteuer

Die Studierenden des MA Pioneer Ministry haben Lust auf dieses Abenteuer: „Ich bin bereits im kirchlichen Dienst und studiere den Master Pioneer Ministry ganz bewusst an der Theologischen Fakultät in Jena. Die Friedrich-Schiller-Universität in Jena genießt einen hervorragenden Ruf. Mich motiviert dabei, meine bisherige Praxis noch einmal wissenschaftlich zu reflektieren und neue Impulse für meine Arbeit vor Ort zu bekommen. Die Theologische Fakultät traut sich hier einen neuen, zukunftsweisenden Weg einzuschlagen, und das ist klasse“, freut sich Daniel Paulus, Student im MA Pioneer Ministry. Er schätzt besonders „die Flexibilität des Studiengangs, die interdisziplinäre Ausrichtung sowie die Kollegialität zu den Mitstudierenden des MA Pioneer Ministry, aber auch zu den anderen Fachrichtungen.

Gerade auch die Vernetzung zu den Studierenden auf Pfarr- und Lehramt ermöglicht es, verschiedenen Perspektiven auf eine sich verändernde kirchliche Landschaft einzunehmen und diese miteinander zu teilen.“

Der neue MA Pioneer Ministry erfährt bei jungen Christinnen und Christen, in der Presse und in den kirchlichen Gremien große Aufmerksamkeit, weil er selbst ein pionierhaftes Projekt ist: Innovativ und mutig bahnt der MA Pioneer Ministry neue Wege für die Zukunft der Kirche in unserer Gesellschaft.

Homepage des Studiengangs: www.uni-jena.de/ma-pioneer-ministry

Die Kritik von Johannes Greifenstein an dem Studiengang lesen Sie hier.

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