Auferstehung und dann Himmelfahrt?
In den vergangenen Wochen erschienen auf zeitzeichen.net drei Beiträge, in denen über Ostern und Auferstehung diskutiert wurde. Georg Raatz, Privatdozent für Systematische Theologie in Leipzig, setzt die Diskussion fort. Er erweitert das Themenportfolio auf Himmelfahrt und Pfingsten und entwirft im Rückgriff auf Emanuel Hirsch eine traditionsgeschichtliche Gesamtperspektive.
Im Hintergrund meiner Lektüre der Beiträge von Hans-Jürgen Benedict, Johannes Fischer und Julia Drube auf zeitzeichen.net zum Thema Ostern und Auferstehung steht eine eigene längere Beschäftigung mit dem Thema „Ostern“: Im Februar habe ich in einem Studienkurs am Pastoralkolleg in Meißen einen ganzen Tag mit Pfarrern und Pfarrerinnen, Prädikantinnen und Prädikanten zu diesen Themen aus systematisch-theologischer Perspektive gestaltet.
Nachdem mir das Buch „Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube“ (1940) von Emanuel Hirsch erstmals im Studium in die Hände fiel, war ich bei der Vorbereitung des Kurses wieder fürbass erstaunt, mit welch intellektueller Redlichkeit, historischer Gründlichkeit und theologischer Tiefe sich Hirsch der christlichen Osterbotschaft widmet. Ich kann leider nur ein Motiv der drei Osterdeutungen von Benedict, Fischer und Drube aufgreifen. Damit meine ich den Fokus auf die Auferstehung. Denn es ist ja gar nicht ausgemacht, dass diese im Zentrum christlichen Osterglaubens stand oder stehen muss, weder historisch noch gegenwärtig. Und dies betrifft dann auch das zeitlich-räumliche Schema insbesondere des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte, welches sich formelhaft im Apostolikum und vor allem im Osterfestkreis wiederfindet: Ostern am dritten Tag nach Jesu Kreuzigung, (40 Tage später) Christi Himmelfahrt und (10 Tage später) Pfingsten.
Hirschs These dazu besteht darin: Der spätere raum-zeitlich durchschematisierte Mythos von Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingsten, sowie die Fokussierung des Osterglaubens auf die leibliche Auferstehung Jesu (zur zeitweisen Präsenz bei den Seinen auf der Erde) hat die Unterscheidung von Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten allererst notwendig gemacht, während im ursprünglichen geistgeschenkten Osterglauben das Sein Christi bei Gott vorausgesetzt wird, im Glauben an das Wunder, „daß Jesus durch den Tod zum [ewigen] Leben gedrungen ist“ (Hirsch, S. 84). Die Reihenfolge wird also gewissermaßen verdreht oder vielmehr: Ein ursprünglich in sich komplexes religiöses Erleben wird raum-zeitlich zerlegt. Ostern ist ursprünglich ein geistliches („Pfingsten“) Erleben des durch seinen Tod in die Ewigkeit Gottes eingegangenen („Himmelfahrt“) Herrn Jesus Christus.
Erschienen bzw. gesehen
Es dürfte heute auch in der neutestamentlichen Exegese Konsens sein, dass das älteste Osterzeugnis in 1. Korinther 15,5-8 überliefert ist. Hier ist aufbewahrt, was den Kern der frühesten Ostererlebnisse ausgemacht hat: Christus ist erschienen bzw. gesehen worden! Besonders bemerkenswert ist, dass sich Paulus selbst in die Reihe von Osterzeugen einreiht – und damit sein Damaskuserlebnis als sein Ostern versteht. Wer verstehen will, was die österlichen Gesichte (Visionen) und Auditionen bedeutet haben, ist also eher auf Apostelgeschichte 9, also die Bekehrungsgeschichte des Paulus, verwiesen sowie auf seine diesbezüglichen Einlassungen in seinen Briefen (u.a. 1. Korinther 9,1; Galater 1,15f.) und nicht auf die sehr viel später entstandenen Osterlegenden an den Enden der Evangelien.
Ostern versteht Paulus als etwas, was nicht auf den Sonntagmorgen nach Karfreitag beschränkt ist. Er versteht es als ein Sehen und Hören Christi. Räumlich wird es in der Apostelgeschichte als ‚von oben her‘ beschrieben. Der religionsgeschichtliche Begriff dafür ist: Vision. Das ist nicht abwertend gemeint. Vielmehr erlebt es Paulus als eine außerordentliche Gnade an ihm. Dabei hat es sich nicht um ein im einfachen Sinne reales-objektives Geschehen gehandelt, dass auch je anderen wahrnehmbar gewesen wäre. Es handelt es sich um ein subjektives Erlebnis, sozusagen eine Offenbarung ad personam! Anderen bleibt es verschlossen.
Den Zweck seines Osterns beschreibt Paulus erstens als Berufung zum Apostel der Völker, als Legitimation der Mission, die nun mit ihm über das Volk Israels hinausgeht. Da diese Frage in der frühen Gemeinde strittig war, braucht es dafür dieser höheren Form der Beglaubigung als von Gott und Christus gewollt. Ostern bedeutet für ihn zweitens eine Gnade, auch in dem Sinne, dass ihm seine Schuld vergeben wird, die er als Christenverfolger auf sich geladen hatte. Und schließlich ist drittens mit dem Ostererlebnis eng die Erfüllung mit dem Heiligen Geist verbunden. Es handelt sich also um ein pneumatisches Erlebnis. Er wird „begeistert“, lässt sich taufen, und für ihn ist damit die Gotteskindschaft besiegelt.
Erster missionarischer Erfolg
Von hier aus wenden wir den Blick zurück auf die Ostergesichte des Kephas, der 12 Jünger, der mehr als 500 Brüder, des Jakobus und aller Apostel in 1. Korinther 15,5-7 und können folgendes feststellen:
1. Petrus und die Jünger ziehen nach ihren Osterlebnissen zurück nach Jerusalem; denn sie waren nach der Katastrophe des Todes Jesu wieder nach Galiläa und in ihre früheren Berufe zurückgekehrt. Nun wissen sie sich berufen, die frohe Botschaft an das jüdische Volk weiterzugeben. Sie erhoffen die Wiederkunft Jesu, die er für den Menschensohn prophezeit hatte. Für dieses nahe erhoffte Anbrechen des Reiches Gottes wollten sie noch so viele wie möglich gewinnen. Und dazu war Jerusalem als Zentrum ihres Volkes der richtige Ort.
2. Davon begeistern sie schnell sehr viele, die sie in ihre Hoffnung und ihren Glauben hineinziehen. Auch diese symbolischen 500 erleben ihr Ostern, ihnen erscheint der Herr. Damit handelt es sich um so etwas wie einen ersten missionarischen Erfolg der frisch berufenen Apostel; ihre österliche Berufung wird gewissermaßen bestätigt und damit beglaubigt. Hier lässt Pfingsten grüßen!
3. Wie die visionäre Berufung des Paulus so sind auch die Ostererlebnisse der Jünger, des Jakobus und der Apostel als Berufungen und damit als Legitimation ihrer Gemeindeleitung und Missionstätigkeit zu verstehen.
4. Ostern ist ein geistiges Geschehen: Die Erscheinung Jesu erleben sie als Erfüllt-Werden mit dem Heiligen Geist. Ostern und Pfingsten sind insofern nicht voneinander zu trennen. Paulus kennt jedenfalls noch nicht das zeitliche Schema, das sich erst viel später in den Vordergrund gedrängt hat. Paulus versteht dies alles als ein in sich geschlossenes, inhaltlich und zeitlich nicht auseinanderzuziehendes Ganzes. Die Pointe liegt in jedem Fall auf dem Dass der geistlich-geistigen Präsenz Christi von oben her; die raum-schematisch nur möglicherweise und bedarfsweise dazu zu denkenden Zwischenstationen – Auferweckung, Auferstehung, leeres Grab und Auffahrt zu Gott im Himmel – sind sekundär. Das altorientalisch-mythische Weltbild legte sich dies in etwa so zurecht: Wenn der gekreuzigte Herr vom Himmel her erscheinen konnte, dann muss er aus dem Tode dorthin gekommen sein. Es lag also auf der Hand, als Zwischenschritte zwischen Tod und geistlicher Himmelserscheinung die Auferweckung vom Tod, die Auferstehung aus dem Grabe und schließlich die Entrückung oder Fahrt in den Himmel vorauszusetzen. Es handelt sie sich um Vorstellungen im Status von Interpretamenten, so der Neutestamentler Willi Marxsen.
Wie kam es aber dazu, dass sich der Auferstehungsgedanke in den Vordergrund der Ostertheologie und des Osterglaubens geschoben hat? Auch daran hat bereits Paulus einen gehörigen Anteil:
Die frohe Botschaft der Apostel und die frühchristliche Hoffnung richtete sich im Wesentlichen auf die nahe Wiederkunft Christi. Die Erwartung der Parusie wurde für die nächste Zukunft erwartet. Man stellte sich vor, dass der Menschensohn von oben, vom Himmel, her erscheint und dann Gottes Reich aufrichtet, mit Gericht und so weiter.
Rasche Wiederkunft erwartet
Hier kommt es nun darauf an, dass man die Ostererscheinungen, wie wir sie verstanden haben, als eine Art Vorschein der Wiederkunft des Herrn verstehen konnte: Wenn Ostern als Erscheinung des Herrn vom Himmel her erlebt wurde, dann sind diese Ereignisse mit dem vergleichbar, wie man sich das Wieder-Erscheinen des Herrn vorgestellt hat (zur frühjüdischen Tradition vgl. Apostelgeschichte 2,14ff. mit dem Zitat aus Joel). Der frühe Osterglaube stand also zunächst in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem endzeitlich-eschatologischen Glauben der frühen Christen.
Dieser war, wie bereits angedeutet, dadurch gekennzeichnet, dass man das Kommen des Herrn zu Lebzeiten der ersten Christen erwartete. Diese Hoffnung wurde jedoch durch den Tod von Mitchristen erschüttert. Und nun stellt sich Paulus die Frage, ob und wie die Toten an der Wiederkunft Christi Anteil bekommen können. Genau hier und erst hier tritt für ihn die Vorstellung der Auferstehung vom Tode ins Zentrum seines Nachdenkens. Davon zeugen 1. Thessalonicher 4,13-18 und 1. Korinther 15, vor allem die Verse 50-58.
Die Vorstellung der Totenauferstehung kannte Paulus bereits aus der pharisäischen Lehre; dazu bedurfte es eigentlich nicht des Glaubens an die Auferstehung Jesu! Dennoch verbindet Paulus beides und knüpft die Hoffnung an die Auferstehung der verstorbenen Christen daran, dass Jesus der Erstling der Auferstehung ist. Der Argumentationsgang im 1. Thessalonicher und 1. Korinther ist dieser: (1) Bei seiner Parusie wird Christus vom Himmel herabkommen, und die Christen werden zu ihm emporgehoben und mit ihm zusammen in den Himmel entrückt werden. Damit daran auch die schon entschlafenen Christen teilhaben können, müssen sie (2) zuvor aus ihren Gräbern auferweckt werden und auferstehen, um dann zusammen mit den noch lebenden Christen aufzufahren.
Der Gedanke der Auferweckung vom Tode bildet also nicht die eigentliche Heilsvorstellung; vielmehr besteht diese darin, mit Christus in den Himmel entrückt zu werden und damit „bei dem Herrn [zu] sein allezeit“ (1. Thessalonicher 4,18). Die Totenauferstehung stellt also eine Art soteriologische Zwischenstufe dar. Die Angst um die Heilsoption der verstorbenen Geschwister schob sich jedoch in einem solchen Maße ins Zentrum des frühchristlichen Glaubens, dass Paulus nun seinen Fokus weg von den ersten österlichen Erscheinungserlebnissen hin zur Vorstellung der Auferstehung Jesu verschiebt, weil diese, so die verwickelte und umständliche Argumentation in 1. Korinther 15, 12-49, die Bedingung der Möglichkeit der Auferstehung vom Tode bedeute.
Himmels-„affiner“ Geistleib
Im Kern stellt die Auferstehung Jesu und der Toten für Paulus keinen Wiedereintritt in das irdisch-leibliche Leben dar. Dazu unterscheidet er zwischen einem irdisch-sterblich-verweslichen Leib und einem geistlich-unsterblich-himmlischen Leib (griechisch soma pneumatikon), in den hinein die Toten bei der Auferstehung verwandelt werden. Und genau diese Verwandlung erfahren nach der Auferweckung der Toten auch die noch lebenden Christen, damit sie dann alle gemeinsam zu Christus in entrückt werden können. Auch hier ist klar: Die soteriologisch relevante Transformation bildet nicht die Auferweckung, sondern die Verwandlung aller in einen gleichsam himmels-„affinen“ Geistleib.
In 1. Korinther 15,35-45 geht Paulus mit der bildhaft-metaphorischen Unterscheidung zwischen dem gesäten Samenkorn und dem daraus aufsprießenden neuen Leben noch einen Schritt weiter, dass nämlich der Tod nicht nur nicht überwunden werden muss, sondern dass er die notwendige Voraussetzung für die Verwandlung in einen neuen geistlich-himmlischen Leib darstellt: „Wie werden die Toten auferstehen, und mit was für einem Leib werden sie kommen? Du Narr: Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt.“ (15, 35f.) Diesen letzten Gedanken nimmt Paulus in Philipper 1,21-24 wieder auf, indem er schließlich die apokalyptisch-dramatischen Vorstellungen (1. Thessalonicher; 1. Korinther) hinter sich lässt und davon spricht, dass er seinen Tod geradezu herbeisehnt, weil dieser die Voraussetzung dafür darstellt, bei Christus zu sein: „Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. […] Ich habe Lust aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre.“ (Philipper 1, 21.23b)
Es wäre auch von diesen Überlegungen her unsinnig, die Auferstehung als Sieg des Lebens über den Tod im Sinne eines wieder Lebendig Werdens zu verstehen. Diese vorstellungshaften Zwischenstufen zwischen Tod und dem Sein bei Gott bzw. dem Herrn interessieren den späten Paulus gar nicht mehr. Und die Lebenssemantik führt, wie wir von Georg Simmel wissen, eher auf eine irreführende zeitlich-räumliche Logik zurück. Wenn, dann geht es um das ewige Leben oder besser: Ewigkeit.
Was nun feiern?
Was nun aber feiern, predigen, singen und beten zu Ostern und im Osterfestkreis? Vor dem Hintergrund unserer Überlegungen gehört es wohl zu den größten Herausforderungen, die Auferstehungs-, Himmelfahrts- und Pfingstgeschichten der Evangelien und der Apostelgeschichte homiletisch und liturgisch so zur Geltung zu bringen, dass deren legendarische, literarische und poetische Schönheit und der Reichtum an Motiven ebenso zum Strahlen gebracht wie auch das skeptische Wahrheitsbewusstsein respektiert und der tiefere religiöse Kern des christlichen Oster- und Ewigkeitsglaubens herausgeschält wird.
Zu Ostern bieten sich dazu gewiss Johannes 20,11-18.19-29 (Die Frauen am Grab; Erscheinung Jesu bei den Jüngern; Ungläubiger Thomas) und die Emmaus-Episode (Lukas 24,13-35) besonders an, weil hier die spirituelle Tiefe in besonderer Weise durchscheint. Christus ist für uns lebendig, wenn uns sein Bild durch die historische Überlieferung und im Abendmahl präsent ist, wenn uns für ihn die „Augen geöffnet“ (Lukas 24,31) werden. Denn dazu stehen uns in der Regel nicht mehr, wie der ersten Christenheit, Visionen und Auditionen zur Verfügung. Vor allem die Emmaus Geschichte bietet die Möglichkeit dafür, Ostern als etwas zu verstehen, was die Grundstruktur christlichen Glaubens bis heute ausmacht. Am Ende können wir uns auch in die Reihe der Osterzeugen von 1. Kor 15,5-8 einreihen, jeder und jede auf seine und ihre sehr individuelle Weise.
Und am Himmelfahrtsfest könnte man den Fokus ganz auf den Sehnsuchtsort richten, für den symbolisch der „Himmel“ steht; also so, wie Johann Sebastian Bach seine Himmelfahrtskantate „Auf Christi Himmelfahrt allein“ (BWV 128) mit einer Choralstrophe (O Jesu, meine Lust/Matthäus Avenarius) beschließt, in der er den „Himmel“ gar nicht mehr explizit benennt, sondern in eine Sphäre der „Lust“, der „Herrlichkeit“ und der „Ewigkeit“ verdichtet:
Alsdenn so wirst du mich
Zu deiner Rechten stellen,
Und mir, als deinem Kind,
Ein gnädig' Urteil fällen,
Mich bringen zu der Lust,
Wo deine Herrlichkeit
Ich werde schauen an
In alle Ewigkeit.
PS: Und wer es genauer wissen will, den verweise ich insbesondere auf das 2. Kapitel des zitierten Buches von Emanuel Hirsch und den Osterabschnitt in Ulrich Barths „Symbole des Christentums“ …
Literatur:
Emanuel Hirsch, Osterglaube: Die Auferstehungsgeschichten und der christliche Glaube [1940], Gesammelte Werke Bd. 31., hg. von Hans M. Müller, Waltrop 2006.
Ulrich Barth, Symbole des Christentums. Berliner Dogmatikvorlesung, Tübingen 2021 [Abschnitt: Das heikle Thema Ostern].
Georg Raatz
Georg Raatz ist Privatdozent für Systematische Theologe in Leipzig und Referent für Bildung, Seelsorge und Generalsynode bei der VELKD in Hannover.