Forever young

Weckers kraftvolle Poesie

Wenn Konstantin Wecker seinem Bösendorfer auf den Leib rückt, dann begegnen sich zwei Titanen. Wie jeder Bösendorfer ist auch der barocke Kaiser der Liedermacher ein Schwergewicht – aber beide wissen etwas von der Schwerelosigkeit und können fliegen, wozu sie unablässig einladen – ob im Konzert oder auf CD. Der Münchner Musiker, Liedermacher, Poet und Filmkomponist Konstantin Wecker, der heuer wieder tourt, feierte seine ersten großen Erfolge in den 1970er- und 1980er-Jahren, die natürlich auch in die DDR überschwappten – vor allem sein „Weckerleuchten“ (1976) hat viele tiefe und tiefere Nächte und etliche tiefe und tiefere Räusche der Sehnsucht mit berserkerhafter Lust am Leben gehalten und aus mancher Tristesse geholt. Noch mehr und nachhaltig unter die Haut aber ging vor allem ein Buch, das 1981 erschien und in manchen Kreisen zur zweiten Bibel avancierte: Und die Seele nach außen kehren – Ketzerbriefe eines Süchtigen, in dem zudem noch die neun Elegien „Uns ist kein Einzelnes bestimmt“ zu finden sind – eine künstlerisch kraftvolle, herzheiß pulsende, authentische Aufarbeitung der eigenen Sucht voller großer Erkenntnisse wie „Dies nur kann uns nach Hause führen: / Liebe / und eines Größren Barmherzigkeit.“ Wer da zum Begleiter wird, der bleibt es irgendwie, auch im Abstand, auch über die Zeiten.

Jetzt, wo der Sommer nicht nur nicht mehr weit, sondern schon sattsam über den Zenit gestiegen ist und das Herbstgewand angelegt hat, liegt er wieder einmal oben auf und auf dem Prüfstand: Ob da noch etwas geblieben und womöglich neu dazu gekommen ist? Ja und nein. Und nein und ja: Da klingt ganz der Alte, aber neu – vertraut und verwandelt, sodass die Frage eines seiner legendären Songs „Was passierte in den Jahren, wohin hast du sie verschenkt?“ in seinen Klängen von heute eine schöne Antwort hat: an das Leben und eine unentwegte Lebendigkeit. Die hier vorgestellte Doppel-CD, die zum 70. Geburtstag als Jubiläums-Edition entstand, war beileibe nicht die letzte – das „Weckerleuchten“ ging und geht mit Verve weiter! Beeindruckend an dieser Edition sind aber vor allem zwei Dinge: die stimmlich geradezu jugendliche Präsenz, eingewebt in sein stilistisch unverkennbares Klavierspiel, das – ob träumerisch Perlen auswerfend oder kämpferisch die Barrikaden des immer nötigen Widerstands verteidigend – über 50 Jahre nichts von seiner unbändigen Energie und Geläufigkeit eingebüßt hat. Und die Kraft seiner Überzeugung, seiner unablässig präsenten Wesentlichkeit, mit der er, sich selbst hingebend, seine Themen und Grundsätze in den Ring wirft – immer mit einem Lied, das er nach schon einer ganzen Menge Leben unentwegt dem Weltenbrand entgegenstellt, „nicht, weil es euch gefällt … nicht, weil ihr’s bei mir bestellt.“ Das ist Kaiser und Kind Konstantin in lebendiger Reinform.

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