Friedrich und der liebe Gott

Zum 250. Geburtstag eines Romantikers, der plötzlich „in“ ist
Karstadt
Foto: Uwe Michelsen

Ein Hype um den romantischen Maler Caspar David Friedrich hat die Republik erfasst: ausverkaufte Ausstellungen und ein begeistertes Publikum. Der Journalist Uwe Michelsen geht dem Phänomen nach und zeigt Verbindungslinien zwischen der christlichen Theologie und der Bildkunst des heute so Gefeierten, der mutmaßlich in einem engen Kontakt mit dem Theologen Friedrich Schleiermacher stand.

Kurz nach seinem Tod war er so gut wie vergessen. Kein Hahn krähte nach dem zu Lebzeiten durchaus bekannten, wenn auch etwas verschroben wirkenden Maler. Selbst der um die vorletzte Jahrhundertwende erschienene 17-bändige Brockhaus erwähnte Caspar David Friedrich gerade noch mit einem Fünfzeiler. Es schien so, als wäre für alle Ewigkeit der romantische Maler dem Vergessen anheimgegeben. Das hat sich gewaltig geändert. Heute ist Friedrich in aller Munde. Der Wanderer über dem Nebelmeer hat Popstarqualitäten erlangt. Wie ist das zu erklären? Warum dieser Hype?

Die Hamburger Jubiläumsausstellung (vergleiche zz 1/2024) hat alle Erwartungen weit übertroffen: Karten für Führungen ergatterte man überhaupt nur mit großem Glück, gewaltige Menschenansammlungen vor den 60 Gemälden und 120 Zeichnungen musste der Betrachtende in Kauf nehmen. Ende Februar (also fünf Wochen vor dem Ausstellungsende) musste die Leitung der Kunsthalle dann erklären: Nun sei alles ausverkauft. Selig, wer rechtzeitig gebucht hatte … Zum Trost darf man sich in diesem Jubiläumsjahr Folgeausstellungen in Berlin (bis 4. August), in Dresden (24. August bis 17. November) und in seiner Heimatstadt Greifswald (ganzjähriges Festprogramm) anschauen. Ohne Tollkühnheit wage ich zu prognostizieren, dass der Hamburger Publikums­erfolg sich fortsetzt.

Das gewaltige Echo auf diesen schon einmal „Totgesagten“ zeigt sich nicht nur in dem starken Museumsbesuch, sondern auch in den überraschenden Verkaufszahlen des Sachbuches „Zauber der Stille“ von Florian Illies. Seit Monaten ist diese Zeitreise zu dem Maler, der für die Deutschen laut Klappentext „die Sehnsucht erfand“, sowohl gedruckt als auch als Hörbuch auf den Bestsellerlisten ganz oben. In den Buchläden und Museumsshops ist die Freude groß. Kurz gesagt: Caspar David Friedrich ist „in“.

Die unerwartet positive Reaktion auf diese Art romantischer Malerei hat verschiedene Gründe: Vordergründig ganz sicher der starke Naturbezug insbesondere der ikonisch gewordenen Ölbilder (Neben dem „Wanderer über dem Nebelmeer“ natürlich die „Kreidefelsen Rügens“). In Zeiten der allgegenwärtigen Klimaschutzdebatte und des damit einhergehenden wachsenden Umweltbewusstseins ist die Empfänglichkeit für derartige „Bilder“ nur zu verständlich. Friedrich sozusagen hochstilisiert zum Klimaaktivisten der ersten Stunde. Wie sehr dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alexander Klar, an der Solidarität mit Klimaschützern liegt, macht seine mehr als freundliche Reaktion auf den Anschlag gegen den „Wanderer im Nebelmeer“ der „Letzten Generation“ im März des letzten Jahres deutlich: „Wenn man als Museum relevant sein will, muss man mit solchen Aktionen leben“, sagte er in einem Interview im März 2023. Bleibt zu notieren: Das Bild blieb unbeschädigt. Der Öffentlichkeitseffekt war enorm. Die Relevanz bewiesen. Sehr viele der Friedrich‘schen Gemälde atmen die Sehnsucht nach einer heileren Welt aus. Ja – es wäre sicher keine Vergewaltigung der inneren Einstellung des Malers, bei ihm so etwas wie die Sehnsucht nach einem verlorenen Paradies als Beweggrund seiner Bildsprache zu finden. Theologisch übersetzt in unsere Zeit: In Caspar David Friedrichs Bildern atmet der ökumenische Geist des Engagements für die „integrity of creation“ („Bewahrung der Schöpfung“). Bilder mit dem weit gespannten Regenbogen über der Landschaft hat er immer wieder gemalt. Friedrich kannte seine Bibel. Und da war ihm die symbolische Bedeutung dieses verheißungsvollen Zeichens als Versprechen Gottes völlig klar. Der Regenbogen ist ein Handschlag des Schöpfers. „Solange die Erde besteht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter …“ (Genesis 8,22).

Aber natürlich ist dem Maler auch die Bedrohung, die Gefährdung des Menschen durch Naturgewalten bewusst: Das „Eismeer“ (1823/24) mit dem hoffnungslos festgefrorenen Schiff verdeutlicht diese Erkenntnis. Das Dilemma menschlicher Existenz zwischen Himmel und Hölle, Schöpfungsidylle und Abgrund, ist immer wieder zum Greifen nah. Das macht die Modernität Caspar David Friedrichs aus. Er sieht die menschliche Existenz hin- und hergerissen zwischen Erkenntnis und Nihilismus.

Spiel von Licht und Schatten

Seine Antwort sucht und findet er im Religiösen. Allein ein Leben in „Demut“ – im Bewusstsein eigener Erlösungsbedürftigkeit – sei für den im christlich geprägten Greifswalder Elternhaus geborenen Künstler möglich. Dabei ist es interessant zu wissen, dass sein Vater Adolph Friedrich von Beruf Kerzenzieher war. Werkstatt und Wohnung befanden sich im Schatten des Domes, für den sein im lutherischen Pietismus verwurzelter Vater die Beleuchtungsmittel produzierte. Dieser mystisch wirkende Kerzenschein prägte sicher schon den jungen Caspar David. Das Spiel von Licht und Schatten, den Kontrast zwischen Hell und Dunkel hat er verinnerlicht. Darum kein Wunder: Diese Stimmung macht den Reiz sehr vieler seiner späteren Bilder aus. Sogar als Landschaftsmaler arbeitet er mit Vorliebe im Mondlicht oder bei Sonnenauf- oder -untergang. Die menschliche Gebrochenheit angesichts der verletzlichen Schöpfung, aber auch eine Haltung innerer Ehrfurcht lassen sich eben weniger gut im prallen Sonnenlicht als im Nebel oder Abenddunst abbilden. Diese Art der Empfindsamkeit sowie des Nachspürens und Nachsinnens macht den Naturmaler zum Romantiker oder – frei nach Florian Illies – zum „Zauberer der Stille“.

Nicht Faustischer Geist, sondern Demut als christliche Kardinaltugend ist das in schöner Regelmäßigkeit wiederkehrende Friedrich-Thema. Er verlässt die heroische Epoche der Weimarer Klassik und will des „Pudels Kern“ in der Einsicht des Nichtwissens finden. Besonders eindrücklich wird das in dem berühmten Kolossalgemälde „Mönch am Meer“ (1808/10). Es ist ein Glücksfall, dass vom Maler selbst „O-Töne“ vorliegen, in denen er sein eigenes Werk interpretiert. „Es ist ein Seestück. Am Strand geht tiefsinnig ein Mann im schwarzen Gewand. Möwen fliegen ängstlich schreiend um ihn her, als wollten sie ihn warnen, sich nicht auf das ungestüme Meer zu wagen … Und sinnest du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht: dennoch würdest du nicht ergründen das unerforschliche Jenseits! Mit übermütigem Dünkel meinst du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträtseln der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahnung ist, kann nur im Glauben gesehen und erkannt werden! Zwar sind deine Fußstapfen am öden, sandigen Strande; doch ein leiser Wind weht darüber hin. Und deine Spur wird nicht mehr gesehen: törichter Mensch – voll eitlem Dünkel!“ (frei nach einer Abschrift aus Friedrichs Brief an Johannes Schulze, 1809)

Das Bild vom Mönch am Meer ist schon darum von besonderer Bedeutung, weil es ihm in der Künstlerszene zu erstem Ruhm verhalf. Heinrich von Kleist reagierte auf das Bild tief bewegt, es wirke so stark auf einen ein, als würden einem „die Augenlider weggeschnitten“. Bei dessen Entstehung – es sind immerhin zwei Jahre, in denen Friedrich das Bild auf seiner Dresdner Staffelei stehen hat – ändert sich die Gestaltung und damit die Bildaussage enorm. Ursprünglich waren Fischer und deren Boote neben dem „einsamen“ Menschen am Strand zu sehen. Moderne Infrarottechnik zeigt genau die jeweiligen massiven Veränderungen. Das Bild zeigt nach dem Übermalen im Prinzip nur noch die Verlorenheit des einzelnen Menschen angesichts der sich ausschweigenden Natur. Warum diese radikale Reduzierung? Intensive Gespräche mit Friedrich Daniel Schleiermacher sollen entscheidender Beweggrund für diese Veränderungen sein.

Schon als Schleiermacher 1798 in Berlin seine epochemachende Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter den Verächtern“ (unter Pseudonym!) entwirft, könnte es zu einer ersten Begegnung zwischen dem Theologen und dem Maler gekommen sein. Denn in diesem Jahr besucht Caspar David Friedrich in Berlin seinen aus Greifswald stammenden Jugendfreund Georg Andreas Reimer, den Verleger der Predigten und später Wohnungsvermieter Schleiermachers. Der Kunsthistoriker (und einer der besten Friedrichkenner) Werner Busch hält es für wahrscheinlich, dass es schon damals zu einem anregenden intellektuellen Austausch zwischen den Geistesgrößen gekommen sei. Wer weiß, wer weiß?

„Vom Fleck weg“ gekauft

Die dann entscheidende Begegnung findet nachweislich im Jahr 1810 statt. Der aufstrebende Theologieprofessor Schleiermacher war damals frisch berufenes Mitglied der Sektion für den Öffentlichen Unterricht und war damit zuständig für die Akademieaufsicht und die Organisation der Berliner Kunstausstellung. In dieser Funktion besucht der Theologe im September 1810 den Maler in seinem Dresdner Atelier, auf dessen Staffelei die berühmten Bilder „Mönch am Meer“ und „Abtei im Eichwald“ stehen. Es muss zu einer intensiven und äußerst anregenden Diskussion zwischen Schleiermacher und Friedrich gekommen sein. Denn kurz darauf hat der Maler die oben genannten Reduzierungen vorgenommen. Ende September 1810 sind dann beide Bilder in der Ausstellung zu sehen und werden „vom Fleck weg“ von König Friedrich Wilhelm III. gekauft. Wie es heißt, habe der 15-jährige Kronprinz seinen Vater bekniet, diese für damalige Zeiten hochmodernen Werke zu erwerben. Bis heute gehören beide Bilder zu den prominenten Schätzen der Berliner Nationalgalerie.

Genauere Kenntnis der Theologie Schleiermachers und der Bildtheorie Friedrichs erlauben den Schluss, dass sich hier zwei kongeniale „Geister“ getroffen haben. Während der philosophisch argumentierende Theologe den springenden Erkenntnispunkt im „religiösen Gefühl’’ sieht, definiert auch der Maler seine Kunst ganz ähnlich. Nicht das, was vor dem bloßen Auge rein physikalisch erkennbar ist, wird auf die Leinwand übertragen, sondern das, was sich dem Künstler vor seinem „inneren Auge“ zeigt – was er also quasi erfühlt! –, sei Gegenstand des wahren Kunstwerkes. Der Künstler müsse in die Natur „hinein sehen“. Es gilt nach Caspar David Friedrich das „Gefühl als Gesetz“ (so 1830 in seinen „Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden“).

Auf den Punkt gebracht: Was Schleiermacher predigte, brachte Friedrich auf die Leinwand. Das mag ein Grund für die Begeisterung unserer Zeitgenossen für diese Art Romantik sein. In den heutigen oft als kalt empfundenen und technisch definierten Zeiten mag darum die Wiederentdeckung echter Gefühle herbeigesehnt sein. Ein bisschen Seelenwärme tut gut.

Der an der lutherischen Kreuzestheologie ausgerichtete Glaube Friedrichs wird exemplarisch im damals höchst umstrittenen „Tetschener Altar“ deutlich (siehe Seite 17). Ursprünglich wollte der im damals schwedischen Greifswald geborene Maler seinem König Gustav Adolf IV. als Retter des Protestantismus und unbeugsamer Widersacher gegen napoleonische Machtgelüste ein „frommes“ Altarbild im modernen lutherischen Outfit schenken. Ganz unprätentiös.

Das Ergebnis: ein Kreuz mit abgewandtem Korpus mitten in einer Berglandschaft. Ohne jeden Verweis auf klassische Kruzifixdarstellungen. Bildgegenstand: ein Kreuz. Ein Berg. Tannen. Strahlen der untergehenden Sonne. (Ironie der Geschichte: Der lutherische schwedische König wurde in die Wüste geschickt, das fromme Bild erwarb ein katholischer böhmischer Graf.)

Mit diesem Bild brach Friedrich einen fulminanten Streit vom Zaun. Seine Kunst rief die Konservativen auf den Plan: denn „damit krieche die Landschaft auf die Altäre“. Doch diesen Vorwurf ließ der Maler nicht auf sich sitzen. O-Ton Friedrich: „Es starb mit Jesu Lehre eine alte Welt … Diese Sonne sank … Auf einem Felsen steht aufgerichtet das Kreuz, unerschütterlich fest, wie unser Glaube an Jesum Christum. Immer grün durch alle Zeiten.“

Summa: Was der Theologe Schleiermacher zur Erneuerung der Theologie durch Gefühl und Anschauung des Universums beitrug, drückte Friedrich mit seiner Malerei aus. Vielleicht erreicht er gerade darum in unseren Zeiten unter den religiösen Skeptikern die „Gebildeten unter ihren Verächtern“. Wer weiß, wer weiß? 

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