Eintracht Frankfurt heißt das Motto

Warum „Die Zweiflers“ eine großartige Serie ist
Foto: Privat

Nur kurz will ich klagen, um dann um so stärker loben zu können. Oft stützstrümpfig ist das Unterhaltungsprogramm des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens: Konfektionsware am laufenden Band; alberne Postkartenidyllen mit deutschsprachigen Kommissarinnen und Kommissaren in ganz Europa, die sich durch schrecklich müde Geschichten berserkern; sogar der Klassiker Tatort schwächelt und wirkt hüftsteif, weil alle Verantwortlichen der Grundfrage Whodunit misstrauen; wohin man klickt: abwaschbare Geschichten im Doppelpack; Krankenhausserien, die nur die Sehnsucht nach den guten alten englischsprachigen Serien aufrufen, die Witz konnten; Yogamattensemantik als Dialogprinzip; kostümierte Kreuzfahrtschiff-tristesse; Serien mit Goldrand. Immer habe ich den Finger am Abschaltbutton. Und dann das: zwei großartige Serien nacheinander: Kafka und Die Zweiflers.    

Also: Wer Unterhaltung sucht, die auch den Content-Hunger bedient, wer große, wahrlich souveräne Schauspielkunst erleben will, wer gewitzte Dialoge ohne Slimfitästhetik schätzt, wer wokemüde ist – hereinspaziert in diese erste Staffel. Willkommen bei der Familie Zweifler, eine Mischpoke in Frankfurt, bei der ich am liebsten sofort einziehen möchte. Ja. Diese oft skurrile Serie ist eine überbordende Liebeserklärung an die Familie. Trotz aller Krisen, die sich gegenseitig überholen, heißt das Motto: Eintracht Frankfurt. Letztlich siegt die Warmherzigkeit, die dank des fulminanten Drehbuchs (Sarah Hadda, David Hadda, Juri Sternburg) nie klebrig wirkt.

Raumgreifende Präsenz

Movens der Geschichte ist die Entscheidung des Patriarchen Symcha Zweifler (Mike Burstyn) sein Delikatessen-Imperium zu verkaufen. Das alarmiert alle Mitglieder des Familienclans, auch die Enkelin Dana Zweifler (Deleila Piasko), die lange in Israel lebte, kehrt zurück. Dramaturgisch ist der älteste Enkel des Firmengründers Hauptfigur: Samuel Zweifler (Aaron Altaras), der sich aus der Mischpoke herausgearbeitet hat und in Berlin im Musikbusiness versucht Karriere zu machen. Aber die eigentliche Hauptfigur ist die älteste Tochter des Patriarchen: Mimi Zweifler. Sunnyi Melles spielt diese Mame mit einer prächtigen raumgreifenden Präsenz, die viele Stimmungen, kleine Gesten, präzise Mimik kennt. Ein Hochgenuss. 

Hier wird ein Klischee der jüdischen Mame kernsaniert. Mimi Zweifler, resolut unterstützt von ihrer Mutter Lilka Zweifler (Eleanor Reissa), setzt, als die Freundin ihres Sohnes, Saba Henriques (Saffron Coomber), schwanger wird, alles daran, das Kind in den Schoss der Familie einzubürgern. Einen Rabbi, leidensfähig ihren Wortkaskaden gegenüber, versucht sie zu überzeugen, dass es auch in der Karibik, der familiäre Hintergrund der Freundin, bisher kaum wahrgenommene jüdische Gemeinschaften gibt, die den zu erwartenden Enkel also zu einem Juden machen, der beschnitten werden kann. Basta. Und irgendwann kollabiert auch der Widerstand der jungen Mutter, Mitinhaberin eines Edelrestaurants.

Leo Zweifler (Leon Altaras), der jüngere Bruder der Hauptfigur (auch im richtigen Leben der Bruder), gilt als künstlerisches Ausnahmetalent. Auf seiner ersten Gruppenausstellung erscheint auch die Familie. Die sieht sich konfrontiert mit einem lasziven Familienporträt, eine Mischung aus Hieronymus Bosch und Neo Rauch. Kommentar des ältesten Sohns: Mama, du hast dich echt gut gehalten. Und ein Skandal, der an die letzte documenta erinnert, wird inszeniert: Zu sehen ist eine Installation It’s Shoa Time, eingefasst in einen stilisierten Torbogen, den das Bildgedächtnis sofort erinnert. Gezeigt wird, wie junge Hähnchenküken geschreddert werden –  gestaltet, wie der Mann der Mimi, Jackie Horovitz (Mark Ivanir), durch das allwissende Internet herausfindet, von einer Enkelin eines ehemaligen Mitglieds der Waffen SS. Das kurze Gespräch mit dem Ausstellungsmacher, der mit Verweis auf die Inszenierung die Shoa relativiert, endet mit einer Ohrfeige durch den Patriarchen.

Herrliches Hörerlebnis

Meine Lieblingsfigur ist der angeheiratete Mann der Mimi, ein Therapeut, der seine Rolle in der Familie nie so richtig findet. Großartig ist eine Szene auf dem Friedhof, als Jackie auf Ivrit (modernes Hebräisch) mit seinen Eltern spricht und klagt und doch seinen Frieden findet. Überhaupt: für deutsche Fernsehzuschauer, die alle fremde Sprachen leicht verdaulich eingedeutscht bekommen, ist diese Sprachenvielfalt: Jiddisch, Ivrit (mit Untertiteln), englisch, deutsch ein herrliches Hörerlebnis. Und Ute Lemper, sie spielt die in Amerika lebende Schwester der Mimi, die zu Besuch kommt, gibt eine verzaubernde Gesangseinlage.

Weil die Presse Wind von dem Verkaufsdeal bekommt, werden alte Verquickungen im Rotlicht-Milieu aufgewärmt (Martin Wuttke als Sigi), die den Kaufpreis drücken und die Verkaufspläne vereiteln. Jetzt ist die Familie gefragt. Man ahnte es: Es bleibt alles in der Familie.

Zur recht wurde in Cannes diese Serie als beste Serie (Regie: Clara von Arnim, Anja Marquardt) und beste Musik (Petja Virikko, Marko Nyberg) ausgezeichnet. Sind die Zweiflers also Sopranos auf jüdisch? Nein. Die Serie ist viel authentischer, mutiger und auch witziger. Ganz ohne Stützstrümpfe. Bravo! 

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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