Das Gift der Sprache

Für ein Minimum an Diskurskultur in der Evangelischen Kirche
Graphik Sprache
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Die Sprache im Streit um Schöpfungstheologie und den Umgang mit Klimawandel und Klimaschutzprotesten sei vergiftet, warnt die Theologin Angelika Nothwang. Im folgenden Text analysiert sie die Metaphern, die genutzt werden und fordert zu einer anderen Diskussionskultur auf, macht aber auch ihre eigne Position in der Debatte klar. 

„Diffamieren, um zu eliminieren“ - So steht es im Untertitel von Günter Thomas´ Replik auf Constantin Gröhn. Der Vorwurf ist wirklich hoch gegriffen. Diffamiert wurden im Dritten Reich Jüdinnen und Juden, mit dem Ziel, sie ohne Widerstand seitens der nichtjüdischen Bevölkerung eliminieren zu können. Daniel Goldhagen spricht deshalb in seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ vom „eliminatorischen Antisemitismus“. Und wir alle wissen, dass „eliminieren“ hier nicht metaphorisch gemeint war. Was ist – im Vergleich dazu - hier passiert? Ein Theologe hat sich sehr kritisch zu Texten von Ralf Frisch, Günter Thomas und Ulrich Körtner geäußert, die Frage beleuchtet, ob die drei eine (gemeinsame) politische Agenda verfolgen, dabei Beobachtungen und Vermutungen zusammengetragen.

Günter Thomas kann nichts dafür, dass kurz nach seinem Beitrag Hans Georg Maaßens Behauptung eines „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“ publik wurde. Bei Maaßens Formulierung drängt sich die Frage auf, ob er sich jemals mit „eliminatorischem Rassismus“ befasst hat – oder auch schlicht: ob er noch ganz bei Trost ist. Auch wenn Thomas immerhin die Konkretisierung vornimmt, Gröhn wolle ihn und seine Mitstreiter aus dem Diskurs „eliminieren“, sollen wir uns das „Eliminiertwerden“ von Frisch, Körtner und seiner Person möglichst drastisch vorstellen, darum das Bild von den Skalps „alter weißer Männer“, die Gröhn triumphierend davontrage.

Wenn ich hier die von Thomas verwendete Sprache beleuchte, wird er mir wahrscheinlich „Metaphernschnüffelei“ vorwerfen, wie er es auch bei Gröhn tut – und „Metaphernschnüffelei“ steht hier stellvertretend für Gesinnungsschnüffelei. Nichts anderes erwartet man von einem Menschen, der in „totalitärem Denken“ gefangen ist, wie Thomas es bei Gröhn diagnostiziert. Überhaupt ist festzustellen, dass Thomas nicht eben zimperlich ist, wenn es darum geht, Gröhn anzugreifen. Wenigstens bleibt offen, ob er nur „töricht oder grenzenlos zynisch“ ist. Eine „fehlende moralische Integrität“ Gröhns stellt Thomas aber fest, eine Nummer kleiner tut er, der Argumente ad personam doch ablehnt, es nicht. Ob hier Gröhn aus dem Diskurs eliminiert werden soll?

Wirkungsvolles Framing

Angesichts des Vorwurfs der Metaphernschnüffelei stellt sich mir die Frage, ob wir als Theologinnen und Theologen etwa nicht sorgfältig sein sollten bei der Wahl von Metaphern? Wer wie Thomas selbst anmahnt, man möge diskriminierende Assoziationen, ein Framing, das darauf zielt, dass immer etwas hängen bleibt, meiden, müsste doch vorsichtig sein in der Wahl der Metaphern, die er benutzt. „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da“, hat schon Victor Klemperer festgestellt. Es gibt also gute Gründe dafür Sprache bedachtsam zu wählen. Und zur Bedachtsamkeit gehört wohl auch, bei der Wahl der eigenen Sprache zu bedenken, in welche Gesellschaft wir uns mit ihr stellen.

Immerhin schön zu lesen, dass Thomas den menschengemachten Klimawandel nicht bestreitet. Könnte trotzdem etwas dran sein an dem Vorwurf, Thomas betreibe „Klimadesinformation“, den Gröhn in seinem Beitrag „Verschwörungstheorien im Mantel theologischer Reflexion?“ erhebt? Das kommt darauf an, wo Desinformation anfängt: erst da, wo ich menschliche Einflüsse auf den Klimawandel überhaupt bestreite, oder schon da, wo ich die Dringlichkeit der Situation herunterspiele? Ersteres ist kaum noch möglich, doch letzteres muss sich Thomas m.E. zurechnen lassen, denn er spricht in seinem Baustellentext von „vermeintlicher Dringlichkeit“, an anderer Stelle auch von „erklärter Dringlichkeit“. „Vermeintlich“ bedeutet laut Duden „irrtümlich, fälschlich vermutet bzw. angenommen“ oder auch „scheinbar“ (und nicht „anscheinend“) – und „erklärte Dringlichkeit“ könnte man vielleicht als „behauptete Dringlichkeit“ übersetzen.

Da ich Herrn Thomas eine souveräne Beherrschung der deutschen Sprache zutraue, vermute ich hier Absicht und - wie Constantin Gröhn - Klimadesinformation in dem Sinn, dass eben die Dringlichkeit der Situation heruntergespielt wird. Das passiert auch da, wo Thomas und andere Dramatisierung der Lage, Alarmismus, apokalyptische Zuspitzungen, Klimahysterie, Flirt mit dem Ausnahmezustand und dergleichen meinen feststellen zu müssen und wo Thomas für sich selbst „entdramatisierende Nachdenklichkeit“ in Anspruch nimmt und „barmherzige Geduld“ als eine der gegenwärtigen Situation angemessene Haltung propagiert. Nun ist es wahrscheinlich ein allgemein menschliches Phänomen, dass man Realismus immer für sich selbst beansprucht. Allerdings sollte man sich Rechenschaft ablegen über die Quellen der eigenen Wahrnehmung der Welt. Verständlich, dass Thomas als Theologe bei der Frage nach dem Menschenbild auf die Bibel zurückgreift, weniger verständlich allerdings ist, dass er die Diagnose der meisten Klimaforscher als nicht realitätsgerecht meint abtun zu können.

Nicht rückholbar

Nun legt Thomas in seiner Replik auf Gröhn Wert auf die Feststellung, dass er im Baustellenartikel mit Rückholbarkeit und Regenerierungsfähigkeit zwei Kriterien für erlaubte Eingriffe des Menschen in Ökosysteme nennt. Wer würde der Sinnhaftigkeit der von Thomas genannten Kriterien widersprechen?! Allerdings ist diese Forderung nicht ganz auf der Höhe der Zeit, um es freundlich zu sagen. In welcher Welt lebt Thomas? Sind die vielen nicht wieder rückgängig zu machenden Eingriffe in Ökosysteme, die wir schon hinter uns haben, nicht zu ihm durchgedrungen? Ausgestorbene Arten bleiben ausgestorben, getaute Permafrostböden ruinieren Infrastruktur und heizen durch das Methan, das sie freisetzen, den Klimawandel weiter an, und schmelzende Gletscher richten erst riesige Überschwemmungen an und fallen später als Trinkwasserquelle aus, nachdem sie zuvor ihren Beitrag zum Anstieg des Meeresspiegels geleistet haben. Alles Hysterie? Nein, schon im Gange… Und so betreibt, wer in der gegenwärtigen Situation nach Rückholbarkeit und Regenerierungsfähigkeit fragt, eben doch „Klimadesinformation“, einfach weil er so tut, als stünden wir am Beginn der Entwicklung, wo wir doch aktuell feststellen müssen, dass wir uns über Rückholbarkeit und Regenerierungsfähigkeit viel zu lange viel zu wenig Gedanken gemacht haben. Für jemanden, der für sich selbst beansprucht, dass er „pointierte Fragen stellt und die Dinge konsequent zu Ende zu denken versucht“, ist es schon ein wenig merkwürdig, dass er schon bei der Wahrnehmung der Gegenwart schwächelt.

Kommen wir zum Virus – als biologischem Phänomen und als Metapher: Thomas selbst spricht das biologische Phänomen an und zieht daraus grundsätzliche theologische Folgerungen„Jede Nadel einer Corona-Impfung injiziert die Einsicht mit: Gott ist nicht einfach ein Freund des Lebens. Wer so denkt, macht ihn zum Dämon. Gott ist auch ein Feind des Lebens – des bedrohenden und chaotischen, als Nacht und Zerstörung hereinbrechenden Lebens. Gott ist ein Feind manchen biologischen Lebens zugunsten heilvoll gelingenden biologischen Lebens – von Menschen und anderen Geschöpfen.“

Um es knapp zu sagen: die grundsätzlichen theologischen Folgerungen sind das Problem: Denn als bedrohendes Leben wird ja in aller Regel das den Menschen und seine Interessen bedrohende Leben gesehen. Könnten wir nicht ein bisschen bescheidener sein: Wenn wir impfen, impfen wir im Interesse der Menschen. Das reicht aus. Wir handeln im eigenen Interesse, nach bestem Wissen und Gewissen, aber nicht im Auftrag Gottes. Gott hier in Anspruch zu nehmen, öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Wo wollen wir denn die Grenze ziehen? Ein Wolf bringt Tod und Zerstörung, Katzen sind nicht nur Streicheltiere, eine Herde Elefanten kann ein Dorf verwüsten usw. usw. Und der Mensch? Tiere können sich nicht äußern, aber sie hätten hier durchaus etwas zu sagen. Albert Schweitzer hat das Dilemma prägnant formuliert: Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will. Als Arzt hat Schweitzer natürlich Leben zerstört, um Leben zu retten. Aber er war sich gleichzeitig der Tatsache bewusst, dass er diese Entscheidung nicht einfach mit „Gott will es“ abhaken kann. Zu leicht passiert es doch, dass wir menschliche „Aspirationen“ für Gottes Aspirationen halten (vgl. zum Begriff der Aspiration Günter Thomas, Gottes Lebendigkeit. Beiträge zur Systematischen Theologie S.3) So weit zum Virus als biologischem Phänomen, dessen Bekämpfung Thomas m.E. theologisch überhöht.

Virus als Metapher

Kommen wir zum Virus als Metapher, zu finden bei Thomas´ Freund und Mitstreiter Ralf Frisch: Dieser bemüht Krankheitsbilder, um die Bedrohung des christlichen Glaubens durch Klimaschützer und Menschen, die bei der Gerechtigkeitsfrage eine globale Perspektive in die Diskussion einbringen, zu illustrieren: Frisch sieht den „Umbau des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche hin zu einer alternativlos diesseitigen humanistisch-moralistisch-ökologischen Naturreligion“ kommen. „Das so entstehende neue Christentum würde – mit Verlaub – gleichsam der Überlebensstrategie eines Virus folgen, der sich der genetischen Logistik seines Wirts bedient und diese umkonfiguriert, um diesen Wirt von innen heraus zu schädigen und sogar zu zerstören.Der rettende Eigensinn Gottes. Wie wir theologisch am sinnvollsten mit den Risiken und Nebenwirkungen der Schöpfung umgehen – und wie besser nicht, zz 01/22

Auch in Frischs jüngst erschienenem Buch Widerstand und Versuchung. Als Bonhoeffers Theologie die Fassung verlor, dem ein Dank an Günter Thomas vorangestellt ist (S.23), finden sich ähnliche Bedrohungsszenarien: „(…) gelingt es einer neuheidnischen Naturreligion mit Leichtigkeit, sich der Infrastruktur der christlichen Kirche zu bedienen und deren Inhalte und Grundüberzeugungen zu schwächen, ohne dass das Immunsystem des Christentums Alarm schlüge. Es erkennt den Feind nicht. Im Gegenteil. Es hält ihn für einen Freund und öffnet so einem trojanischen Pferd Tür und Tor.“ (a.a.0., S.82)

Welche Metaphern wir nutzen, ist nicht egal! Hier werden diejenigen, die als politische Gegner im Raum der Kirche attackiert werden, und die Gedanken, für die sie eintreten, zur potentiell tödlichen Viruslast, gegen die das Immunsystem (in Gestalt von Frisch?) zuschlagen muss, sie sind Feinde des Christentums, gegen die in den Krieg zu ziehen ist.

Geheime Ziele

Es ist erfreulich, dass Thomas empfindlich reagiert, wenn Gröhn auf antisemitische Muster hinweist. Immerhin bedeutet es, dass Antisemitismus in der Evangelischen Kirche nicht mehr als genuin christlich verstanden wird, was ja nicht selbstverständlich ist. Allerdings wäre es noch erfreulicher, wenn man auch ein Bewusstsein für antisemitische Argumentationsmuster voraussetzen könnte, da, wo sie ohne die ausdrückliche Erwähnung von Juden verwendet werden. Denn in dieser Form begegnen antisemitische Denkmuster heute in aller Regel. Deshalb ist es schade, dass Thomas seinen Freund Ralf Frisch offensichtlich nicht gebremst hat, denn Frisch spricht mit Krankheitsbildern von politischen Gegnern im Raum der Kirche, mit Phantasien von Unterwanderung und Bedrohung, die aus unseligen Zeiten bekannt sind. Ein regelmäßig wiederkehrendes Motiv von Verschwörungsideologien ist die Idee, es gehe Menschen gar nicht um das, was sie nach außen vertreten, sondern um geheime Ziele.

Auch da liefert Ralf Frisch einen interessanten Beitrag: „Wer daran zweifelt, dass sich hinter der dunkelgrünen Rebellion blutroter Klima-Maoismus verbirgt, sollte folgende Sätze genau lesen: ,Die große Transformation ist eine Revolution, die die Seelen der Menschen erfasst hat. Sie trifft die grundsätzliche Position der Menschen, bestimmt ihre Weltanschauung, bestimmt den Weg, den sie bereits gegangen sind oder noch gehen werden, und erfasst die ganze Revolutionsgeschichte... Dies ist die größte, in der Geschichte der Menschheit noch nie dagewesene Umwälzung der Gesellschaft. Sie wird eine ganze Generation von standhaften Klimaschützern heranbilden.´ Die Sätze stammen aus dem Jahr 1967. Es sind Sätze Mao Tse-Tungs. Ich habe im Zitat lediglich ,Proletarische Kulturrevolution´ durch ,Transformation´ und ,Kommunisten´ durch ,Klimaschützer´ ersetzt.“ Ralf Frisch, Mao reloaded. Wohin radikale Klimatheologie führt, Zeitzeichen.net, März 2022

Was Frisch hier präsentiert, ist nicht nur der offene Verzicht eines Theologieprofessors auf jeglichen wissenschaftlichen Anspruch, Frisch produziert durch seine Einfügungen Fake-News und Verschwörungstheorie in einem. Auch damit begibt er sich in die Tradition antisemitischer Denkmuster. Sein Vorgehen hat darüber hinaus keinerlei aufklärerischen Mehrwert, denn man könnte „Proletarische Kulturrevolution“ auch durch „nationale Wiedergeburt“ und „Kommunisten“ durch „Deutsche“ ersetzen. 

Sorge um Meinungsfreiheit

Kommen wir von bedenklichen Metaphern bei Frisch wieder zurück auf Günter Thomas und seine Replik auf Constantin Gröhn: Ein zentrales Motiv der Replik ist die Sorge um Demokratie und Meinungsfreiheit in der Kirche. Das ist schön. Um Demokratie und Meinungsfreiheit sorgt sich Günter Thomas schon lange. Seine Sorge wird allerdings etwas einseitig laut, denn die Meinung von links-grünen Gutmenschen vor allem innerhalb der evangelischen Kirche wird von Thomas als illiberale Bevormundung betrachtet. Gleichzeitig kämpft er tapfer gegen diejenigen in der Kirche, die vor der AfD warnen. Dabei fällt auf, dass er in diesem Zusammenhang schon 2017 gern zum Urteil „töricht“ gegriffen hat, das er nun auch Gröhn um die Ohren haut. Ob Thomas sein Urteil über die der Kirche angemessene Haltung zur AfD inzwischen revidiert hat? Wie viel Antisemitismus ist für die Toleranz gegenüber der AfD hinzunehmen, könnte man in Abwandlung einer Suggestivfrage von Günter Thomas aus dem Baustellenartikel fragen: „Wie viel Antisemitismus darf den Protesten gegen den fossilen Kapitalismus beigemischt werden?“ An diesem Beispiel lässt sich Thomas´ Strategie gut veranschaulichen: Stelle eine Frage, dann hast du nichts gesagt, wofür du zur Rechenschaft gezogen werden könntest. Und formuliere sie so, dass an der Gegenseite etwas hängen bleibt.

Ein weiteres Beispiel für dieses Vorgehen? „Wieviel ukrainisches Blut klebt ganz ungeplant an den Händen derer, die den Atom- und den Kohleausstieg vorangetrieben haben?“ Thomas selbst jedenfalls beherrscht Framing ausgezeichnet.

Ob Thomas heute immer noch von Vertretern der evangelischen Kirche Toleranz gegenüber der AfD verlangen würde, sei dahingestellt. Immerhin lässt sich an dem Artikel von 2017 beobachten, dass Thomas das, was er Gröhn vorwirft (sich nicht der inhaltlichen Auseinandersetzung zu stellen) ganz ausgeprägt selbst praktiziert. Keiner von denen, die 2017 vor der AfD warnten, wird namentlich genannt, keine einzige der Begründungen, die sie mutmaßlich für ihre Warnungen vorgebracht haben, wird zitiert. Es ist nur von „AfD-Bashing“ die Rede, was demokratiefeindlich sei. Warum eigentlich? Menschen meiner Generation erinnern sich noch an Herbert Wehner, Franz Josef Strauß und ihre heftig geführten Auseinandersetzungen. Haben sie damit der Demokratie geschadet? Auch ist das Bewusstsein dafür, dass die Bedrohung der Demokratie auch von demokratisch gewählten Parteien ausgehen kann eine Konsequenz der Erfahrungen der Weimarer Republik.

Umgang mit der AfD

In seinem AfD-Artikel verweist Thomas auf Weltsichten außerhalb der EKD, um mehr Toleranz gegenüber der AfD anzumahnen. Ja, Homophobie, Nationalismus und die Vorliebe für patriarchale Familienstrukturen sind in der Christenheit weltweit verbreitet. Aber auch die Haltung zur Demokratie lässt in manchen Teilen der Weltchristenheit zu wünschen übrig, um es vorsichtig auszudrücken. Und Antijudaismus hat in der Christenheit eine lange Tradition, die immer wieder zu Tage tritt. Also: was folgt aus dem Hinweis auf die weltweite Christenheit? Sollte man tatenlos zusehen, wenn Einstellungen, für deren Überwindung Menschen aus guten Gründen jahrzehntelang gekämpft haben, in Deutschland wieder Einzug halten?

Sind Menschen, die hier widersprechen, wirklich antidemokratisch? In konservativen Kreisen wird von der Kirche oft politische Enthaltsamkeit gefordert, wenn eher linke Positionen vertreten werden. Konservative Positionen hingegen werden als genuin christlich in den Diskurs eingespielt. Protest gegen das C im Namen einer politischen Partei habe ich von konservativer Seite jedenfalls noch nicht vernommen.

Thomas nennt die Kritik an der AfD „Kirchlichen Populismus“. Eine eigene inhaltliche Auseinandersetzung von ihm mit Positionen der AfD konnte ich nicht finden. Dabei wäre hier ein Musterbeispiel dafür zu finden, dass Glaube politisch instrumentalisiert wird. Ich zitiere aus einem „Gebet für Deutschland“, das auf der facebook-Seite der Christen in der AfD zu finden ist:

„Wir lösen unser Land von falschen Schuldgefühlen, die uns zu schlechten Entscheidungen verleiten. Wir lösen unser Land von Selbsthass und Selbstverdammnis aufgrund unserer geschichtlichen Vergangenheit. Wir senden Gottes vergebende Kraft in die Herzen der Deutschen hinein. Als Antwort auf die Liebe Gottes rufen wir als deutsche Nation: Jesus, wir lieben dich! Wir segnen unsere Regierung, im Besonderen unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, ebenso ihre Ratgeber und sie beeinflussende Personen, mit der Erkenntnis der Wahrheit Gottes. Vater im Himmel, wir bitten dich den dunklen Schleier von unserer Regierung abzunehmen und ihnen eine klare Sicht zu geben.“

Cancel Culture in der Theologie?

Es ist mir bewusst, dass dieser Text aus dem Jahr 2020 stammt, also jünger ist als das Plädoyer von Günter Thomas gegen AfD-Bashing. Allerdings ließen schon die AfD-Demonstrationen von 2015 klar antidemokratisches Denken und rassistische Einstellungen erkennen. Die AfD will die Kirchen als unpolitischen Hort der Frommen – aber gleichzeitig sah sich Björn Höcke schon 2016, als er Gegenwind bekam, mit Martin Luther an seiner Seite im Kampf gegen den Teufel (https://www.deutschlandfunk.de/der-dom-bleibt-dunkel-der-konflikt-zwischen-der-afd-und-den-100.html). Ist es der Geschichte der evangelischen Kirche nicht angemessen, gegen die Entsorgung der deutschen Geschichte im Namen Gottes einzutreten? Sollten Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht tatsächlich vor einer Partei warnen, in der die eigenen Ziele so ungebrochen für den Willen Gottes gehalten werden. Hier jedenfalls könnte sich Thomas gegen die Vereinnahmung Gottes für politische Ziele und gegen totalitäres Denken engagieren.

Die Idee einer Cancel Culture, in der Menschen vom Diskurs ausgeschlossen („eliminiert“) werden, ist ein wiederkehrendes Motiv, das vor allem von konservativen Kreisen bemüht wird, in der Regel dann, wenn sie mit ihren Positionen Widerspruch ernten. Regelmäßig wird sie vor einer großen Öffentlichkeit vertreten, in Massenmedien, aber eben auch hier bei zeitzeichen.net. Ob diejenigen, die Cancel Culture vermuten, sobald ihre Position hinterfragt wird, den Begriff auch verwenden, wenn der Rücktritt von Anna Nicole Heinrich gefordert wird? In aller Regel lassen sich klare Belege für die Verbannung missliebiger Personen aus dem öffentlichen Leben nicht finden. Aber das macht nichts, man kann sie ja immer noch konstruieren. Auch hier erweist sich insbesondere Ralf Frisch als kreativ:  „Ich fürchte (…), dass im Jammertal der Großen Ökologisch-Theologischen Kulturrevolution alles daran gesetzt werden wird, die konterrevolutionären Elemente aus dem kulturellen Gedächtnis der Christenheit zu löschen.“ Ralf Frisch, Mao reloaded. Wohin radikale Klimatheologie führt, zz 03/2022

Frischs Freund Günter Thomas sekundiert im Baustellenartikel: „Welche medial sichtbaren Menschen stehen im Weg und stören die zielgerichtete Transformation des öffentlichen Bewusstseins?“

Keine Hoffnung auf Gott?

Der Rückgriff auf das Motiv der Cancel Culture ist ein interessantes Phänomen, insbesondere in der Debatte um die rechte Haltung der Evangelischen Kirche zum Klimaschutz. Denn in dieser Debatte werden von Thomas, Frisch und anderen Vorwürfe vorgebracht, die ihrerseits die Angesprochenen aus der innerkirchlichen Debatte nehmen sollen. Wer davon spricht, dass Menschen das Christentum zu einer neuheidnischen Naturreligion verfälschen, den Protestantismus zu einem Kryptokatholizismus machen, an die Stelle des Christentums eine Klimareligion setzen, im Grunde atheistisch sich selbst für das Heil zuständig fühlen und nicht mehr auf Gottes Gnade hoffen – der sagt damit: Ihr seid gar keine „richtigen“ Christen und habt deshalb in der Kirche auch nichts zu sagen. Auch das hat leider eine lange Tradition in den Kirchen, u.a. ist es Basis der Vielfalt der Kirchen.

Kondensiert man den zentralen Vorwurf von Frisch und Thomas an die Gegenseite in einen Satz, so könnte er lauten: Ihr hofft ja gar nicht mehr wirklich auf Gott. Und tatsächlich sagt ja Luisa Neubauer sehr prägnant: Gott wird uns nicht helfen. Stattdessen setzen die Klimaaktivistinnen und -aktivisten innerhalb und außerhalb der Kirche doch tatsächlich darauf, dass Menschen die Misere, die sie sich eingebrockt haben, selbst beheben müssen. Woher rührt dieses Setzen auf den Menschen – der doch bisher so offensichtlich versagt hat? Woher rührt der Glaube, dass Gott keine anderen Hände als unsere hat? Nun, aus historischer Erfahrung. Hans Jonas, bei dem sich Thomas bedient, wenn er den Begriff vom Weltabenteuer Gottes verwendet, hat sehr nüchtern festgestellt: „Kein rettendes Wunder geschah; durch die Jahre des Auschwitz-Wütens schwieg Gott. Die Wunder, die geschahen, kamen von Menschen allein.“ (Hans Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme). Günter Thomas stellt zur Ermordung der Juden fest: „das Ereignis von Auschwitz entsprach nicht Gottes Aspirationen“, um dann in einer Anmerkung hinzuzufügen: „Natürlich bleibt das Problem der Unterlassung bzw. Nichtintervention als Tat der Unterlassung im Raum stehen.“ (Gottes Lebendigkeit. Beiträge zur Systematischen Theologie, S. 260). Das heißt, Hans Jonas verweist auf die Menschen, die sich durch ihren Glauben an Gott dazu haben verleiten lassen, selbst etwas zu tun. Günter Thomas meint die Aspirationen Gottes zu kennen, muss aber eingestehen, dass das historische Geschehen den Aspirationen Gottes zuwiderlief.

Was ist eine angemessene Konsequenz aus dieser Erfahrung? Ist es tatsächlich angemessen, diejenigen in der Kirche zu attackieren, die auf gemeinsames Engagement möglichst vieler Menschen setzen. Wer hier zu wenig christliche Hoffnung erkennt, muss sich fragen lassen, was im Fall der Klimakrise Inhalt der christlichen Hoffnung ist! Dass Gott den Klimawandel aufhält? Dass es schon friedlich ablaufen wird, wenn beim Konflikt um Ressourcen und Lebensraum sich alle an das Gebot der Nächstenliebe halten? Dass das Leiden in dieser Welt nichts ist gegen die Freuden in der jenseitigen Welt? Oder dass uns die (Klima-)Sünden vergeben werden? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine Kirche, die sich so zum Klimawandel positionieren würde, Gott und die christliche Hoffnung missbrauchen würde. Jedenfalls warnt der Prophet Jeremia vor einem solchen Umgang mit religiöser Hoffnung: „Verlasst euch nicht auf das verlogene Gerede: >Der Tempel des HERRN ist doch hier! Der Tempel des HERRN wird uns schützen! Ja, hier ist der Tempel des HERRN!< Nein, es ist ganz anders: Ihr müsst euer Verhalten ändern….“ (Jer 7,4f)

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