Mao Reloaded

Wohin radikale Klimatheologie führt
Andy Warhol: „Mao Tse-Tung“ (1972).
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Andy Warhol: „Mao Tse-Tung“ (1972).

Der Nürnberger Pfarrer und Umweltaktivist Thomas Zeitler entwarf im Rahmen des Februar-Schwerpunktes „Kirche und Klima“ in zeitzeichen Umrisse einer Theologie für die „Große Transformation“. Ralf Frisch, Theologieprofessor und Buchautor, ebenfalls aus Nürnberg, widerspricht ihm entschieden.

Thomas Zeitler gebührt Respekt. Er hat den Mut, uns vor Augen zu führen, was es bedeutet, den Klimaschutz nicht nur um der Selbstgerechtigkeitsdemonstration willen als Accessoire mit sich herum oder als Monstranz vor sich her zu tragen, sondern ihn radikal ernst zu nehmen. Er macht keinen Hehl daraus, dass man auch zu einer fundamentalen Transformation der Theologie bereit sein muss, wenn man sich der ökopolitischen Transformation aller Lebensverhältnisse mit Haut und Haaren verschreiben will. Er legt die Karten auf den Tisch. Leider nicht alle. In seiner Skizze einer Theologie für die Große Transformation fehlen die Pinselstriche, die das skizzierte Bild zur Kenntlichkeit entstellen und als das offenbaren würden, was es ist – ein Horrorszenario.

Nicht, dass es so weitergeht, sondern dass es so kommen könnte, wie Thomas Zeitler sich das wünscht, wäre die eigentliche Katastrophe. Sie beginnt damit, dass die Evidenz eines moralischen Ausnahmezustands jenseits aller Güterabwägungen suggeriert wird, in dem differenzierte demokratische Diskurse als zynisch und zukunftsgefährdend erscheinen und daher letztlich nicht mehr ethisch legitim sind.

Ich werde im Folgenden den theopolitischen Teig, den Thomas Zeitler geknetet hat, ganz ausrollen, die Implikationen und Konsequenzen des Konzepts der Klimarebellion unmissverständlich pointieren und konturieren, worauf man sich theologisch und gesellschaftlich einzulassen bereit sein muss, wenn man mit der Großen Transformation flirtet. Dafür will ich zunächst Zeitlers Position nochmals auf den Punkt bringen. Sie steht im Zeichen der „Notbremse“. Weil die „Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts ... die eigentliche epochale Herausforderung unserer Generation darstellt“, fordert Zeitler angesichts der „Auslöschung von Leben in bisher nicht dagewesenem Maße (im Englischen: Extinction)“ einen „radikalen Umbau unseres zerstörerischen Zivilisationsmodells aus fossiler Energieverbrennung und Lebensraumvernichtung“, eine „Rebellion ... als den einzig sinnvollen und erfolgversprechenden Weg“. Zur „Rückkehr zu einem Zustand aus Wohl und Heil“ ist eine „Mobilisierung und Konzentration aller gesellschaftlichen Kräfte“ nötig. Denn der Menschheit bleibt „ganz unideologisch und basiert auf wissenschaftlichen Modellbildungen (...) vielleicht noch ein Zeitfenster von zehn Jahren zur Umsteuerung, wenn die Chance zur Vermeidung der Kipppunkte im Ökosystem der Erde gewahrt bleiben soll.“

In dieser planetaren Krise – so Zeitler weiter – hat die christliche Theologie nur noch eine Existenzberechtigung, wenn sie sich als „entschiedene Widerstands- und Transformationschristologie“ begreift, „Christus als heilender und rettender Macht innerweltlich einen klaren Platz“ zuweist und den „Christusimpuls“ trans- und interreligiös plausibel – also anschlussfähig an ein neues Heidentum, an „buddhistisch inspirierte Tiefenökologie oder indigene Spiritualitäten“ – so setzt, dass dadurch die „Umgestaltung des Menschen vom alten zum neuen Adam“ erfolgen und sich schließlich der kosmische Christus als „ökologischer Zusammenhang im Kern alles Geschaffenen“ verwirklichen kann.

Die „wirksame Befreiung von den Zerstörungs- und Todesmächten“ im Sinne einer „diesseitige(n) Soteriologie“ ist dabei gleichbedeutend mit der „Praxis“ der Auferstehung. Die Rettung verdankt sich nicht eines „außerweltlichen göttlichen Eingreifens“, sondern ist menschliche Möglichkeit, ja Notwendigkeit.

Alternativlos unterwerfen

So sehr Thomas Zeitler auf die „Umsteuerungs- und Selbstveränderungspotenziale“ des Menschen setzt, so sehr meldet er „Skepsis“ an, „ob das als eigene immanente Leistung aus dem eigenen freien Willensentschluss möglich ist“. Das kann zweierlei heißen. Es kann heißen, dass man sich, weil der Mensch ein Sünder und die Demokratie unantastbar ist, gegebenenfalls damit abfinden muss, dass Menschen sich gegen die Große Transformation entscheiden. Es kann aber auch heißen, dass man jene, die sich weigern, rebellionskonform von ihrer Freiheit zur Rückkehr zur Natur Gebrauch zu machen, so lange in Umerziehungslager steckt, bis ihre Selbstbestimmung sich den alternativlosen Zielen der Großen Transformation unterwirft.

An dieser Stelle ist der Moment gekommen, wo man Thomas Zeitler besser verstehen muss, als er sich selbst versteht. Mag sich die Aktivierung aller gesellschaftlichen und theologischen Kräfte auch als seelenverwandt mit der „Mobilisierungsanstrengung der Anti-Hitler-Koalition zu Beginn des Zweiten Weltkriegs“ empfinden – viel wahrscheinlicher ist es doch, dass die Große Transformation ins Gegenteil einer auf Einsicht und Freiheit gegründeten Politik und die Utopie in eine Dystopie umschlägt. Die Geschichte lehrt, dass die Gleichschaltung allen Denkens und Handelns nur auf totalitärem Weg, also letztlich gar nicht zu bewerkstelligen ist.

Wer daran zweifelt, dass sich hinter der dunkelgrünen Rebellion blutroter Klima-Maoismus verbirgt, sollte folgende Sätze genau lesen: „Die Große Transformation ist eine Revolution, die die Seelen der Menschen erfasst hat. Sie trifft die grundsätzliche Position der Menschen, bestimmt ihre Weltanschauung, bestimmt den Weg, den sie bereits gegangen sind oder noch gehen werden, und erfasst die gesamte Revolutionsgeschichte ... Dies ist die größte, in der Geschichte der Menschheit noch nie dagewesene Umwälzung der Gesellschaft. Sie wird eine ganze Generation von standhaften Klimaschützern heranbilden.“ Die Sätze stammen aus dem Jahr 1967. Es sind Sätze Mao Tse-Tungs. Ich habe im Zitat lediglich „Proletarische Kulturrevolution“ durch „Transformation“ und „Kommunisten“ durch „Klimaschützer“ ersetzt.

Natürlich werden derlei Analogien echte Klimarebellen ungerührt lassen. Wer der Menschheit noch maximal zehn Jahre Zeit zubilligt, um ökologisch umzusteuern, und wer zugleich den konsequenten Klimaschutz für die entscheidende epochale Pflicht des Homo sapiens hält, kann die Frage, ob es für den Klimaschutz einen Preis gibt, der zu hoch ist, Grenzen, die tabu sind, und Opfer, die nicht gebracht werden dürfen, nur mit einem verächtlichen Nein beantworten und wird aufgrund der Dringlichkeit seiner Mission letztlich auch irgendwann kein Problem damit haben, Überzeugung durch Überwältigung und Demokratie durch Diktatur zu ersetzen.

Dass Thomas Zeitler dies nicht auszusprechen wagt und möglicherweise vor den letzten Konsequenzen seines Bekenntnisses zurückzuckt, ist ehrenwert. Und ehrenwert scheint auch zu sein, dass er es dem christlichen Glauben zutraut, die Seelen selbst nichtchristlicher Menschen zu verwandeln und so die benötigte Energie zur kollektiven ökologischen Schubumkehr freizusetzen.

Allerdings will es mir nicht gelingen, diese Vision der Wiedergewinnung globaler Bedeutung des Christentums für attraktiv zu halten. Denn die skrupellose ökologische Instrumentalisierung des christlichen Glaubens und der christlichen Theologie lässt ungute Erinnerungen in mir wach werden. Sie reihen Zeitlers Rebellion in eine zweifelhafte Gesellschaft ein: in das „Deus lo vult“ des ersten Kreuzzugs, in das „Gott mit uns“ auf den Koppelschlössern der deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg und an den revolutionären Kampf einer württembergischen Pfarrerstochter namens Gudrun Ensslin gegen den imperialistischen internationalen Kapitalismus.

Von jeher besteht der Selbstbetrug von Gesinnungstätern darin, sich für ideologieresistent zu halten, weil sie sich im Auftrag des fraglos Menschheitsguten unterwegs wähnen. Das Gute ist nicht selten ein gefährlicherer Feind des Guten als das Böse – vor allem dann, wenn es sich mit einem absoluten moralischen Prinzip im Bunde weiß, dessen Unbedingtheit sich gerade dadurch als Unbedingtheit erweist, dass es keiner Einschränkung etwa durch Humanität unterworfen werden darf.

Besonders bemerkenswert finde ich die Nonchalance von Thomas Zeitlers rückstandsfreier Verwandlung Gottes in ein Synonym für das ökologisch revolutio­näre Rebellentum. Immerhin schreibt hier ein auf Schrift und Bekenntnis ordinierter Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Dass dieser Pfarrer jegliche Theologie eines nicht mit dem Menschen identischen Gottes als „außerweltlich“, „jenseitsorientiert“, „wissenschaftsignorante Beruhigung“ oder „chauvinistisches Survival“ lächerlich macht, offen der Selbsterlösung des Menschen das Wort redet und nur denjenigen Gott nicht polemisch diskreditiert, der als ideologisches metaphorisches Mittel die Zwecke des Menschen heiligt, ist frivol und programmatisch häretisch. Vielleicht bin ich theologisch zu zartbesaitet. Aber ich empfinde es als geradezu schamlos, wie der Ökorebell diesem Gott, der als Akteur eigentlich längst ausgedient hat, generös eine letzte Chance der Resozialisierung gibt, wenn er sich für die Große Kulturrevolution des Klimaschutzes prostituiert und auf diese Weise endlich nützlich macht.

Thomas Zeitler hätte natürlich noch schwerere theologische Geschütze auffahren können. Er hätte auf die urchristliche Idee des Martyriums zurückgreifen, das Opfer der Extinction des Homo sapiens als Königsweg zur Lösung des Klimaproblems fordern und auf diese Weise biopolitisch verhindern wollen können, dass die Menschheit auf Kosten künftiger Generationen lebt.

Ich bin froh, dass er all das in seinem Artikel nicht getan hat. Und froh bin ich im Grunde meines Herzens auch, dass das Vorhaben, die Welt zu einem Klima-Christus zu bekehren, zum Scheitern verurteilt ist. Unter anderem darum, weil kein Mensch einen Christus braucht, der unter seinen symbolischen Verkleidungen niemand anderes ist als der Mensch selbst. Und vielleicht auch deshalb, weil die christliche Usurpation des Klimaschutzes abschreckend wirken könnte. Manch ökologisch sensible Menschen möchten womöglich nicht im selben Boot mit einer Religion sitzen, die sie für ein sinkendes Schiff halten. Vielleicht ahnen sie, dass die Liaison des Christentums mit der Ökologie vor allem als Frischzellenkur für das alt, runzelig und langweilig gewordene Christentum dienen soll.

Sich selbst Religion genug

Der Klimaschutz braucht keine religiöse Begründung und keine religiöse Attraktivitätssteigerung. Er ist sich selbst Reli­gion genug. Thomas Zeitler überschätzt die Leistungsfähigkeit einer Christusidee, die schon auf den ersten Blick als Mittel zum Zweck durchschaubar ist. Wer Eins und Eins zusammenzählen kann, wird sich aber auch in anderer Hinsicht von Extinction Rebellion kein X für ein U vormachen lassen und instinktiv darüber im Klaren sein, dass die Große Transformation die Welt nicht retten, sondern in einen Zustand hineinführen wird, dem die Menschheit seit ihren evolutionären Anfängen zu entrinnen sucht.

Wer sein Leben damit verbringt, auf dem Boden der Tatsachen kulturtechnologisch zu überleben, wird über die Vorstellung, dass allein die Technologie der Notbremse ins Paradies führen könnte, verständnislos den Kopf schütteln. Wer auch nur über eine Schwundstufe gesunden Menschenverstands verfügt und schon einmal von Krankenhäusern gehört hat, deren Technologien Menschen das Leben retten, weiß, dass Klimarebellen in Sachen Ideenfolgenabschätzung nicht zu trauen ist.

Wer sich dagegen mit Extinction Rebellion auf den Weg in die Große Transformation macht, wird auf diesem Weg einiges hinter sich lassen und bereit sein müssen, nicht nur im Einklang mit der Natur zu leben, sondern auch im Einklang mit der Natur zu sterben, also für die Große Transformation zu hungern, zu frieren und in Immobilität, Armut und medizinischer Unterversorgung, sprich: in einem deindu­strialisierten Jammertal notdürftiger Subsistenzwirtschaft dahinzuvegetieren. Alles andere würde zu viel Energie verbrauchen, könnte den Weltlauf nicht wirklich ändern und bliebe ein Tropfen auf den heißen Stein.

In Gelbwesten auf die Straße

Vom Abenteuerurlaub ohne Rückfahrticket, für den das Ökoreisebüro Zeitler wirbt, dürfte daher nur eine Minderheit zu begeistern sein. Die Mehrheit wird sich – so lange sie noch die Wahl hat – dem Programm der Klimarebellion nicht anschließen. Auch deshalb, weil sie andere Zukunftssorgen hat und den Klimaschutz beim besten Willen nicht für das einzig existenzielle Problem der Gegenwart zu halten imstande ist. Eine Milliarde Menschen wünschen sich eine Steckdose, um einen Kühlschrank oder ein Smartphone daran anzuschließen. Ebenso viele werden irgendwann die Energiepreise nicht mehr bezahlen können und eher in Gelbwesten als für Extinction Rebellion auf die Straße gehen.

Thomas Zeitler irrt übrigens, wenn er am Ende seines Artikels süffisant bemerkt, für die Aktivierung von „jen­seits-
­orientierten Trost-Theologien“ sei dann noch genug Zeit, wenn die Große Transformation in den nächsten zehn Jahren nicht gelingt. Mir scheint vielmehr, dass diese Theologien gerade dann bitter nötig werden, wenn die Große Transformation vom Erfolg gekrönt ist. Sobald nämlich die Welt tatsächlich in den trostlosen Zustand des Klima-Lockdowns eingetreten ist, werden diejenigen, in denen noch ein Funke christlicher Frömmigkeit ist, nach spirituellen Strohhalmen der Hoffnung greifen, weil sie es anders nicht mehr aushalten.

Ich fürchte zwar, dass im Jammertal der Großen Ökologisch-Theologischen Kulturrevolution alles daran gesetzt werden wird, die konterrevolutionären Elemente aus dem kulturellen Gedächtnis der Christenheit zu löschen. Aber vielleicht findet sich hier und da ja zumindest noch ein evangelisches Gesangbuch, aus dem man sich mit Liedern Paul Gerhardts trösten kann – auch wenn diese Lieder für Thomas Zeitler vermutlich nur Opium des Volkes sind.

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Foto: Johannes Minkus

Ralf Frisch

Ralf Frisch, Jahrgang 1968, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Nürnberg.


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