Nicht nur über die Mütter
Zugegeben, gute Ratschläge von der Seitenlinie, in dem Fall von nicht-jüdischer Seite, sind immer etwas zweifelhaft. Denn, wie der Volksmund sagt: Ratschläge sind auch Schläge. Dennoch irritiert die Vehemenz der Diskussion, die in den vergangenen Wochen zum Thema „Vaterjuden“ zuerst im deutschen Judentum, dann in der breiteren Öffentlichkeit zu beobachten war. Und sie weist auf ein Phänomen hin, das fast in der gesamten religiösen Welt zu beobachten ist.
„Vaterjuden“, also die Kinder von jüdischen Vätern, sind, streng nach den (halachischen) Religionsgesetzen des Judentums gesehen, gar keine Jüdinnen und Juden, da diesen Regeln zufolge nur jüdisch ist, wer eine jüdische Mutter hat. Das hatte in vormodernen Zeiten eine zwingende Logik, ist aber rein biologistisch und traditionell gedacht. Es widerspricht dem heutigen Leben und einer kulturell-familiären Interpretation des Judentums, die in einer zunehmend säkularen jüdischen Gemeinschaft immer wichtiger wird. Das Problem ist, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland weiterhin der Ansicht der orthodoxen Rabbinerkonferenz folgt, wonach „Vaterjuden“ eben doch keine (richtigen) Juden seien. Das ist anders als zum Beispiel in den USA, wo zumindest das Reformjudentum seit Jahrzehnten Kinder jüdischer Väter als jüdisch anerkennt.
Der Zentralrat wäre gut beraten (sorry – siehe „Rat-Schläge“ oben), seine „Vaterjuden“-Politik zu ändern. Denn es geht hier um eine am Ende existenzielle Frage für das deutsche Judentum, immerhin ist seriösen Schätzungen nach etwa ein Drittel der hiesigen Juden „Vaterjuden“.
Das Prinzip „Vaterjuden“ schließt diese große Gruppe, wohl mehrere zehntausend Menschen, de jure aus den jüdischen Gemeinden aus, die insgesamt nur etwas mehr als 100 000 Mitglieder haben. Die veraltete Regel „nur Vaterjuden“ schwächt die sowieso nicht besonders große jüdische Gemeinschaft in Deutschland noch mehr.
Zur Erinnerung: Das damals langsam sterbende Judentum im wiedervereinigten Deutschland ist vor etwa dreißig Jahren wieder zu neuem Leben erwacht durch den Zuzug jüdischer „Kontingentflüchtlinge“ aus den Ländern der untergehenden UdSSR. Dort aber galten rechtlich die Menschen als Juden, die einen jüdischen Vater hatten. Insofern haben die „Vaterjuden“ mindestens einen großen Anteil an dem Wiederaufblühen des Judentums hierzulande. Ihnen weiterhin den Zugang zu den Gemeinden zu versperren, es sei denn, sie „konvertierten“ (erneut) zum Judentum, ist absurd. Auch nach dem Holocaust fragte niemand in den jüdischen Gemeinden der Bundes-republik so genau nach, ob nun jemand eine jüdische Mutter oder „nur“ einen jüdischen Vater habe – die glücklich überlebte Verfolgung durch die Nazis war Ausweis des Judentums genug, und das völlig zurecht.
Der Zentralrat und die Gemeinden sollten sich auf diese gute Tradition berufen und sich ganz offiziell für „Vaterjuden“ öffnen, anstatt ängstlich auf orthodoxe Gruppen in Deutschland oder Israel zu schielen. Eine zu enge Auslegung religiöser Gesetze, die derzeit in allen Religionen weltweit eine Gefahr darstellt, sollte nicht die Richtschnur in einer auch religiös immer bunteren Gesellschaft sein.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.