Ohne den Protestantismus wäre er ein anderer geworden“, schreibt Eberhard Rathgeb über Caspar David Friedrich, dessen 250. Geburtstag 2024 gefeiert wird. Wer im Laufe des Jubiläumsjahres eine der großen Sonderausstellungen mit Werken des pommerschen Romantikers besucht, wird demnach auch der kulturellen Prägekraft der Reformation ansichtig. Sie schlägt sich in Friedrichs Verständnis des künstlerischen Schaffensprozesses als eines „Transfers von innen nach außen“ nieder, wie Rathgeb überzeugend darlegt.
Es war, schreibt er, die protestantische Konzentration auf das im unvertretbar individuellen Verhältnis zu Gott stehende Subjekt, was dem Maler „den Innenraum“ aufgeschlossen hat, „in dem seine inneren Bilder hingen, die Originale, die er auf die Leinwand übertrug“. Die Spur des Göttlich-Absoluten, die sich etwa in seinen Landschaftsdarstellungen abzuzeichnen scheint, geht nicht auf eine objektive Schau zurück. Sie verdankt sich einer inneren Gefühlsbestimmtheit, die sich am äußerlich Gegebenen einstellte und den Maler darin zugleich mehr sehen ließ, als vor Augen ist.
Die Friedrichs Schaffen antreibende Differenz zwischen dem originären inneren Bild und dessen künstlerischer Darstellung hat aber auch eine bildkritische Pointe, in der sich ebenfalls seine protestantische Prägung zeigt. Im Anschluss an den Jenaer Kunsthistoriker Johannes Grave weist Rathgeb auf die grundlegende Bedeutung der Zeichnung „Alte Frau mit Sanduhr und Buch“ fürs friedrichsche Kunstverständnis hin. Sie enthält den Bibelvers „seelig sind, die / da glauben, ob sie / gleich nicht sehen“, der eine reformatorische Grundüberzeugung, nämlich den Vorrang des unverfügbaren göttlichen Worts vor allen anderen Heilsmedien, zum Ausdruck bringt. Die prinzipielle Unsichtbarkeit dessen, was selig macht, relativiert die Heilsqualitäten des Kunstwerks, dem im Blick aufs Göttliche allein ein Zeichencharakter zukommen kann. Solchen Zeichencharakter aber hat es immer nur für das betrachtende Subjekt, wenn es sich denn durch das im Werk Ausgedrückte angesprochen erfährt. Dann führt der Friedrichs Kunst zugrundeliegende „Transfer von innen nach außen“ aufseiten ihrer Rezipienten zur umgekehrten Bewegung.
„Der Betrachter, den er sich für seine Kunst wünscht, vergisst nie, dass er ein Bild sieht“ und kein „Abbild der Natur“, schreibt Rathgeb. Was die Dinge eigentlich und an sich sind, bleibt für den Menschen unzugänglich – das wusste Friedrich, der wie seine romantischen Zeitgenossen ein Kind der Aufklärung war. Seine Bilder, das streicht Rathgeb treffend heraus, spiegeln auch die Erfahrung eines Verlustes wider, einer verlorengegangenen sinnhaften Einheit und metaphysischen Geborgenheit. Er war, heißt es, „der erste Maler, der die Natur so darstellte, als wäre die Geschichte der Menschen an ihr Ende gelangt“. Rathgeb sieht dies insbesondere in Friedrichs berühmter Darstellung des Eismeers realisiert, in der er eine dystopische Szenerie entdeckt. Aus Friedrichs Werken spricht eben keine aus dem Vollen schöpfende Glaubensgewissheit, sondern eine gebrochene, unbehaust gewordene Form von Religion, wie sie für die Moderne spezifisch ist. Gerade das aber macht seine Kunst wohl bis heute für viele Menschen so anziehend – anziehender jedenfalls als manch andere gegenwärtige Ausprägung des Protestantischen.
Eine große Stärke von Rathgebs Buch liegt in der Behutsamkeit, mit der er sich dem Religiösen in Friedrichs Werk annähert und es im historischen Kontext der beginnenden Moderne verortet. An manche der Bildinterpretationen, die bisweilen zu stark auf biografische Bezüge setzen, lassen sich sicher Anfragen richten. Misslich ist zudem die geringe Zahl von Abbildungen im Buch, konträr zur Vielzahl der Werkanalysen. Doch die gewinnbringende Lektüre kann das nicht schmälern – Rathgebs Buch gehört 2024 zur Pflichtlektüre für alle Friedrich-Interessierten und alle, die es werden wollen.
Karl Tetzlaff
Karl Tetzlaff ist promovierter Systematischer Theologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie/Ethik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.