Auferstehungsorte

Von der Verantwortung für historische Grablegen
Foto: Lutz Roessler

Wer sich als Archäologe mit Bestattungen aus den vergangenen fünfhundert Jahren beschäftigt, kommt nicht umhin, sich mit theologischen Fragestellungen auseinanderzusetzen – und mit Theologen, die mitunter in eine völlig andere Richtung argumentieren, als es den mit Leidenschaft betriebenen Projekten dient. Um es vorweg zu sagen: In den vergangenen zwanzig Jahren der Rettung von Familiengrüften und ihren Inventaren gab es mehrheitlich sehr erfreuliche Begegnungen mit Pastorinnen und Pastoren, die das jeweilige Projekt nach Kräften unterstützten.

Es geht ohnehin nur miteinander, und wenn die Kirchgemeinde vor Ort ihrer geplünderten Adelsgruft die Würde wiedergeben will und offen für eine nicht immer ganz günstige Restaurierung ist – dann ist der Rest auch zu schaffen. Da gab es den Pastor in Hannover-Wettbergen, der nach dem wissenschaftlichen Dokumentieren und Aufräumen die Gruftwände selbst gekalkt hat, oder den im kleinen Schilde in der Prignitz, der am heiligen Sonntag die durch Plünderer zerstörten Särge aus der Grablege mit herausgeschleppt hat. Oder die Kirchgemeinde in Golzow bei Brandenburg/Havel, ohne deren anpackenden Pastor und die unermüdliche Gemeindesekretärin weder die Organisation noch die Finanzierung zu schaffen gewesen wäre, um einem der besterhaltenen Bestände einer Gruft des preußischen Militäradels wieder zu Glanz und Würde zu verhelfen.

Dass es aber oft leider anders läuft, zeigen Beispiele aus dem Ostfriesland der 1970er-Jahre, wo der Pastor einer Dorfkirche liebevoll bemalte Kindersärge aus dem Barock in den Baucontainer schmiss und dem herbeigeeilten Denkmalpfleger mit der Polizei drohte. Ein Mitarbeiter der Baubehörde einer norddeutschen Domkirche mit einem Sargbestand von europäischer Bedeutung schlug vor Jahren vor, das Gewölbe doch einfach mit Beton auszugießen, dann hätte man keine Arbeit mit den historischen Altlasten.

Die Särge derer von Sachsen-Anhalt aus dem Zerbster Schloss, unter denen sich auch die der Eltern Katharinas der Großen befinden und die von unschätzbarem kulturhistorischem Wert sind, werden dort gerne als „fürstliches Gerümpel“ bezeichnet. Seit Jahren laufen Bemühungen, diese letzten Schätze der durch den Zweiten Weltkrieg geschundenen Residenzstadt zu restaurieren und – mit dem gebotenen Respekt vor den Verstorbenen – wieder auszustellen. Aber es interessiert sich bis auf den Vorsitzenden des „Fördervereins Schloss Zerbst“ dort kaum jemand dafür.

Von den im Jahre 2009 mindestens neun Gruftkammern mit noch unangetasteten Särgen aus dem 18. und 19. Jahrhundert auf dem Wipertifriedhof in Quedlinburg verfügt aktuell nur noch eine über ihren Bestand, weil sie ein Kulturliebhaber mit familiärem Bezug gekauft hat. Die anderen wurden undokumentiert ausgeräumt, obwohl sie unter Denkmalschutz gestellt worden waren.

„Lasst die Toten ihre Toten begraben!“ – Das Jesus-Zitat (Lukas 9,60 und Matthäus 8,22) eignet sich nur scheinbar als Totschlagargument, wenn man als Kirchenmann oder -frau keine Lust hat, historische Grablegen wieder zu dem zu machen, was sie sind: Auferstehungsorte und letztlich Imitationen des Grabes Christi, in dem die Verstorbenen bis zum Jüngsten Tage ruhen sollen – wenn man sie lässt. Zudem sind Grabmäler und Gruftgewölbe Memorialstätten, an denen der Verstorbenen gedacht werden soll. Erinnerung ist eine Form der Totenfürsorge und hat auch etwas mit Verantwortung zu tun.

Abgesehen davon, dass Artikel eins des Grundgesetzes auch für die Toten gilt: Es sollte selbstverständlich sein, dass die Leichname derjenigen, die all die Kirchen und Schlösser erbauen oder Parkanlagen anlegen ließen, an denen sich die Touristen erfreuen und die Vereinen und Gemeinden Geld in die Kassen spülen, nicht zwischen Getränkedosen, Kaugummipapieren und sonstigem Müll liegen. Meist sind die Knochen der Toten wild verstreut und mumifizierte Leichname aus den Särgen gerissen worden. Würdige Totenruhe sieht anders aus.

Glücklicherweise gibt es inzwischen aber zahlreiche Grüfte, die in Zusammenarbeit mit Landeskirchen und Gemeinden wieder in alter Pracht, wenngleich mit sichtbaren Spuren der Zeitläufte, erstanden wurden – und die teilweise auch besuchbar sind. Oberstes Gebot ist dabei, dass die Leichname selbst nicht gezeigt werden.

Dass historische Grablegen identitätsstiftend wirken können, zeigt das Beispiel der Fürstengruft in der Wolgaster St.-Petri-Kirche. Seitdem die Dokumentation und Restaurierung der prachtvollen Zinnsärge derer von Pommern-Wolgast mit dem „Europa-Nostra-Preis“, also dem Denkmal-pflege-Oscar, ausgezeichnet wurden, nennt sich die Stadt am Peenestrom stolz „Herzogstadt Wolgast“. Erinnerung kann guttun. 

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Foto: Lutz Roessler

Andreas Ströbl

Dr. Andreas Ströbl ist Archäologe und Kunsthistoriker. Sein Schwerpunkt sind neuzeitliche Gruftbestattungen.


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