Spannend

Wie Juden Jesus sehen

Dieses Buch ist verständlich geschrieben und spannend – trotz manch überflüssiger Redundanz. Entfaltet wird, wie sich Juden vom ersten bis zum 21. Jahrhundert mit der Person Jesu und mit dem Christentum auseinandergesetzt haben.

Rabbiner Walter Homolka ist Mitbegründer und Rektor des reformjüdischen Abraham-Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam. Er zeigt, wie die Sicht der Juden auf Jesus immer auch ihre jeweilige Lage gespiegelt hat. So habe die Polemik der Rabbinen gegen das Christentum „nach der Christianisierung des Römischen Reiches und der Verschärfung der antijüdischen Gesetze“ begonnen und sei „als Ausdruck des Ringens um die Weiterexistenz“ des Judentums zu verstehen.

Im 19. Jahrhundert gab es Berührungspunkte zwischen der Leben-Jesu-Forschung evangelischer und jüdischer Theologen. Beide betonten die Bedeutung der Ethik in ihren Religionen und für den historischen Jesus. Trotzdem kam es zu keiner Begegnung. Denn liberale evangelische Theologen nahmen das Fortschrittsdenken des 19. Jahrhunderts so auf, dass sie im protestantischen Christentum die höchste Entwicklungsstufe der Religion sahen. Und sie werteten daher nicht nur das Judentum zur Zeit Jesu ab, sondern ignorierten auch ihre jüdischen Kollegen.

Die Erschütterung über das Versagen der meisten Christen in der Nazizeit veranlasste nach dem Krieg einige christliche Theologen, den Dialog mit jüdischen Kollegen aufzunehmen, was in der Weimarer Republik nur wenige Protestanten getan hatten. Von den jüdischen Brückenbauern skizziert Homolka unter anderen Martin Buber (1878 – 1965), der Jesus als „meinen großen Bruder“ bezeichnete, und Schalom Ben-Chorin (1913 – 1999), der dies aufnahm und eigene Akzente setzte.

Wie ihre christlichen Kollegen stritten jüdische Theologen über den historischen Jesus. Dieser könne „nicht ermittelt“ werden, meinte der Basler Religionswissenschaftler Ernst Ludwig Ehrlich (1921 – 2007). Der Jerusalemer Neutestamentler David Flusser (1917 – 2009) war dagegen überzeugt, dass sich in den drei ersten (synoptischen) Evangelien „der historische Jesus und nicht der kerygmatische Christus“ findet.

Auch über die jüdische Jesusforschung in den USA, die vielen Deutschen nicht bekannt sein dürfte, gibt Homolka einen Überblick. Er erwähnt dabei auch die Kritik Michael Cooks. Der Professor für Jüdisch-Christliche Studien am liberalen Hebrew Union College in Cincinnati wirft anderen jüdischen Jesusforschern vor, die Evangelien unkritisch als historische Quellen zu akzeptieren und die Arbeit christlicher Neutestamentler zu wenig zu berücksichtigen.

Einen Rückfall in ein dogmatisches christliches Jesusbild sieht Homolka in der Jesus-Trilogie von Altpapst Benedikt. Er versuche nicht einmal, „die Juden als Glaubensgemeinschaft nach Christus zu verstehen, ihre Wahrheit wertzuschätzen oder gar aus der jüdischen Tradition zu lernen“. Von christlichen Theologen erwartet Homolka eine Christologie, die „ohne eine Karikatur des Judentums auskommt“, die „bleibende Erwählung“ der Juden und die „Willensfreiheit des Menschen“ ernst nimmt.

Aber die Herausforderung für Christen ist noch viel größer. Egal wie man die Frage nach dem historischen Jesus beantwortet, eines ist sicher: Jesus war Jude. Und daher kann er sich auch nicht als Gott verstanden haben.

Der niederländische Theologe Harry Kuitert (1924 – 2017), ein liberaler Protestant, hat für eine Christologie plädiert, die dem jüdischen Glauben Jesu an einen Gott gerecht wird. Kuiters 2004 auf Deutsch erschienenes Buch Kein zweiter Gott. Jesus und das Ende des kirchlichen Dogmas bietet so eine anregende Ergänzung zu Homolkas Buch.

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