Einige evangelische Landeskirchen planen, in Großstädten sogenannte Kasualagenturen einzurichten. Sie sollen die Ortsgemeinden von Trauungen und Taufen entlasten. Unsere Onlinekolumnistin Stefanie Schardien, Gemeindepfarrerin in Fürth, hält davon … – aber lesen Sie selbst!
Bitte einen medium Java Chip Light Moccachino blended beverage! So kann es heute klingen, wenn man einen Kaffee bestellt. Als “Draußen nur Kännchen” unattraktiv wurde, schwappten die Coffeestores über die Welt. Das Tässchen Kaffee wurde ersetzt durch unzählige Varianten. Für jeden Geschmack genau das passende, dazu ein cooles Interior Design und schöne Lounge-Musik im Hintergrund. Und zum Gipfel des Kaffeegenusses wird sofort der Name auf den Becher geschrieben, so dass mich der Kassierer gleich duzt.
Unter dem zugegeben nicht ganz so sexy klingenden Namen „Kasualagentur“ eröffnen erste Landeskirchen nun eine Art kirchlichen Coffeestore. Wer heiraten oder sein Kind taufen möchte, soll in großen Städten wie Hamburg oder Nürnberg nicht mehr bei der eigenen Gemeinde anfragen müssen, sondern besondere Anlaufstellen finden. Und soll sich da vor allem auch gleich bestens aufgehoben fühlen. Denn die Rahmenbedingungen gewinnen zunehmend an Bedeutung: die Fragen nach der Schönheit des Raums, nach der Musik – am liebsten eben eine, die man auch selbst gern hört –, nach einer Gottesdienst-Gestaltung, in der sich der jeweilige Geschmack, und damit eben auch der Mensch, um den es geht, widerspiegelt. So funktioniert sie eben, die „Gesellschaft der Singularitäten“.
Machen wir doch ohnehin alles in den Gemeinden? Jein. Nein, denn es gibt sie ja immer noch und zu oft und vor allem zu selten direkt zurückgemeldet: Leidgeschichten von verunglückten Taufen, sterilen Trauungen und lieblosen Trauerfeiern. Ja, denn: Viele Gemeinden machen all das, was die Agenturen jetzt auf anderer Ebene „endlich“ anzugehen versprechen, und das vermutlich viel öfter, als der hippe Großstadtbewohner glaubt, der – zumindest der Theorie nach – eher ein Agentur-Ladenlokal als den nächsten Kirchturm finden wird.
Für die Praxis muss manches weitergedacht und erprobt werden: Kaum werden die Kasualagentinnen und -agenten ja alle Kasualien selbst durchführen können, so dass sie die Interessierten doch wieder weiterleiten müssen. Und da liegt nun wohl der Hase im Taufbecken. Denn entweder geht das Gesuch zurück an die Gemeinden, wo sich das Qualitätsproblem, das man doch überwinden wollte, von vorn stellt. Oder es braucht demnächst interne „Hitlisten“ mit jenen Gemeinden, die für Freundlichkeit, Kreativität und echt überzeugende Glaubenspraxis stehen
Das Konzept der Kasualagenturen spricht für eine bewegliche evangelische Kirche, die auch dem Zeitgeist sinn- und glaubensvolle Kooperationen mit dem Heiligen Geist zutraut. Es reagiert darauf, dass es natürlich um die innere Botschaft geht, aber eben auch das Auge der Gläubigen mitisst. Die mit den Agenturen geplante Wertschätzung der Kasualien gibt auch den Gemeinden hoffentlich ein bisschen Feuer unter dem Glaubenspopo, dass die Feier am Ende auch hält, was die Agentur verspricht. Ob die identifizierten Defizite vielleicht auch durch Abstimmungen auf der Ebene der Dekanate oder des Kirchenkreises angegangen werden könnten, wird dann noch einmal zur Diskussion stehen müssen, wenn der künftige Ressourcenmangel über Prioritäten und kirchliche Geldflüsse entscheidet. Manchmal hilft es ja, vermeintliche Selbstverständlichkeiten einfach einmal als Benchmarks festzuhalten wie „Bei uns müssen sich Trauernde nicht ewig durchtelefonieren, sondern die Pfarrämter kümmern sich.“ oder „Wir gehen neugierig und froh statt mürrisch auf Wünsche ein.“
Kasualagenturen versprechen zumindest für die noch etwas fetteren Jahre ein Zusatzangebot zu den Kasualperformanceorten – the artist formerly known as Kirchengemeinde zu sein. Und für die mageren Jahre der Zukunft beruhigt mich der Blick in die Kaffee-Szene: Mittlerweile pfeifen die hippen Menschen in den großen Städten auf Medium Iced Flavoured Latte. „In“ ist wieder der mit der Hand aufgebrühte Filterkaffee im echten Tässchen.
Stefanie Schardien
Dr. Stefanie Schardien ist Pfarrerin in Fürth seit Mai 2019 eine der Sprecherinnen des "Wort zum Sonntag".