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Geschichte der christlichen Kunst

"Du sollst Dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen“, heißt es in 2. Mose 20. Trotz dieses Verbots ist die Geschichte der europäischen Kunst durch Abertausende von Bildern Gottes, Darstellungen des Lebensweges des Juden Jesus von Nazareth sowie Porträts zentraler Gestalten der Hebräischen Bibel und des Neuen Testaments geprägt. Jüdische wie christliche Akteure haben die okzidentale Bildproduktion seit der Antike elementar bestimmt. Diese reiche Geschichte auf knapp 300 Seiten nachzuzeichnen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Johann Hinrich Claussen hat sie geschickt gelöst.

Die Leser werden durch zwölf Säle eines Idealmuseums der europäischen religiösen Kunst geführt. Beim „Einlass“ erhalten sie ein Aufklärungsversprechen: Auch das Dunkle, Unverständliche der alten Glaubenskunst soll ihnen als sinnhaft, auf je eigene Art einleuchtend nahegebracht werden. Claussen spricht von einem ästhetisch-meditativen Erkenntnisgewinn: Wer die Bilder der von ihm komponierten Ausstellung in konzentrierter Ruhe anschaue, dessen Blick werde „verwandelt, erweitert und vertieft“.

Der EKD-Kulturbeauftragte weiß, wie stark er von den Einsichten der modernen Kunstgeschichtsschreibung abhängt; er hat sich als Systematischer Theologe ja keinerlei professionelle kunstwissenschaftliche Kompetenz erarbeitet. Dennoch darf er beanspruchen, stärker als viele Kunsthistoriker Kontinuitätslinien zwischen älteren Kunstwerken und modernen Bildern deutlich zu machen. Auch gilt sein Interesse dem religiösen Nutzwert und frommen Gebrauch der vorgestellten Bildwerke. Unausweichlich muss er auch das Bilderverbot thematisieren und den Geschichten von dessen vielfältig umstrittener Deutung nachgehen. 

Mit den Wissenschaften vom ganz alten Israel, also auch mit den Alttestamentlern, geht er davon aus, dass es sich in erster Linie gegen die Darstellung und Verehrung anderer Götter richtete – auch wenn den Klügeren bewusst war, dass sich der eine allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erden, der keine anderen Götter neben sich duldete, niemals angemessen in ein Bild bannen lässt. Schon beim Einlass werden die Leser deshalb vor ein Bild geführt, das die immanente Paradoxie von Glaubensbildern sichtbar macht: Zehn Maler arbeiten an einer bildlichen Darstellung des sein Kreuz tragenden Jesus. Aber jeder von ihnen malt ein anderes Bild. Finitum non capax infiniti, auch nach Gottes Selbstoffenbarung im Gekreuzigten nicht.

Im ersten Saal können die Besucher die Bilder im antiken Israel anschauen, die von den Archäologen in den letzten Jahrzehnten entdeckt wurden. Der göttliche Stier, bei Luther das „Goldene Kalb“ genannt, verdient hier, besonders intensiv betrachtet zu werden. Im zweiten Saal sind frühe Bilder des guten Hirten und des Gekreuzigten zu sehen. Im Saal darauf geht es nach Afrika und insbesondere ins ägyptische Rote Kloster, von dort zu orthodoxen Ikonen. Auch der Naumburger Dom wird als ein christlicher Erinnerungsort inszeniert, bevor im sechsten und siebten Saal uns Giotto, Fra Angelico, Botticelli und Raffael in ihren Bann ziehen. Dürer und Rembrandt malen dann protestantische Identität, die von Rubens und Frida Kahlo gegenreformatorisch in Frage gestellt wird.

Im zehnten Saal zum 19. Jahrhundert sind es Friedrich Overbeck, William Blake und Caspar David Friedrich, die ihren Glaubenseifer an der Staffelei bekunden. Auch Thorvaldsens Potsdamer Christusstatue wird vorgestellt. Hier ist allerdings ein kleiner Mangel zu notieren: Der große protestantische Nazarener Julius Schnorr von Carolsfeld, der in der Kapelle der preußischen Gesandtschaft auf dem Tarpejischen Felsen in Rom sonntags die Orgel spielte, darf mit seiner massenhaft verbreiteten Bilderbibel nicht fehlen. Dennoch: Nach seinen Büchern Gottes Klänge, einer Geschichte der christlich-religiösen Musik, und Gottes Häuser, einer Historie des Kirchenbaus, hat Claussen abermals ein kundiges, lesenswertes und allgemein verständliches christliches Hausbuch vorgelegt.

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Foto: dpa/Horst Galuschka

Friedrich Wilhelm Graf

Dr. D. Friedrich Wilhelm Graf ist Professor em. für Systematische Theologie und Ethik. Er lebt in München.


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