Gelungene Hochzeit

SML: Atemlos-meditatives Debüt

Wenn Körper und Seele aus welchen äußeren oder inneren Gründen auch immer nicht beieinander liegen und sich wärmen können, klingt es vielleicht so wie bei Eduard Raban in Kafkas Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande: „Kann ich es nicht machen, wie ich es immer als Kind bei gefährlichen Geschäften machte? Ich brauche nicht einmal selbst aufs Land fahren, das ist nicht nötig. Ich schicke meinen angekleideten Körper. Wankt er zur Tür meines Zimmers hinaus, so zeigt das Wanken nicht Furcht, sondern seine Nichtigkeit. Denn ich, ich liege inzwischen in meinem Bett, glatt zugedeckt mit gelbbrauner Decke“. Und dabei hat er die ‚Gestalt eines großen Käfers‘. Doch raufen sich Körper und Seele zusammen, kann das so packend klingen wie bei SML, einem Quintett aus der Jazz-, Improvisations- und Indie-Szene von L. A.: Anna Butterss am Bass, Josh Johnson am Saxophon, Synthesist Jeremiah Chiu, Booker Stardrum/Schlagzeug und Gitarrist Gregory Uhlmann, die schon mit Makaya McCraven und Meshell Ndegeocello oder Sonic-Youth-Urgestein Lee Ranaldo spielten. Ihr Debüt Small Medium Large verbindet inspirierte Live-Kommunikation und Cut Up-Bearbeitung, mitunter ebenso atemlos wie meditativ.

Der Sound der 13 Tracks steht in der Tradition des stets auch politischen Spiritual Jazz von John Coltrane und Sun Ra bis Kamasi Washington und McCraven, dessen organic beat music eine Art Blaupause ihrer Nach-Arbeitsweise ist (vergleiche zz 1/2019). Schrill, wo es sein muss, aber auch weich wie bei dem famosen Saxophonisten Charles Lloyd und immer funky, also seltsam tanzbar. Eben Club- oder Elektromusik, jedoch konsequent diesseits einfacher Muster – hier findet der selbst ebenso wie jene überraschte Käfer zur Braut: Wenn Raban beobachten, aber nicht beteiligt sein will, ist es bei SML (one size fits all, möchte man ergänzen) genau umgekehrt. Ein Zustimmungskehraus, der die Selbstskrupel kräftig anpackt und dazu teils triftig, teils krude geschichtete Polyrhythmen ebenso einsetzt wie virtuose Vertiefungen der Einzel-Instrumente. Es plockert, schiebt und schwelgt, wabert kosmisch und stürzt in zugleich sanfte wie straighte Dance-Tracks, hat Marching-Stakkato-Wucht und Dub-Vibe-Tiefe, die wohlig vom zuerst spitzen Sax-Ton tropft. Erstaunlich.

Eingespielt haben sie die Basis live bei zwei Gigs in einer In-Venue von L. A., dann wurde in den Homestudios gefeilt. Das grooved, lockt in Tempelhaine, tickt so exakt wie vertrackt – Körpermitwippen ist ebenso unvermeidlich wie leise, dann aufbrausende Faszination. Anklanghinweise auf die Proto-Trance-Technik der Rhythmenschichtung von Holger Czukay bei Can treffen den Punkt ebenso wie dass deren umwerfend breite Varianz an Fela Kuti erinnere. Bloß kommen die Brautleute hier tatsächlich ins Bett, sogar in Partien, die schlierig und noisy sind. Sehr erstaunlich und druff: Nicht auszudenken, man hörte das Album unter der ‚gelbbraunen Decke‘.

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