Immer großherzig

Die Neue von Alabaster DePlume

Spektakel und Sonderangebote ziehen noch am ehesten die Massen an. Absturz-, oder sonstige Unglücksstellen wie Hinrichtungen, wo sie noch geboten werden, wimmeln rasch vor Publikum. Da fragt man sich bei einem so warmen, zugleich zärtlichen wie kraftvollen Album wie Come With Fierce Grace dann schon, was einen hier unvermittelt stehen bleiben, sich hinsetzen und wohlfühlen lässt. Das Geheimnis steckt auch in der Entstehung. Auf den Titel kam Alabaster DePlume durch einen Fan, der ihn bat, Menschen zu ermutigen to come with fierce grace (deutsch: mit grimmiger Anmut zu kommen).

Was das heißen mag, spiegelt die Musik. Sie verdankt der Saxophonist, „Spoken-Word-Artist“ oder „Spoken Word Artist“ und Gesamtkunstwerker den Aufnahmen zum gelobten Vorgänger Gold (2022). Über Wochen hatte er Musiker aus Londons vitaler Jazzszene zu Sessions in das Kulturzentrum Total Refreshment Centre geladen, mit denen er die Stücke entwickelte. Spontane Komposition, die auf dem Aufeinander-Achten im Moment beruht. Das ist diesem Begegnungskünstler wichtig, der bürgerlich Gus Fairbairn heißt und so an seinen Kunstkampfnamen kam: Jemand rief ihm aus einem fahrenden Auto etwas zu. Lautlich dürfte da Bastard dabei gewesen sein, was er aber zu Alabaster formte. Negatives umkehren, von dem die Welt genug bietet, gehört eben zu seinem Ansatz. Jedenfalls blieb bei den Gold-Sessions starkes Material über, das er nun trefflich ergänzte.

Eine Reste-Platte ist Come With Fierce Grace jedoch nicht. Die zwölf Tracks, meist Instrumentals, bilden eine runde Suite, die sich nach dem ersten Eindruck von Reduktion, Spiritual Core und Leichtigkeit nach und nach in ihrer ganzen Tiefe und zudem mit ordentlichem Groove offenbart. Seine kreisenden und getupften, durchweg warmen Sax-Melodien changieren zwischen offener Landschaft und Tempelhain. Sie führen stets ins Erstaunliche. Man mag funkelnde afrikanische Rhythmen, Oriental-Soundfarben und Jazz-Tradition darin wiedererkennen. Die Spanne umfasst souliges Understatement, repetitive Meditation oder trickreiche Rhythmuswechsel ebenso wie Kammerquartett und Easy-Listening-Flair, jedoch mit cinemascopischer Filmscore-Eleganz.

Am Ende steht das Gedicht Broken Again. Dringlich, introvertiert. Der schreitende Sound ist feierlich, aber groovy und zugewandt, engagé. DePlume schafft so Miniaturen, die immens wirksam sind. Shout and response als synchrone Virtuosität der Aufmerksamkeit, des sich Einlassens ist dabei stilistisches Prinzip. Aufeinander achten eben, oder: Rede, damit ich dich sehe, wie es in der antiken Rhetorik heißt, was hier indes auch gleichzeitig geht und mitreißend intensiv gelingt. Come With Fierce Grace ist insofern Spektakel des erfüllten Augenblicks. Ein großartiges Album, von dem sich zehren lässt.

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