Paragraf 218 im Diskurs

Evangelische Kirche justiert ihre Position zu Schwangerschaftsabbrüchen neu
Strafgesetzbuch, Ultraschallbild eines Fötus, Tabletten
Foto: epd

Die Regierungskoalition will noch in dieser Legislaturperiode den Paragrafen 218 im  Strafgesetzbuch, der Schwangerschafts­abbrüche regelt, überprüfen. Nun haben der Rat der EKD und auch die Evangelischen Frauen in Deutschland e. V. ihre Stellungnahmen dazu veröffentlicht.

Es ist ein anspruchsvoller Plan, den die Regierungskoalition verfolgt. Denn sie will noch in dieser Legislaturperiode die „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ prüfen. So steht es zumindest im Koalitionsvertrag im Kapitel „Reproduktive Selbstbestimmung“. Dazu hat die Regierung im Frühjahr eine Kommission eingesetzt, die aus 18 Expertinnen und Experten aus den Arbeitsfeldern Medizin, Recht und Ethik zusammengesetzt ist. Sie soll rund ein Jahr beraten und hat keine Experten aus den Kirchen berufen. Diese sind allerdings neben einer Vielzahl von Verbänden und Organisationen, wie die Bundesärztekammer und, der deutsche Juristinnenbund, aufgerufen, ihre Stellungnahme bei der Kommission einzureichen.

In Deutschland dürfte das Ergebnis eine der größten gesellschaftlichen Debatten dieser Regierungszeit auslösen. Die einen empören sich, dass Schwangerschaftsabbrüche generell rechtswidrig sind. Andere sehen keinen Handlungsbedarf, den Mitte der Neunzigerjahre erzielten Kompromiss zu verändern. Zur Erinnerung: Nach der deutschen Einheit und einem Urteilsspruch aus Karlsruhe beschließt der Bundestag eine Reform des Paragrafen 218, die 1995 umgesetzt wird: Nach einer Pflichtberatung darf der Abbruch in den ersten zwölf Wochen zwar „straflos“ bleiben, gilt aber weiter als „rechtswidrig“, also als Verstoß gegen die Rechtsordnung. Darüber hinaus ist der Abbruch rechtmäßig, wenn es dafür bestimmte medizinische Gründe gibt oder das Kind aufgrund einer Vergewaltigung entstanden ist. Grundsätzlich gibt es keine Kostenübernahme der Krankenkassen von rechtswidrigen Eingriffen.

Zwei Zeiträume

Mitte Oktober veröffentlichte nun der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland seine für die von der Bundesregierung eingerichtete Kommission verfasste Stellungnahme, die deutlich von der früheren Position und der jetzigen Rechtspraxis abweicht. Zwar hält der EKD-Rat an einer verpflichtenden Beratung fest, doch tritt er jetzt für „Regulierungen des Schwangerschaftsabbruchs für bestimmte Konstellationen auch außerhalb des Strafrechts“ ein. Das heißt für „eine abgestufte Fristenkonzeption mit Unterscheidung verschiedener Schwangerschaftsstadien“. In der Stellungnahme ist von zwei Zeiträumen als Orientierung die Rede. „Ab der extrauterinen Lebensfähigkeit, die sich zwar nicht exakt datieren lässt, aber üblicherweise bei der 22. Schwangerschaftswoche p. c. angesetzt wird, sollte ein Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich geregelt und nur in klar definierten Ausnahmefällen zulässig sein“, heißt es in der Stellungnahme.Des Weiteren sei auszuloten, wie viel Zeit der Schwangeren minimal eingeräumt werden sollte, um eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. Eine Frist, in der strafrechtliche Regelungen nicht greifen, könnten die ersten zwölf Wochen sein.

Und auch die Begründung ist neu: Die Schwangerschaft erfordere Regelungen, „die sich nicht rein analog zu Ansprüchen zweier grundsätzlich selbstständiger Individuen gegeneinander bemessen lassen“. Dabei sei von einer kontinuierlichen Zunahme des Lebensrechts des Ungeborenen und der Schutzpflicht ihm gegenüber im Verlauf der Schwangerschaft auszugehen. Die EKD begründet die „Fortschreibung“ ihrer Position damit, dass sie eine gesellschaftliche Position berücksichtige, die die Perspektive der schwangeren Person und ihre reproduktiven Rechte stärker in den Blick nehme und auch im internationalen Recht Ausdruck gefunden habe. Bemerkenswert ist auch die Positionierung der Evangelischen Frauen in Deutschland. Angelika Weigt-Blätgen, die Vorsitzende des Dachverbandes von 37 Mitgliedsorganisationen, begrüßt zwar die EKD-Stellungnahme und die geforderte teilweise Streichung des Paragrafen 218. Aber anders als die EKD hatten sich die Evangelischen Frauen auf ihrer vergangenen Mitgliederversammlung dafür ausgesprochen, den Paragrafen 218 gänzlich aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen. In einem Beschluss heißt es: „Das Schwangerschaftskonfliktgesetz könnte um eine Fristenregelung außerhalb des Strafgesetzbuchs ergänzt werden.“

Paternalistische Haltung

Die Delegierten der 37 Mitgliedsorganisationen betonen außerdem den Rechtsanspruch der Schwangeren auf eine „qualitative, ergebnisoffene, kostenfreie und barrierearme Schwangerschafts(konflikt)beratung“. „Wir wenden uns jedoch weiter gegen eine Beratungspflicht, weil sie eine paternalistische, von Misstrauen gegenüber der Entscheidungsfähigkeit von Frauen geprägte Haltung zum Ausdruck bringt“, erklärt Weigt-Blätgen gegenüber zeitzeichen. Gleichzeitig fordert die Theologin einen weiteren Ausbau der Beratungsangebote.

Was die von der EKD beschriebene Fristenkonzeption betrifft, mahnt Weigt-Blätgen zur Vorsicht. „Bevor eine Lebensfähigkeit bei der 22. Schwangerschaftswoche festgesetzt wird, sollte weitere Expertise von Ärztinnen und Pränataldiagnostikern eingeholt werden“, so die Vorsitzende. In jedem Fall gibt es Diskussionsbedarf. Deshalb betont die EKD, wie wichtig ein „breiter und inklusiver Diskurs“ sei. Und so sollen in den Prozess eine Vielzahl von Perspektiven und Positionen einfließen, „insbesondere die Sichtweise der betroffenen Frauen“. 

 

Weitere Informationen:

Die Stellungnahme der EKD

Kommentar von Ulrich H.J. Körtner zur Stellungnahme

Antje Schrupp zur Position der Evangelischen Frauen in Deutschland (EfID)


 

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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