Der Schwangeren vertrauen

Warum ein Abtreibungsgesetz nicht ins Strafrecht gehört
Paragraph 218 unter einer Lupe
Foto: epd

Die Diskussion über eine mögliche Reform des Abtreibungsrechts wir auch in der evangelischen Kirche geführt. Nachdem Ulrich Körtner jüngst an dieser Stelle die aktuelle Stellungnahme der EKD zum §218 kritisierte, beschreibt nun Antje Schrupp die Position der Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD). Die Journalistin ist Mitglied des EFiD-Präsidiums, das für eine Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch ist.

Beim Thema Abtreibung oder besser: Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft geht es ums Prinzip. Und hier, beim Prinzip, zeigen sich deutliche ethische Differenzen zwischen denen, die den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch entfernen möchten, und jenen, die darauf bestehen, dass er unter allen Umständen drinbleiben muss.

Die Differenzen betreffen das Prinzipielle und weniger das Konkrete. In Bezug auf das Konkrete gibt es, abgesehen von radikalen christlichen Fundamentalist*innen und politischen Rechtsautoritären, keine großen Unterschiede in den Ansichten der Mehrheit in Deutschland. Die meisten Menschen, von frommen Katholiken bis zu radikalen Feministinnen, sind der Meinung, dass einerseits die medikamentöse oder chirurgische Entfernung eines eingenisteten Embryos aus dem Uterus nicht routinemäßig zum Einsatz kommen sollte, dass es aber andererseits für ungewollt schwanger gewordene Personen eine Möglichkeit geben muss, die Schwangerschaft ohne allzu große Hürden und Komplikationen zu beenden, zumindest in den ersten drei Monaten.

Tatsächlich ist das derzeit auch die Praxis: 95 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche werden nach einem verpflichtenden Beratungsgespräch innerhalb der Dreimonatsfrist vorgenommen (nur vier Prozent nach einer medizinischen und weniger als ein Prozent nach einer kriminologischen Indikation).

Zwei ethische Prinzipen

Der aktuelle Streit um den Paragrafen 218 dreht sich also vor allem um die ethischen Prinzipien dahinter. Dabei stehen sich eine traditionelle, christlich-patriarchale Position und eine postpatriarchal-feministische Position unvereinbar gegenüber. Die erste geht davon aus, dass eine ungewollte Schwangerschaft einen Interessenskonflikt zwischen zwei unterscheidbaren Rechtspersonen darstellt: der ungewollt Schwangeren mit ihrem Wunsch auf Beendigung der Schwangerschaft auf der einen Seite, und dem „ungeborenen Kind“ mit seinem Interesse, geboren zu werden, auf der anderen. In dieser Logik liegt es in der Verantwortung des Staates beziehungsweise der Gerichte, das Interesse des Ungeborenen gegenüber der Schwangeren zu vertreten, da ein Embryo noch nicht für sich selbst einstehen kann.

Die zweite Position hingegen geht davon aus, dass sich bei einer Schwangerschaft nicht zwei getrennte Personen unterscheiden lassen, auch nicht theoretisch. Sondern dass es sich hier um eine spezifische Existenzweise und Beziehungsform handelt, die die französische Philosophin Luce Irigaray als Zustand des „Zwei in eins“ bezeichnet hat. Nur die schwangere Person selbst kann diese Beziehung ihrer Gesamtheit und jeweiligen Einzigartigkeit beurteilen, weshalb auch ihr allein die ethische Bewertung und Entscheidung zusteht.

Die Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD) haben sich mit ihrer Forderung, den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, in diesem Streit nun klar positioniert. Aufgrund persönlicher Erfahrungen und Erkenntnissen aus Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstellen sind sie der Überzeugung, dass Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft beenden, diese ethische Herausforderung in der Regel mit bestem Wissen und Gewissen angehen. Die konkreten Situationen, in denen ungewollte Schwangerschaften entstehen, sind sehr vielfältig und lassen sich nicht verallgemeinern. Es gibt unterschiedliche Gründe und Verhältnisse, die im Einzelfall für oder gegen die Fortführung einer Schwangerschaft sprechen können. Diese Situationen lassen sich nicht sinnvoll als „Interessenskonflikt“ zwischen Schwangerer und Embryo beschreiben.

Angesiedelt bei Mord und Totschlag

Nach Auffassung der EFiD ist es nicht die Aufgabe des Staates, Schwangerschaftsabbrüche strafrechtlich zu belangen, geschweige denn sie mit Tötungsdelikten wie Mord und Totschlag in Verbindung zu bringen - genau dort ist aber der Paragraf 218 angesiedelt. Staat und Gesellschaft sollten vielmehr ungewollt Schwangere bestmöglich bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützen. Dazu gehört insbesondere „das Recht darauf, ein Kind zu gebären, sowie das Recht, dieses Kind in sicherer, angemessener und behüteter Umgebung aufwachsen lassen zu können“, wie es die EFiD in ihrer Positionierung fordert.

Selbstverständlich ist es die Aufgabe der Gesellschaft, wo immer möglich zu verhindern, dass ungewollt Schwangere sich zu einer Abtreibung genötigt sehen, weil sie angesichts schwieriger gesellschaftlicher Umstände nicht wissen, wie sie die Verantwortung für ein Kind schultern sollen. Solange Menschen und insbesondere Frauen mit Kindern auf vielfältige Weise diskriminiert, benachteiligt, und in Armut gehalten werden (wie Feministinnen seit Jahrzehnten anprangern), ist es kaum glaubwürdig, dass die Vermeidung von Abtreibungen ein wirklich dringendes Anliegen ist. Es gibt so viele denkbare Maßnahmen, die weitaus effektiver wären als ein Strafrechtsparagraf, der in der Praxis so gut wie nie angewendet wird.

Aber es geht ja eben ums Prinzip: ob wir schwangeren Personen zutrauen und zugestehen, dass sie eine verantwortliche ethische Entscheidung über die Fortsetzung oder Beendigung einer Schwangerschaft treffen können. Die Evangelischen Frauen in Deutschland tun dies, und die Streichung des §218 ist die logische Konsequenz aus dieser Haltung.

Barrieren abbauen

Gleichzeitig plädieren die EFiD dafür, die derzeitige Beratungspflicht durch einen garantierten Rechtsanspruch auf „qualitative, ergebnisoffene, kostenfreie, barrierearme Schwangerschafts(konflikt)beratung“ zu ersetzen. Statt also der schwangeren Person mit einem grundsätzlichen Misstrauen zu begegnen und sie auch dann zu einer staatlichen Beratung zu zwingen, wenn sie dafür gar keinen Bedarf hat, sollte der Fokus darauf liegen, Vertrauen zu schaffen und Barrieren abzubauen.

Verstärkt werden müssen nach Ansicht der EFiD Angebote zur sexuellen Bildung und Information für alle, und zwar „barrierefrei, mehrsprachig, kultur- und diversitätssensibel“. Darüber hinaus sollten kostenfreie Verhütungsmittel für alle Menschen zugänglich sein, denn der beste Weg, Abtreibungen unnötig zu machen, besteht darin, ungewollte Schwangerschaften so gut wie möglich zu vermeiden.

Die Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch bedeutet nicht, dass es gar keine gesetzlichen Regelungen zum Thema geben sollte. Abtreibungen, die gegen den Willen der Schwangeren vorgenommen werden, müssen selbstverständlich strafbar bleiben, sie sind als schwere Körperverletzung einzuordnen. Alle anderen Regelungen, zum Beispiel über Fristen, könnten ihren Platz im Schwangerschaftskonfliktgesetz finden, also außerhalb des Strafrechts. Zu den dabei diskutierten Details gibt es dazu auch bei den Evangelischen Frauen in Deutschland unterschiedliche Auffassungen und ethische Bewertungen.

Weiterer Diskussionsbedarf

Und selbstverständlich besteht weiter Diskussionsbedarf. Für die besondere Existenzweise einer Schwangerschaft - jenes „Zwei in Eins“ - gibt es in der bisherigen symbolischen Ordnung kaum Worte und Begriffe, geschweige denn, dass sie angemessen philosophisch, ethisch oder theologisch ausgeleuchtet und durchdacht wäre. Dies liegt daran, dass Philosophie, Ethik und Theologie über Jahrtausende hinweg fast ausschließlich aus der Perspektive von Menschen betrieben wurden, die selbst nicht schwanger werden können.

Das Nachdenken über moralische Prinzipien der Generativität und die Herausforderung der biologischen Tatsache, dass alle Menschen geboren werden, aber nur die Hälfte von ihnen selbst in der Lage ist, Kinder zu gebären, ist bis heute von frauenfeindlichen Denkmustern und Stereotypen geprägt. Die Evangelischen Frauen in Deutschland plädieren dafür, sich von einem Strafrechtsparagrafen zu verabschieden, der historisch und substanziell frauenfeindlich ist. Sie verbinden damit die Hoffnung, dass eine neue Debatte über die ethischen und theologischen Aspekte der menschlichen Fortpflanzung möglich wird, die patriarchale Denktraditionen hinter sich lässt und sich öffnet für die für die zahlreichen Beiträge und Ansätze (queer)-feministischer Philosophien und Theologien, die es dazu längst gibt.

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