Hungernde Kinder in Afrika. Mit diesen Bildern bin ich aufgewachsen. Dem Krieg und der Hungersnot in Biafra fielen 1967 bis zu zwei Millionen Menschen zum Opfer. Die Bilder von skeletthaft abgemagerten Kindern mit aufgeblähten Bäuchen werde ich nie vergessen. Gesammelt wurde in unseren Kirchengemeinden für hungernde Kinder in Afrika. Afrika war für mich ein Ort unermesslichen Leidens, der dringend Hilfe brauchte. Davon, dass es in Afrika über 50 völlig unterschiedliche Länder mit je eigenen Geschichten und Kulturen gibt, hatte ich keine Ahnung.
50 Jahre später hat sich mein Afrikabild verändert. Noch immer gibt es schreckliche Kriege in den Länderndes Kontinents, etwa im Kongo. Noch immer gibt es kriegsbedingte Hungerkatastrophen. Und fürchterliches Leid von Menschen auf der Flucht, die tausendfach vor den Toren Europas zu Tode kommen, was uns weiterhin mit Zorn erfüllt. Aber mein Blick auf Afrika hat sich dennoch in den vergangenen Jahrzehnten geweitet. Afrika is tfür mich ebenso zu einem Kontinent der Hoffnung und der Inspiration geworden. Das hat zu tun mit den Menschen, denen ich in den vergangenen Jahrzehnten begegnet bin. Viele sind mir zu Freunden geworden.
Über den Weltkirchenrat habe ich etwa Ruanda immer intensiver kennen gelernt. Ich bewundere alle Anstrengungen, mit den Narben oder auch noch offenenWunden des Völkermordes vor 25 Jahren dennoch nach vorne zu schauen, die Armut zu überwinden und ein Land aufzubauen, in dem alle Menschen in Würde leben können. Viel Erfahrung mit zivilgesellschaftlichem Engagement haben die Kirchen Südafrikas sammeln können. Bei dem Einsatz für die Überwindung des rassistischen Apartheid-Systems spielten sie eine zentrale Rolle.
Jetzt sehen sie sich neuen Herausforderungen gegenüber. Wie kann eine öffentlicheTheologie entwickelt werden, die die Impulse der unter diktatorischen Regimen entwickelten Befreiungstheologiein eine demokratische Kultur so überträgt, dass die Kirchen nicht nur prophetische Kritik an der Macht üben, sondern auch Orientierung für Menschen geben, die aufrichtig versuchen, mit ihrer politischen Macht im Sinne christlicher Impulse verantwortlich umzugehen? Mit seinen Diskussionsforen mit gesellschaftlichen Akteuren ganz unterschiedlicher Seiten hat der Erzbischof von Kapstadt Thabo Makgoba ein Format geschaffen, in dem das Nachdenken einen Sitz im Leben einer polarisierten Gesellschaft hat.
Einen ganz wichtigen Beitrag leisten auch die Partnerschaften, die zwischen vielen Gemeinden in Deutschland und den Ländern Afrikas bestehen. Wenn ich unsere Partnerkirche in Tansania besuche, begegnen mir Menschen, die mir Grüße an Gemeindeglieder bei uns mit auf den Weg geben. Die Herzlichkeit, die ich dabei spüre, berührt mich jedes Mal. Und was die Authentizität des Glaubenslebens angeht, sind längst wir das Entwicklungsland geworden. Statt Selbstoptimierung und Regelfixierung mehr Gemeinschaft, Lebensfreudeund ausstrahlende Spiritualität. Ich finde: Wir brauchen mehr Afrika in Deutschland.
Heinrich Bedford-Strohm
Heinrich Bedford-Strohm
Heinrich Bedford-Strohm ist Landesbischof in München, EKD-Ratsvorsitzender und Herausgeber von zeitzeichen.