Wir erleben derzeit eine schwierige Diskussion: Passt die Burka zu Deutschland? Und: Was hat das Tragen einer Vollverschleierung mit Religionsfreiheit zu tun? Ich finde, die Burka passt nicht zu Deutschland. Wenn ich mit jemanden spreche, möchte ich ihm oder ihr in die Augen sehen, die Mimik beobachten können. Das gehört bei uns einfach dazu. Hinzu kommt, dass mit Burka, Niqab & Co. ein Frauenbild in unsere Gesellschaft transportiert wird, das mit unseren Werten nicht vereinbar ist. Schnell kommen die Gegenstimmen, die proklamieren, das Tragen einer Burka habe etwas mit Selbstbestimmung, Freiheit, ja Religionsfreiheit zu tun.
Wir sind stolz auf unsere Grundwerte. Dazu gehört zweifelsohne auch die Religionsfreiheit. Es stimmt, dass ich in einer freien Gesellschaft jeden Tag Meinungen, Kleidungen, Ausdrucksformen tolerieren muss, die mich provozieren oder verärgern. Zuhause kann jeder machen, was er will. Aber in dem Moment, in dem ich auf die Straße trete und damit automatisch meine Freiheit die Freiheit und Erwartungen der anderen tangiert, gelten Regeln, ja müssen Regeln gelten, die dieses Zusammenleben strukturieren und gesellschaftlichen Frieden möglich machen. Deshalb wird übrigens auch Nacktsein im öffentlichen Raum als öffentliches Ärgernis eingestuft und sanktioniert. Deutschland ist eines der freiesten Länder der Welt. Wir leben in einer immer offener, vielfältiger und pluraler werdenden Gesellschaft. Wer gerade hier Freiheit, Offenheit und Toleranz erhalten will, muss Regeln definieren, die das auch möglich machen und Akzeptanz erhalten.
Reaktionäres Frauenbild
Ich bezweifle übrigens, dass es sich bei der Vollverschleierung wirklich um eine freie Entscheidung handelt. Vielmehr kommt darin ein völlig absurdes Frauenbild zum Ausdruck. Burka und Niqab drücken die angebliche Minderwertigkeit der Frau aus, sie entspringen einem reaktionären islamistischen Frauenbild. Es ist bezeichnend, dass der staatlich durchgesetzte Zwang, sich komplett zu verhüllen nur in radikal islamistischen Ländern gilt.
Eindrucksvolles Beispiel waren gerade jüngst die Bilder der Frauen, die voller Begeisterung ihren Gesichtsschleier verbrannten, nachdem die Stadt Manbidsch von islamischen Dschihadisten befreit wurde. Aber auch Alltagsszenen bei uns in Europa, wenn im Hochsommer bei 40 Grad im Schatten hinter dem Mann in Flip-Flop, kurzer Hose und T-Shirt seine komplettverhüllte Frau durch die Stadt läuft, lassen mich stark daran zweifeln, dass das die freiwillige Entscheidung der Frau ist.
Manche gehen dann sogar so weit zu sagen, wenn die Burka verboten würde, müsse man auch Ordenstrachten verbieten. Bei vielen gläubigen Menschen schüren solche unsinnigen Vergleiche Ängste. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Eine Frau, die sich für den Weg in ein Kloster entscheidet, tut dies im Regelfall freiheitlich. Dahinter steckt eine bewusste Entscheidung und ein Reifungsprozess. Frauen in islamisch geprägten Ländern bleibt diese Freiheit oft nicht - sie wachsen auf in einer Gesellschaft, in der die zurückgesetzte Rolle der Frau völlig selbstverständlich ist, weshalb sich viele Frauen auch nicht wehren können oder wehren wollen. Das führt uns auch zu der Frage, ob und wie weit der Staat sich in religiöse Fragen einmischen soll. Da kann man es ruhig mit dem Alten Fritz und seinem Motto „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“ halten.
Christliche Wurzeln
Am Ende ist Deutschland aber ein Land mit christlichen Wurzeln. Über Jahrhunderte hinweg haben Christen die Geschichte und Kultur unserer Heimat geprägt - vom Buchdruck über das Bierbrauen bis hin zur Medizin. Heute sind die Kirchen eine tragende Säule der Gesellschaft - das spüren wir nicht nur in den letzten Monaten, wenn es um das karitative Engagement von katholischer und evangelischer Kirche in der Flüchtlingshilfe geht.
Natürlich geraten wir in eine Schieflage, wenn Kreuze in öffentlichen Räumen entfernt werden, und wir uns gleichzeitig an vollverschleierte Frauen in unserem Straßenbild gewöhnen sollen. Noch viel wirksamer als Verbote sind dann aber auch engagierte und überzeugte Christen, die noch wissen, was in der Bibel steht. Was das betrifft, kann der Staat aber wirklich wenig tun.
Jens Spahn