Allzu oft muten "gekürzte Lesungen" den Hörenden eine ärgerliche Ruine des Originals zu. Doch diese Produktion bewahrt durch ihre behutsamen Auslassungen vor der Verirrung in einem kunstvoll konstruierten Romangebilde. Die Hörer folgen Bewohnern, Besuchern und Angestellten auf deren Wegen über zwei Etagen einer Altersresidenz. Zunächst horchen sie nur oberflächlich in die Gesprächskulisse hinein, halten die Geplänkel der Damen im Aufenthaltsraum noch für harmlos und die Ticks eines männlichen Bewohners für liebenswert. Die Szenerie wechselt so schnell, dass alles typisch, aber kurzweilig erscheint. Dass man sich in den Erzählsträngen nicht verirrt, verdankt das Hörbuch seiner Inszenierung durch Eva Mattes. Mit der ganzen Variationsbreite ihrer Stimme moduliert die Schauspielerin jedes Gefühl, das sich an dem tragikomischen Ort kristallisiert hat, jeden Charakter, der sich hinter Bosheiten und Begehrlichkeiten verbirgt.
Die Autorin entblättert die individuellen Lebensproblematiken dagegen erst nach und nach. Sie nimmt den Lesenden bei der Hand, führt ihn aus dem Besucherraum hinaus bis in die intimsten Zimmer, ja, bis in die Alpträume. Der Mann, der aus Eifersucht seine alzheimerkranke Frau schlägt; die Liebesnacht eines Paars über Achtzig: Jedes dieser Leben hat eine eigene Tragik. Das Altwerden und Sterben ist kein Zusammen im Sinne von Gemeinsamkeiten, sondern ein tief einsamer Prozess wie das Leben. Alte und Junge werden von einem Motiv getrieben: "Begehrt zu werden. Darum allein geht es." Wie gut, dass es einigen gelingt, das Begehren von einem anderen Menschen stillen zu lassen.
Camille de Peretti: Wir werden zusammen alt. Verlag HörbuchHamburg 2011.
Susanne Krahe