Resonanz vor Rosa

Ein Portalbegriff kann viele Väter haben, manchmal auch einen Theologen
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Portalbegriffe, die es schaffen. eine Grundstimmung, eine vorherrschende atmosphärische Tönung, die sich länger durchhält, semantisch abzubilden, zeugen ihre eigenen Väter. Resonanz ist so ein Begriff. Plötzlich ist das Wort in aller Munde. Wer zur intellektuellen In-Group – mit Tendenz zur Blasenbildung – gehört, dem zwingt sich dieses Wort von selbst immer wieder auf die Zunge und will freigelassen werden. Wer Resonanz sagt, sagt heute auch immer Rosa. Gemeint ist selbstredend Hartmut Rosas Epochenbuch einer neuen Soziologie der Weltbeziehung. Rosa und Resonanz gehören zusammen. Aber hat Rosa das Wort auch als Portalbegriff erfunden, bitteschön?

Auf der Homepage des Philosophen und Theologen Frits de Lange, Emeritus für theologische und philosophische Ethik an der Universität Groningen, den ich seit den Studienzeiten in den Niederlanden kenne, war jüngst davon zu lesen, wie in den Niederlanden nach weiteren Vätern des Begriffs gefahndet wird. Resonanz! Es wird ein neuer, bisher in den Debatten kaum genannter Name ausposaunt: Gerd Theißen, emeritierter Neutestamentler, international bekannt geworden durch seine Sozialgeschichte des Urchristentums, hat bereits 1978 einen Essay herausgebracht, der den Begriff ins Zentrum rückt. Für mich stellt sich die Frage: Warum konnte man diesen Ansatz außerhalb der Theologie komplett übersehen? 

Werbetechnisches Desaster

Die Antwort ist relativ einfach: Es ist ein werbetechnisches Desaster des damaligen Kaiser-Verlags. Offenbar waren alle Lektor*innen in den Ferien. Sowohl Titel als auch Untertitel führen den Begriff nicht: Gerd Theißen: Argumente für einen kritischen Glauben oder: Was hält der Religionskritik stand? Der Titel ist für den damaligen theologischen Diskurs nicht aufregend, sondern eine auch von anderen Autoren von Rang traktierte Frage. Auch das Inhaltverzeichnis nennt den heutigen Portalbegriff nicht ein einziges Mal! Umso überraschender ist es, dass der Begriff in den Unterüberschriften einen zentralen Platz einnimmt und die Führung übernimmt. Resonanz macht schreibend Karriere. „Wir benötigen daher einen übergreifenden Begriff, der sowohl die zwischenmenschlichen Beziehungen als auch die nicht unbedingt intentional zu interpretierenden Erfahrungen des Heiligen in der außermenschlichen Wirklichkeit umfaßt. Wir führen hier einen neuen Begriff ein, den Begriff »Resonanz« bzw. »Resonanzerfahrung«.“ (48) 

Das „Verstummen von Resonanz“ belegt Theißen mit dem Camus entlehnten Begriff der „Absurdität“. Die Definition lautet: „Religion ist Sensibilität für Resonanz und Absurdität der Wirklichkeit.“ (49). Theißen untersucht dann „nomologische“, also auf die Wissenschaft bezogene „Resonanz- und Absurditätserfahrung“; „hermeneutische, solidarische und erotische“; „organologische“; „ästhetische“ und „existentielle“ Resonanz- und Absurditätserfahrungen. (49-67) Und er ergänzt (und führt dann aus): „Religion besteht nicht nur in Wahrnehmung und Sensibilität für Resonanz und Absurdität. Charakteristisch ist vielmehr, daß Resonanz- und Absurditätserfahrungen motivationale Bedeutung gewinnen: Das Heilige wird als Appell, als Sollen, als Imperativ erfahren, zumindest dort, wo es den Menschen ins Passiv umakzentuiert, wo es zu jener Umkehr kommt, in der es als bewegende Macht erfahren und der Mensch zur Antwort wird.“ (74). Als Leser*in ahnt man: Bald kommt das unvermeidliche Rilke-Zitat: Du musst dein Leben ändern! Der Vaterschaftstest ist also eindeutig, oder? 

Lange unentdeckt

Annette Merz, eine Schülerin von Gerd Theißen, Neutestamentlerin an der Universität Utrecht, die mit Theißen zusammen ein fulminantes Buch zur Frage nach dem historischen Jesus geschrieben hat, befeuert die Diskussion in den Niederlanden. Richtig: Rosa zitiert Theißens frühe Schrift, die den Resonanzbegriff auch auf die Frage der Lebensführung zuspitzt, an keiner Stelle. In späteren Schriften im Werk Theißens treten eher andere Begriffe wie Lebensdienlichkeit oder Statusverzicht in den Vordergrund. Für mich milde überraschend, wurde die Festschrift zum 80. Geburtstag Theißens (2023), u.a. herausgegeben von Annette Merz, mit Resonanzen überschrieben. Im Vorwort heißt es: Resonanz sei eine zentrale Metapher für Theißen und der Jubilar Theißen wird als Resonanztheologe vorgestellt. Das ist überpointiert.

Ich lese die inzwischen virulente Frage nach dem Vater des Portalbegriffs als Indiz dafür, dass die Theologie über nun schon einen beängstigend langen Zeitraum in den anderen Fächern allenfalls en passant wahrgenommen wird. Der starke Essay von Theißen blieb unentdeckt. Und dieser Puff muss zugleich in die Gegenrichtung zu Theißen gehen, denn der eigentliche Urvater der Resonanz ist der Leib-Phänomenologe Hermann Schmitz, der bereits in den frühen Arbeiten zu Goethe Ende der Fünfziger, in seinem System der Philosophie und in der späteren Verdichtung: Der unerschöpfliche Gegenstand den Leib als „universalen Resonanzboden“ feiert. Resonanztheorie ist Leib-Phänomenologie. Theißen zitiert Schmitz in der Frühschrift nicht. Und ja: Man hätte es wissen können. Und ja: Schmitz war 1978 noch immer ein Außenseiter und wurde in der Theologie bis zu diesem Zeitpunkt nicht, allenfalls vereinzelt rezipiert. Blindheit auch hier. Rosa zitiert Schmitz dagegen ausführlich, das Buch erscheint freilich sehr viel später. Schmitz war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Klassiker.

Resonanzstörungen und Blockaden überall. Die sind inzwischen aufgehoben. Der Resonanzbegriff hat viele Väter. Das eröffnet Räume und erzeugt Energie für eine Suche nach einem überlappenden Konsens zwischen Philosophie, Theologie und Soziologie. Und für eine Suche nach neuen Partnerschaften. Worin unterscheiden sich die Deutungsschulen und worin treffen sie überein?

 

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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