Doppelstruktur

Vor einem Jahr wurde der Bundesfreiwilligendienst eingeführt
Alle Lobgesänge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dem neuen Freiwilligendienst eine Doppelstruktur geschaffen wurde. Was als Übergangslösung auf die Schnelle seine Berechtigung hatte, zementiert sich.

Die Lobeshymnen könnten größer nicht sein: Ein "Erfolgsmodell" nennt es das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Zahlen seien beeindruckend. Und Bundesministerin Kristina Schröder spricht gar von einer genutzten historischen Chance. Dem Bundesfreiwilligendienst, der vor einem Jahr den Zivildienst ablöste, gilt das Lob. Und in der Tat: Der befürchtete Bewerbermangel blieb aus, die Resonanz ist groß, inzwischen sind alle der geplanten 35000 Stellen besetzt.

Zur Erinnerung: Nach der Aussetzung der Wehrpflicht war vor genau einem Jahr der Bundesfreiwilligendienst an die Stelle des Zivildienstes gerückt. Eilig wechselte das Bundesamt für Familie und Zivildienst seinen Namen und wurde zum neuen Amt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Als erste Aufgabe baute das Bundesamt, also der Staat, einen neuen Freiwilligendienst auf. Angeblich auch, um die für den Zivildienst bereits eingestellten Mittel auszuschöpfen.

Und noch dazu tritt der neue Freiwilligendienst in Konkurrenz zu den bislang erfolgreich praktizierten Jugendfreiwilligendiensten wie unter anderen Freiwilliges Soziales und Ökologisches Jahr (FSJ/FÖJ). Sie werden von den Bundesländern in enger Zusammenarbeit mit den gemeinnützigen Verbänden koordiniert und organisiert. Kein Wunder also, dass sich Bund und Länder uneins sind. Ärgerlich sei auch die unterschiedliche Bezuschussung, beklagte jüngst die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe.

Zweierlei Maß

Es darf nicht sein, dass finanziell mit zweierlei Maß gemessen wird. So gibt es nach Angaben der Diakonie für jeden Bundesfreiwilligen 350 Euro monatlich, für den Aktiven im FSJ dagegen nur 130 Euro Zuschuss vom Bund. Hier werden also Freiwillige massiv mit Geld geködert.

Alle Lobgesänge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dem neuen Freiwilligendienst eine Doppelstruktur geschaffen wurde. Was als Übergangslösung auf die Schnelle seine Berechtigung hatte, zementiert sich. Für die Träger bedeuten die parallelen Strukturen einen großen bürokratischen Aufwand. Gleichzeitig benötigen sie durch die weggefallenen Zivildienststellen weitere Stellen. Doch die werden aus finanziellen Gründen vom Bundesministerium nicht gewährt.

Im Unterschied zum Freiwilligen Sozialen Jahr können sich im Bundesfreiwilligendienst Frauen und Männer jedes Alters engagieren, sobald sie die Schule beendet haben. Auffällig ist, das ermittelte jetzt eine Studie der Hertie School of Governance, dass in den neuen Bundesländern dreiviertel der Bundesfreiwilligen aus der Altersgruppe der 27- bis 65-Jährigen stammen, während ihr Anteil im Westen lediglich mit 20 Prozent zu messen sei. Da liegt der Verdacht nahe, dass Arbeitsagenturen schon mal in Freiwilligendienste vermitteln. Das wäre allerdings ein fatales Zeichen. Auf keinen Fall darf der Bundesfreiwilligendienst als Steuerungsinstrument für den Arbeitsmarkt dienen.

Grundsätzlich gilt: Jedes bürgerschaftliche Engagement ist unterstützenswert und förderungswürdig. Für andere Bereiche mag Konkurrenz das Geschäft belegen, doch der Bundesfreiwilligendienst muss über kurz oder lang in einen zivilgesellschaftlichen Freiwilligendienst münden, Doppelstrukturen erzeugen Frust und kosten unnötig Geld.

Kathrin Jütte

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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