Gefühle müssen bekanntlich erst zu- und dann 'rausgelassen werden. Sind sie erstmal draußen, erweisen sie sich allerdings in den meisten Fällen als ordinäre Wut, die es zu kanalisieren gilt, soll es nicht zu Peinlichkeiten kommen. Am besten wendet man sich an einen Gefühle-Coach, an jemanden, der seine Wut politisch-nützlich einzusetzen weiß: etwa auf einer Demo, wo er einem Mikro anvertraut, er sei "unheimlich wütend", und zwar in einer Angelegenheit, wegen der auch alle anderen Versammelten unheimlich wütend sind. Denn merke: Wenn eine Menge Menschen wegen derselben Sache unheimlich wütend ist, gilt dies als Beweis gegen letztere. Dieser produktive Umgang mit der Wut kann leider selten spontan angewendet werden.
Wie man aber an akuten Wutattacken nicht erstickt, sondern sie, im Gegenteil, elegant abwettert, dafür ein Beispiel: Vor sehr vielen Jahren hatte ich als junger Schulbuchredakteur eine Arbeitssitzung mit einigen Lehrern zu leiten. Einer der Anwesenden wurde von mir heimlich "der Dampfkessel" genannt und gefürchtet: Saß die Gruppe beisammen, konnte irgendjemandes Bemerkung bei ihm einen - zumindest scheinbar - spontanen Wutausbruch auslösen, der sich allerdings niemals gegen die Person, die sich unterstanden hatte, jene Bemerkung zu tun, richtete, sondern gegen nicht anwesende Dritte, an deren Verfehlungen er durch sie erinnert worden war. Sein Gesicht nahm einen tiefen Rotton an, seine Stimme grollte, seine Faust krachte nieder.
Paralysiert durch Peeperkorn-Assoziationen
Während ich noch durch Mijnheer-Peeperkorn-Assoziationen paralysiert da saß, hatte sich schon eine Lehrerin, die, wie ich später erfuhr, in dieser Übung bewährt war, ihm zur Seite gesetzt und redete in ruhigem Tonfall auf ihn ein. Und in der Tat, plötzlich war der Druck weg, "Genug!" donnerte der Dampfkessel, wischte den Wutanlass mit der nun wieder entspannten Hand vom Tisch und schloss mit matter Stimme: "Lasst uns weitermachen."
Die Erinnerung an diesen Mann und seinen gekonnten und sozialverträglichen Umgang mit seinen Wutgefühlen habe ich mir bewahrt. Merkwürdigerweise habe ich nie daran gedacht, seine Methode zu kopieren, niemals habe ich, etwa auf einer Verwaltungsratssitzung, gewagt, zu explodieren und lautstark meiner Wut auf irgendwelche Nichtanwesenden freien Lauf zu lassen. Vielleicht habe ich immer befürchtet, das würde irgendwie nicht ganz authentisch 'rüberkommen oder man könne mir gar unterstellen, dass die Ursache meiner Wut in Wirklichkeit aus räumlich näheren Kontexten herrühre. Jeder muss da eben seine eigene Methode finden. Ich arbeite noch dran.
Helmut Kremers
Helmut Kremers
war bis 2014 Chefredakteur der "Zeitzeichen". Er lebt in Düsseldorf. Weitere Informationen unter www.helmut-kremers.de .