Vorläufiges Ende vieler Anfänge

Die evangelische Medienexpertin Johanna Haberer hält ihre Erlanger Abschiedsvorlesung
Johanna Haberer - Medienexpertin und Theologin
Foto: Vera Tammen
Die evangelische Medienexpertin und Theologin Johanna Haberer

In Vielem war sie die Erste, zum Beispiel die erste Frau im Pfarramt in der bayerischen Landeskirche. Aber auch viele Ideen und Gedanken zur evangelischen Medienarbeit entwickelte Johanna Haberer als erste. Jetzt ging sie zumindest als Erlanger Professorin für christliche Publizistik in den Ruhestand – mit einer anspruchsvollen letzten Vorlesung.

Es war ein schönes Zusammentreffen: Just an diesem Dienstag, am Tag der Abschiedsvorlesung und Verabschiedung von Johanna Haberer als Professorin für Christlichen Publizistik an der Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen, feierte die renommierte Theologin und Medienwissenschaftlerin ihren 66. Geburtstag. Und mit dem fängt ja nach Meinung eines der bekanntesten Schlagersängers das Leben erst an.

Naturgemäß aber stehen bei einem Abschied aus dem aktiven Dienst Summieren und die Rückschau im Mittelpunkt. Zunächst beeilten sich alle, die an diesem Dienstagabend in der Aula im Erlanger Schloss etwas sagten, zu beteuern, dies unbedingt vor der zu Ehrenden tun zu wollen, weil eben niemand gerne „nach Johanna Haberer“ sprechen möge, wie einer der Grußwort haltenden Vorredner gestand. Ein Kompliment an die stets mitreißend, vielschichtig-farbig aber doch in entscheidenden Momenten immer auf den Punkt formulierende Johanna Haberer, die in ihrer Abschiedsvorlesung ein Zeugnis dieser Fähigkeiten ablegte.

Unter dem Titel „Auf der richtigen Seite? Überlegungen zur journalistischen Loyalität“ schlug die erste und bisher einzige deutsche Professorin für Christliche Publizistik einen weiten Bogen. Zunächst unterstrich sie eingangs das Fragezeichen, das den Titel der Vorlesung ziert, mit einigen Fragen zu Stand, Stellung und Einstellung der heutigen Journalisten, zum Beispiel diesen:„Wo ist der Platz des Journalisten in der Gesellschaft? Stimmen die Paradigmen noch nach denen unsere Gesellschaft die Aufgabe der Medien definierte: Vierte Gewalt? Anwälte der Bürger sein? Gatekeeper zu Information und Meinung? Ermittler auf den Spuren der Korruption und der Macht? (…) Reportiert der Journalist, was die Bürger wissen müssen, um sich als Bürger verhalten zu können – oder entwirft er die Welt, wie sie ihm gefällt? Soll der Journalist Aktivist sein, Chronist oder Kritiker? Oder sogar Schriftsteller – mit fiktionalen Ambitionen? Sind Journalisten und Journalistinnen Dienstleister oder Propheten und Prediger oder sind sie – wie es heute in vielen Debatten heißt, Teil einer konstruktiven Lösung (constructiv journalism) der weltweiten Krisen?“

Und schließlich fragt sie – anspielend auf Rudolf Augsteins berühmte lakonische Sentenz, die eigentlich nur als Artikelüberschrift überliefert ist  – : „,Sagen, was ist‘“. Was heißt das?“ und konstatiert: „Die Medienwelt steht Kopf. Der Beruf hat sich verändert und mit ihm die Politik.“ Es stelle sich so inzwischen die Frage, „wer wen treibt: Medienschaffende die Politiker oder umgekehrt.“ In jedem Fall, so Haberer weiter, würden Politiker „mittlerweile auch an ihrem Unterhaltungswert gemessen, mit gefährlichen Folgen: Firmen- und Staatenlenker entlassen ihre Stäbe für Öffentlichkeitsarbeit und machen ihre Öffentlichkeitsarbeit selbst und per Twitter. Dabei halten sich an keinerlei Regeln mehr. Auch nicht an die des Anstands. Sie schreiben sich die Welt zusammen, wie es ihnen passt.“ Andererseits aber seien im Gegenzug auch Qualitätsmedien versucht, „alle Regeln der Neutralität fahren zu lassen“.

„Reflektierende Zeitzeugin“

Den Hauptgrund dafür sieht sie im digitalen Wandel der Medien in den vergangenen Jahrzehnten. Schon vorher, als Haberer sich zu Beginn ihrer Laufbahn im Feld der Medien Anfang der 1980er-Jahre mit dem Phänomen des Privatfunks beschäftigen musste, hätten viele („besonders natürlich die Kolleg:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“) schon „den Untergang des Abendlandes“ kommen sehen. Insofern sei sie, so Haberer resümierend, „eine reflektierende Zeitzeugin jenes Wandels hin zu einer Medienwelt, in der alle eine Stimme haben und das vielstimmige Konzert der Meinungen bisweilen schrille und auch hässliche Töne hervorbringt.“

Sie selbst, so Haberer, habe ihre Professur im Jahre 2001 angetreten, als jene Technologie, „die damals noch einfach Internet hieß“, ihren Siegeszug antrat, obwohl jene „neue federleichte, unschlagbar effektive, blitzschnelle Technologie“, „gerade ihre erste geplatzte Börsenblase hinter sich hatte“. Dieses „Internet“ habe nicht nur „unseren Kommunikationshabitus, unsere Rituale, unseren Alltag, unsere Art zu schreiben, zu reden, uns zu informieren, Wissen zu produzieren und zu präsentieren“ verändert, sondern den  Beruf des Journalisten und der Journalistin revolutioniert. So haben sich nicht nur die Anforderungen an die journalistischen Fertigkeiten vervielfältigt, sondern auch die Debatten um das Berufsethos „verschoben“.

Früher galten „Sorgfaltspflicht, Objektivität und/oder Neutralität, und das Zauberwort ,Ausgewogenheit‘ als zentrale journalistische Leitkategorien“ und ein Journalist solle sich mit keiner Sache gemein machen – auch nicht mit einer guten...“. Heute aber, so Haberer stehe diese Forderung in Frage, denn der Ruf nach „Haltung“ im Journalismus beherrsche die Debatte oder wie es Emil Dovivat, einer der Gründungsväter der wissenschaftlichen Befassung mit Journalismus in den 1960er-Jahren bereits nannte, nach „Gesinnung“.

Börne vs. Heine / Kisch vs. Tucholsky

In einem interessanten Ausflug in die Frühzeit des Journalismus zeigte Haberer auf, dass der Streit um das journalistische Selbstverständnis keinesfalls neu ist – unter anderem präsentierte sie Kontroversen aus dem 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen Ludwig Börne und Heinrich Heine und dann am Beispiel von Egon Erwin Kisch, dem „rasenden Reporter“ und Kurt Tucholsky.

In der heutigen Journalistenausbildung aber, so Haberer, stünden häufig nicht mehr „Objektivität/Neutralität“ oder „Ausgewogenheit“ als Ausbildungsziel für angehende Journalistinnen in ihrem Programm, sondern nur noch „Fairness“. Dieser „Ich-Journalismus“ habe durchaus „sehr interessante und bemerkenswerte Formate“ geschaffen und die Berichterstattung „bereichert und belebt“. Diese – laut Haberer – „subjektivistische(n)“ Positionen verbinden sich mit dann mit einem Berufsbild, „das Journalisten die Freiheit zu uneingeschränkter Kritik einräumt und ein Anrecht auf eigene politische Selbstverwirklichung mittels jenes Mediums, für das sie arbeiten“. So verstünden sie sich dann weniger als Berichterstatter, sondern als „Welterklärer Weltinterpreten und parteiliche Wortführer.“

Süffisant zitierte Haberer an dieser Stelle dann Ihren Weggefährten, den Theologen und Journalisten Friedrich Kraft, der einmal angemerkt habe, dass sich unter Journalisten solcher Art eben dann auch „Besserwisser, Rechthaber und Wichtigtuer“ fänden. Auch Haberer sieht diese Subjektivisten des „New Journalism“ kritisch, denn hier drohe „komplette(r) Relativismus“ oder sogar eine Tendenz zum „Totalitarismus“ (Ulrich Saxer), weil sich dieser Journalismus „geradezu lustvoll in die Parteilichkeit und die Durchsetzung individueller Positionen hinein(steigert). Haberer: „Was aber nütze dieser subjektive (…) Haltungs- und Gesinnungs-Journalismus den Bürgern in einer demokratischen Gesellschaft, (…) und was unterscheide „diese Sorte Journalisten, die sich als Heils- oder Unheilspropheten verstehen, noch von der Predigerin und dem Kanzelredner – abgesehen davon, dass sie sich nicht auf Gott und die Heilige Schrift berufen (sondern auf ihre individuelle Erfahrung)?“

„Immer auch ein Erkenntnisweg“

Für Johanna Haberer ist klar, dass es allein so nicht geht, sondern dass auch jeder „subjektive Medienbeitrag“ zugleich einer „Objektivitätsanforderung“ unterliegen müsse. Mit dem Fall Claas Relotius nannte sie den jüngsten schweren Unfall auf diesem Gebiet und postuliert demgegenüber: „Journalismus ist immer auch ein Erkenntnisweg. Natürlich innerhalb eines weltanschaulichen Gebäudes, natürlich immer mit persönlichen originellen Zugängen. Das macht ja guten Journalismus aus. Aber immer angebunden an überprüfbare Tatsachen und adäquat übermittelte Mitteilungen.“ Ausdrücklich stimmt sie der Forderung des bekannten US-Journalisten Glenn Greenwald zu, der angesichts der Snowden-Affäre einst den Satz prägte: „Journalisten müssten Aktivisten der Demokratie sein“. Dies könne aber, so Haberer, „umgekehrt nicht bedeuten, dass Journalisten – etwa in der Klimadebatte oder in der Diskussion um den Ukrainekrieg – scheinbar alternativlose Handlungsweisen empfehlen.“ Denn: „In einer Demokratie geht es immer um Alternativen.“

Ausführlich sprach Haberer dann über ihr Spezialgebiet, die „Christliche Publizistik“ (was im Rahmen dieses kurzen aktuellen Rückblicks nicht in Gänze vertieft werden soll). Wichtig war Haberer festzuhalten, dass das Selbstverständnis „christlicher“ Journalistinnen und Journalisten im Unterschied zu den Journalisten der „allgemeinen Presse“ – eine besondere Loyalität erfordere, nämlich „das Bekenntnis zum christlichen Weltverständnis, das Ermutigung und Trost und Katechese ebenso als publizistische Aufgabe versteht, wie die sachliche Berichterstattung aus dem Raum der Kirche“.

Einen Punkt stellte Haberer dabei scharf heraus: Christliche Publizistik ist nicht Lobbyismus für die Kirche, sondern für die Sache. In dieser „Logik der Anwaltschaft für die Verwundeten“ hätte man durchaus erwarten können, dass die christliche Publizistik sich besonders der Opfer kirchlichen Handelns oder Wegschauens angenommen hätte. Haberer: „Lassen Sie mich einmal träumen – wie stünde die katholische Kirche heute da, hätte ihre eigene Kirchenpresse die Aufklärungsarbeit rund um die Gewalttaten in der seelsorgerlichen Vertrauenssphäre selber aufgeklärt und verfolgt? Ähnliches gilt für die evangelische Kirchenpresse.“ Aber was dies angehe, so Haberer, gerate eine Publizistik „die am finanziellen Tropf der Institution Kirche hängt und mit immer weniger Redakteuren immer mehr Kanäle bedient, an ihre Grenzen.“ Und eigentlich könne es so nicht weitergehen. Wenn die Kirche und ihre Publizistik in der Aufmerksamkeitsökonomie des heutigen Medienwettbewerbs (…) überleben wolle, so Haberer, dann müsse sie ihre professionellen Kräfte „neu bündeln“. Und das heiße: „Doppelstrukturen zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Verbands-Publizistik auflösen, die Funktion journalistischer Arbeit neu konzipieren, sich zur Marke etablieren, Raum und Zeit für Reporter organisieren, damit nicht nur berichtet, sondern intensiv recherchiert werden kann.“

„Skeptiker und Nestbeschmutzer“

Kenner der Materie hörten hier Haberers Ceterum Censeo durch, dass sie seit vielen Jahren immer wieder engagiert vorgetragen hat. Aber da Investitionen im Zeitalter der scheinbar alternativlos auf Einsparung gepolten Kirchenorganisationen keine Chance zu haben scheinen, keimt wenig Hoffnung. Auch hat man nicht den Eindruck, dass sich viele Verantwortliche dieser Organisationen nach kritischer Begleitung durch im Kern loyal verbundene aber unabhängig denkender, institutionell verankerter Selbstkritik sehnen.

Zum Schluss ihrer großartigen Vorlesung fasste Johanna Haberer es so zusammen:  „Kirche braucht wie jedes Unternehmen Skeptiker und „Nestbeschmutzer“, die den Finger in die Wunde legen wie einst der ungläubige Thomas, damit sie wieder sein kann, wofür sie vor 2000 Jahren einmal angetreten ist: ein Raum für vorbildliches Zusammenleben von Menschen. Eine Welt, in der man es besser machen will.“ Und Johanna Haberer wäre nicht Johanna Haberer, wenn sie nicht unverdrossen, wie am Ende Ihrer Vorlesung, fordert: „Die Kirchen müssten hier einen großen Wurf machen und großzügig in Kreativität investieren, in Menschen und Ausbildung - und natürlich in Freiheit. Und in Forschung. Das wäre mein Traum….“

Langer Applaus, stehende Ovationen in der Erlanger Schlossaula nach lebhaften 45 Minuten Abschlussvorlesung! Hoffentlich wird diese kraftvolle, visionäre Pionierin kirchlicher Medienarbeit im digitalen Zeitalter weiterhin einflussreich ihre Stimme erheben, auch wenn sie zufällig jetzt pensioniert wird. Die Entscheidung über die Neubesetzung des Lehrstuhls ist angeblich schon gefallen, aber der Name soll, warum auch immer, noch eine Weile geheim gehalten werden, wie man am Rande der Veranstaltung erfuhr.

Johanna Haberer jedenfalls lieferte eine mitreißende, reiche Abschlussvorlesung! Möge für sie gelten, wie Udo Jürgens in seinem bekannten Lied dichtet: „… mit sechsundsechzig ist noch lange nicht Schluss“.

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