Vollendete Magie

José Afonso: Cantigas do Maio

Die eigenen Bildungslücken sind immer noch die schmerzhaftesten. Ich kannte José Afonso (1929–1987) bis vor kurzem nicht mal dem Namen nach und erfahre jetzt, dass er als der größte Musiker Portugals gilt, vielen jedenfalls, auch dem Musikmanager Nuno Saraiva. Der gründete das Label Mais 5 eigens, um seine Alben wieder erhältlich zu machen. Früher hätten wir ihn Liedermacher genannt. Gitarre und Gesang, mehr erst mal nicht. Afonso hat einen warmen, leicht kratzigen Tenor. Die Magie vollendet der Klang des Portugiesischen. Die Songs stehen in der Tradition von Volksliedern, Erntegesängen und Tänzen. Musikalisch geprägt haben ihn die Jahre in der alten Universitätsstadt Coimbra. Der Fado dort ist anders als jener in Lissabon, nicht knüppelhart fatalistisch. Er hält mehr an der Sehnsucht als am Wissen um deren Zerbrechen fest, in der Anmutung ein Amalgam aus Blues und Oper: „Das Lied derer, die ihre Illusionen bewahren und pflegen, nicht derer, die sie für immer verloren haben“, schrieb der Musikwissenschaftler Rodney Gallop 1936.

Musik, die offenbar Haltung befördern kann: Afonso gehörte zur linken studentischen Opposition gegen das faschistische Regime und blieb ihren Zielen treu. Liebe ist denn auch ebenso sein Thema wie Solidarität und Kampf für das Volk, das man mit nur vier Jahren Schulunterricht gezielt ungebildet hielt (was das Smartphone nun ungleich eleganter erledigt). Zum großen, auch für die Texte gerühmten Singer-/Songwriter wurde er, als 1968 Cantares do Andarilho erschien, nun Auftakt der ReRelease-Serie mit bislang vier Alben. Meisterwerk und legendär ist das vierte, die 1971 veröffentlichten Cantigas do Maio – Mai-Gesänge oder besser: Frühlings-, nein, Aufbruchsgesänge! An Instrumenten kommen Akkordeon, E-Gitarre, Orgel, Flöte und Trompete hinzu, nicht opulent, sondern organisch wohldosiert wie die umwerfende Percussion. Sie integriert feinsinnig Ethno-Elemente, die Afonso aus der Zeit in Angola und Mosambik kannte.

Wunderbare Chorgesänge gibt es ohnehin zuhauf, besonders ergreifend im von Marschschritten eröffneten Grândola, Vila Morena – du braungebrannte Stadt, Afonsos bekanntestem Lied („In dir ist’s das Volk, das die größte Macht besitzt,/Land der Brüderlichkeit:/Grândola!“). Ein Radiosender spielte es in der Nacht zum 25. April 1974 als verabredetes Signal für die Putschoffiziere zum Start der Nelkenrevolution. Ein Gänsehaut-Garant wie alle Songs der Platte, die einen perfekten Afonso-Einstieg bieten. Hürde ist die Sprache, doch im Netz gibt es Übersetzungen. Und wie sonst auch hilft das online-Wörterbuch der TU München (dict.leo.org). Den Rest verrät der Klang. Eintauchen!

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