Johannes Lähnemann ist derzeit wohl der bekannteste evangelische Theologe, wenn es um „interreligiöses Lernen“ und „Weltreligionen im Unterricht“ geht. Im Sommer 2021 feierte er seinen 80. Geburtstag, doch kann von Ruhestand bei ihm keine Rede sein.
Die vielen Resümees sind es, die zu ziehen ihn auf Trab halten. Nach der persönlichen Lebensbilanz in seiner Autobiografie Lernen in der Begegnung zog er 2020 eine Bilanz der Geschichte der interreligiösen Arbeit in Nürnberg. Diese Stadt, an deren Universität er vor vierzig Jahren (1981) an den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts berufen wurde, kann durchaus als eine Hochburg der interreligiösen Begegnung auf diversen Ebenen gerühmt werden.
Um drei Beispiele zu nennen: 1988 wurden hier der deutsche Ableger der „Weltkonferenz der Religionen für den Frieden“ (WCRP) und zugleich die Nürnberger WCRP-Ortsgruppe gegründet, woran Lähnemann großen Anteil hatte. Was den bilateralen Dialog angeht, wurde 1993 mit „Brücke/Köprü“ eine „Begegnungsstube“ für Christen und Muslime eröffnet, die bis heute existiert und eine echte Erfolgsgeschichte darstellt.
Auf akademischer Ebene aber sind da die aus Nürnberg nicht mehr wegzudenkenden Foren, die Lähnemann ebenfalls ins Leben gerufen hat. Deren fast vierzigjährige Geschichte dokumentiert und bilanziert er in dieser, seiner jüngsten Publikation. Sie vervollständigt das, was man dazu im Internet unter www.nuernberger-forum.uni-erlangen.de finden kann. Angefangen hatte alles 1982 mit einem Symposium zur Frage, wie sich Türken und Deutsche, also auch Muslime und Christen in Schule oder Studium gut begegnen können. Der Schlüsselbegriff hieß in den 1980er-Jahren noch nicht „interreligiöser Dialog“, sondern „Kulturbegegnung“.
Auf diesen Startschuss, der später als erstes „Forum“ galt, folgten bis 2016 im Dreijahresrhythmus insgesamt elf weitere Foren. Deren Themen sind ein Spiegelbild der gesellschaftlichen, politischen, pädagogischen, interkulturellen beziehungsweise interreligiösen Entwicklungen und Debatten dieser Jahrzehnte. So entpuppen sich etwa die späten 1980er-Jahre als Schlüsseljahre der Entdeckung, dass Religionen einen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten können und sollen.
Programmatisch steht hierfür Hans Küngs in Nürnberg vorgetragene These „Kein Weltfriede ohne Religionsfriede“, was in den 1990er-Jahren dazu führte, entsprechende friedenspädagogische und später weltethische Unterrichtskonzepte zu entwickeln. So wurde interreligiöses Lernen zu einem integralen Bestandteil der Religionspädagogik. Mit der Jahrtausendwende, in der das siebte Forum stattfand, rückte ein neues Motiv in den Vordergrund: „Spiritualität“ als zusätzliche Ebene der interreligiösen Begegnung, etwa in Gestalt gemeinsamer Gebetsfeiern. Stießen diese zunächst auf erheblichen Widerstand, schienen sie angesichts der Terroranschläge von 9/11 nun geradewegs geboten, jedenfalls in Form gemeinsamer Friedensgebete. Dies bedeutete in der Folge, Religionen (längst nicht mehr nur die monotheistischen) als Bewahrer, Entwickler und Versöhner zu begreifen, so dass religiöse Erziehung sich zunehmend ihrer globalen Verantwortung bewusst wurde.
Ab 2006 wurde „interreligiöse Bildung“ zum Leitbegriff der Foren. Weshalb es nach 2016 kein 13. Forum gab, hat sich mir nicht erschlossen. Auch der abschließende Ausblick in die Zukunft der Foren beantwortet das nicht. Sind die Foren vielleicht müder als ihr Initiator? Wem diese eindrucksvolle Bilanz nicht genügt: Alle Foren sind je in einem eigenen Tagungsband im selben Verlag dokumentiert.
Martin Bauschke
Martin Bauschke ist Theologe und Religionswissenschaftler. Er wohnt in Berlin.