Mein erster Eindruck war: ein kluges, anregendes, frommes, selbstbewusstes, dabei nicht überhebliches Buch, mit Charme und sichtlicher Freude am Argumentieren geschrieben. Am liebsten läse ich die früheren Bücher Felicitas Hoppes alle noch einmal.
Daneben, und das ist das große Verdienst der hier zusammengestellten zehn Texte, ist es ein Gesprächsangebot der Autorin an uns Leser. Zuerst über den Glauben, danach auch über Literatur, über die Wirkungen von Kunst. Ihr Schreiben speise sich, „bei aller scheinbaren Kompliziertheit und vermeintlichen Selbstbezüglichkeit, von Anfang an aus der Mündlichkeit und sucht jederzeit die Begegnung, das Gegenüber, den Leser“. Sowohl Hoppes eigenes Bekenntnis wie auch die Einladung zum Gespräch kommen nie formelhaft oder penetrant daher, sind nie peinlich; sie werden in einem persönlichen Gesprächston vorgetragen. Ein Gespräch über Glaubensfragen erscheint als selbstverständlich und existenziell notwendig. Schließlich geht es dabei um Leben und Tod. Warum schämen wir uns, darüber zu reden, über unsere Ängste, unsere Zweifel und auch über die Gewissheiten – wenn wir denn über solche verfügen?
Im Schweigen sieht die Autorin „Herausforderung und Verweigerung, Not und Provokation zugleich. Wer willentlich schweigt, entzieht sich dem vereinbarten Sprachverkehr unter den Menschen“.
Wir alle sind darauf angewiesen, wahrgenommen und gesehen zu werden. Zuerst werden wir alle von Gott gesehen, er ist unser Schöpfer, und keines seiner Geschöpfe bleibt von ihm unbeachtet. Aber wir müssen auch von unseren Mitmenschen angesehen, als Mit-Lebende wahrgenommen werden. Zum Wahrnehmen gehört das Hören auf den anderen. Um gehört zu werden, müssen wir reden. Hören und gehört werden, schweigen und reden gehören zu den Grundbedingungen menschlichen Lebens.
Wer nicht redet, entzieht sich dem Dialog. Hier ist die Autorin nahe bei Martin Buber und seinem dialogischen Prinzip, der Mensch als das auf das Du angewiesene Wesen, der ohne das Du nicht zum Ich werden kann.
Immer wieder gibt die Autorin Rechenschaft über ihr Schreiben und macht damit Lust, ihre früheren Bücher erneut oder zum ersten Mal zu lesen. Genauso unverkrampft wie sie über ihren Glauben redet, redet sie über ihre Arbeit als Schriftstellerin. Sie weiß, wie schwer es ist, „wirklich von sich zu sprechen“. Aber wer wahrgenommen werden will, darf sich nicht verbergen, erst recht nicht: sich verleugnen. So fügen sich die einzelnen Texte, zu unterschiedlicher Zeit und zu unterschiedlichen Anlässen verfasst, zu einer Poetologie Felicitas Hoppes zusammen. Mehr noch: Sie fügen sich zum Bild einer Dichterin zusammen, die ihren Lesern nichts an Erkenntnissen voraus hat, die mit uns zur Wahrheit und zur Aufrichtigkeit unseres Lebens unterwegs ist.
Hier ist nun auch der Ort, etwas zum Titel des Buches zu sagen: Er bezieht sich auf Christophorus, den Lieblingsheiligen der Autorin. Die Legende geht kurz gefasst so: Reprobus, ein großer, starker Mann, sitzt in seiner Hütte am Fluss und wird von einem Kind gebeten, über den Fluss getragen zu werden. Der Fährmann setzt sich das Kind auf die Schulter und trägt es durch den Fluss. Während er durch das Wasser watet, wird die Last immer schwerer.
Bei Felicitas Hoppe heißt es: „Denn er trägt kein Kind, sondern das Gewicht einer Welt.“ Nicht der Fährmann trägt das Kind, sondern das Kind, Christus, trägt ihn. Nach diesem Erlebnis hat Reprobus den Namen Christophorus, Christusträger, erhalten. Paradoxa wie dieses, dass derjenige, der das Kind trägt, in Wahrheit von ihm getragen wird, finden sich bei Felicitas Hoppe mehrfach.
Jürgen Israel
Jürgen Israel ist Publizist und beratender Mitarbeiter der "zeitzeichen"-Redaktion. Er lebt in Neuenhagen bei Berlin.