Bestes Trinkwasser läuft hierzulande aus dem Hahn. Und zwar so lange, bis wir zudrehen – oder auch nicht. Dabei bestehen nur drei Prozent allen Oberflächenwassers aus Süßwasser. Da zwei Drittel davon als Eis in den Gletschern und Polkappen gebunden sind, bleiben Mensch und Natur nur ein Prozent. Was Süßwasser so unvergleichbar kostbar macht, ist indes nicht nur seine Knappheit, wie der Wissenschaftsjournalist Reinhard Lassek beschreibt.
Wer sich noch an den Geometrieunterricht erinnert, kennt den „Satz des Thales“. Doch der vorsokratische Naturphilosoph dachte nicht nur über Dreiecke und Kreise nach. Um 585 vor Christus fasste er zusammen, warum es für die Biosphäre keinerlei Nachhaltigkeit ohne Wasser geben kann: „Es ist das Wasser“, so Thales von Milet, „das in verschiedenen Formen die Erde, die Atmosphäre, den Himmel, die Berge, die Götter und Menschen, die Landtiere und Vögel, das Gras und die Bäume und Tiere bis hinab zu Würmern, Fliegen und Ameisen bildet. Sie alle sind nur unterschiedliche Formen des Wassers. Meditiert über das Wasser!“
Weniger durch allgemeine Meditation, sondern vielmehr durch spezielle Forschungen ist Thales in seiner Bewertung des „kostbaren Nass“ von den modernen Naturwissenschaften weitgehend bestätigt worden – wenn auch die Akzente heutzutage etwas anders gesetzt werden. In der Tat, Wasser ist von elementarer Einzigartigkeit. Doch welche Eigenschaften machen es zum prägenden Molekül des blauen Planeten? Und was macht Wasser so unentbehrlich für biologische Prozesse?
So elementar Wasser für alle Lebensvorgänge ist, in physikalisch-chemischer Hinsicht ist es kein Element, sondern ein zusammengesetztes Molekül. Nämlich eine Verbindung der beiden Elemente Sauer- und Wasserstoff. Wie bereits die Strukturformel H2O offenbart, verbinden sich jeweils zwei Wasserstoff-Atome (H von Hydrogenium) mit einem Sauerstoff-Atom (O von Oxygenium). Wasserstoff ist das einfachste und leichteste aller chemischen Elemente des Universums, Sauerstoff hingegen das häufigste Element auf Erden. Im gasförmigen Zustand sind sowohl Wasser- als auch Sauerstoff weitgehend durchsichtig, farb-, geruch- und geschmacklos. Erst jene Verbindung, die wir Wasser nennen, macht die Erde zum blauen Planeten, ermöglicht jene bunte lebendige Vielfalt, die wir als Evolution beschreiben können und als Schöpfung bewahren wollen.
Elementarer Wasserstoff besteht aus einem einzigen Atomkern, umkreist von einem Elektron. Quasi das Urelement des Universums. Denn alle schwereren Elemente – wie auch der Sauerstoff – entstammen einer Reihe von Kernfusionen. Am Anfang war der Wasserstoff, so lautete 1972 – in Anspielung auf das Johannesevangelium – der Titel eines Bestsellers. Der TV-Wissenschaftsmoderator Hoimar von Ditfurth beschreibt darin die Entstehung des Weltalls, der Erde und die des Lebens bis hin zur Evolution des menschlichen Bewusstseins. Der Wasser-Satz des Thales mutiert dabei zum Wasserstoff-Satz.
Das H2O-Molekül weist gleich mehrere Besonderheiten beziehungsweise Abweichungen in der Molekularstruktur auf, die eine Sonderstellung unter allen übrigen Stoffen begründen. Dazu gehört etwa, dass Wasser die einzige anorganische chemische Verbindung ist, die in der Natur je nach Umgebungsbedingungen sowohl als Flüssigkeit (Wasser), Festkörper (Eis) oder als Gas (Wasserdampf) vorkommen kann.
Eine Besonderheit des Wassers ist auch die sogenannte Dichteanomalie. Im Gegensatz zu allen übrigen Stoffen ist Wasser im festen Aggregatzustand, also als Eis, leichter als in seiner flüssigen Form. Die maximale Masse bei geringstem Volumen erreicht Wasser bei etwa vier Plusgraden Celsius. Ein Phänomen, das im Winter für einen zyklischen Austausch von Wasserschichten sorgt, so dass beispielsweise ruhende Gewässer ab einer bestimmten Tiefe auch im härtesten Winter niemals ganz einfrieren. Viele Lebewesen können daher problemlos auf dem Grund zugefrorener Flüsse, Teiche und Seen überwintern.
Spezielle Frostschutz-Proteine
Um zu verhindern, dass bei Frost die körpereigenen Wassermoleküle zu Eis erstarren und die Zellen zerreißen, haben manche Tiere zudem spezielle Frostschutz-Proteine entwickelt. Einige Frosch- und Schildkrötenarten können sogar bis zu 65 Prozent ihres Körperwassers vereisen lassen, ohne daran zugrunde zu gehen. Eine Besonderheit ist auch, dass Wassermoleküle ein sogenanntes Dipolmoment aufweisen: Sie gleichen quasi winzigen Magneten und können daher andere Stoffe auseinanderdividieren und in Lösung nehmen. Es gibt nahezu keinen Stoff, der nicht wenigstens geringfügig wasserlöslich wäre. In reiner Form kommt Wasser in der Natur deshalb auch kaum vor. Selbst „Marmor, Stein und Eisen“ gehen mehr oder weniger leicht in wässrige Lösung. Natürliches Wasser weist deshalb stets ein gewisses Sortiment an gelösten Salzen, Säuren, Basen und Gasen sowie auch organischen Verbindungen auf. Kein Wassertröpfchen ist somit mit einem anderen identisch. Folglich hat auch jedes Schneesternchen eine minimal abweichende, individuell einzigartige kristalline Struktur.
Der lebenden Zelle ermöglicht jene Lösungsfähigkeit des Wassers eine höchst differenzierte Zu- und Abfuhr von chemischen Stoffen. Ohne dieses Lösungsvermögen gäbe es weder Wachstum noch Zersetzung. Im lebenden Organismus erfüllt Wasser daher die vielfältigsten Funktionen. Immer steht es im Zentrum des Daseins.
Allein von der Menge her dominiert Wasser sowohl die anorganische als auch die organische Natur. So elementar Wasserstoff und so häufig Sauerstoff auch sind, Wasser im Sinne von Trinkwasser ist eine Rarität. Salzwasser indes gibt es genug: Es bedeckt 71 Prozent der Erdoberfläche. Jene 29 Prozent Land werden von Ozeanen umspült, die ein Gesamtvolumen von etwa 1,3 Millionen Kubikkilometern aufweisen. Auf Erden besteht somit 97 Prozent allen Oberflächenwassers aus Salzwasser. Die übrigen drei Prozent sind Süßwasser, wobei zwei Drittel davon im Gletscher- und Polareis gebunden sind. Mensch und Natur steht somit gerade einmal ein Prozent allen Wassers als Süßwasser zur Verfügung.
Schmelzen die Gletscher sowie Polkappen aufgrund des Klimawandels ab, gehen zugleich zwei Drittel aller Süßwasserreserven in den Weiten der salzigen Fluten verloren. Während Meerwasser durchschnittlich einen Salzgehalt von 3,5 Prozent aufweist, enthält Süßwasser weniger als 0,1 Prozent an gelösten Salzen. Bei starker Verdunstung führt daher jede üppige Bewässerung mit Süßwasser unweigerlich zur Versalzung der Böden. Wüsten nachhaltig zum Blühen bringt nur, wer tröpfchenweise bewässert. Im Laufe eines Jahres verdunsten auf der Meeresoberfläche über 400 000 Kubikkilometer Wasser. Kämen nicht drei Viertel aller Niederschläge wieder direkt in die Ozeane zurück, würden die meisten Böden versalzen, während sich die Ozeane entsalzen. Aber auch jenes Wasser, das auf dem Festland niederregnet und nicht sogleich wieder verdunstet oder versickert beziehungsweise organisch eingebunden wird, gelangt letztendlich irgendwann über die Flüsse wieder zurück ins Meer.
Wie schon erwähnt, die organische Natur wird nicht nur funktional, sondern auch rein mengenmäßig vom Wasser dominiert: So enthält eine „normale“ lebende Zelle etwa achtzig Prozent Wasser. Einige Pflanzenarten bestehen sogar bis zu 95 Prozent aus Wasser. Den Rekord halten Quallen mit 98 Prozent. Bei höheren Tieren und dem Menschen liegt der Wassergehalt immerhin zwischen sechzig und 75 Prozent. Keine höhere Pflanze und kein höheres Tier kann für längere Zeit unter Wassermangel oder Wasserentzug existieren. Säugetiere und der Mensch dürfen beispielsweise nicht mehr als zwölf bis 15 Prozent ihres Wassers verlieren, sonst sterben sie. Niedere Tiere wie etwa Einzeller oder Rundwürmer können dagegen unter Umständen sehr viel Wasser abgeben und in einer Art Trockenstarre mitunter Jahrzehnte überleben.
Ihren Wasserbedarf decken Organismen nicht nur durch die unmittelbare Aufnahme von Flüssigkeit, sondern auch durch wasserreiche feste Nahrung. Bei der Oxydation von Nahrungs- und Reservestoffen kann vor allem Fett und Eiweiß zur Wassergewinnung genutzt werden. Wüstentiere nutzen beispielsweise oft körpereigene Gewebe als Wasserreservoir – erinnert sei an die Kamelhöcker. Durst macht sich beim Menschen übrigens schon bei 0,5 Prozent Wasserverlust bemerkbar. Bei fünf Prozent reagiert der Organismus bereits mit Fieber, bei acht Prozent kommt es zu den ersten lebensbedrohlichen Erscheinungen: Die Speicheldrüsen setzen aus, die Haut färbt sich blau. Und bei zehn Prozent unter dem Sollwert ist der Mensch bereits nahezu bewegungsunfähig. Ein Wasserverlust von zwölf bis 15 Prozent bedeutet den sicheren Tod.
Wasser ist zudem in evolutionärer Hinsicht die Wiege allen Lebens. Erste Lebensbausteine und Organismen entstanden, wie schon Charles Darwin anmerkte, vermutlich in einem „warmen Teich“. Die weitere Evolution spielte sich über viele Millionen Jahre lang in den Urozeanen ab. Landlebewesen wie der Mensch haben jedoch in gewisser Weise jenen Urozean mit an Land genommen: Das menschliche Körperwasser entspricht in der mittleren Zusammensetzung immer noch dem Meerwasser. Jede einzelne der Milliarden und Abermilliarden menschlichen Zellen trägt in ihrem eigenen winzigen Wasserreservoir quasi ein Tröpfchen Erinnerung an den Ursprung. Wasser ist nicht nur die Wiege der Evolution. Wir alle haben uns über Monate im Wasserbett der mütterlichen Fruchtblase gerekelt und entwickelt. Unsere vorgeburtliche Ernährung wurde über die Nabelschnur des mütterlichen Blutkreislaufes gesichert. Und unser erster eigenständiger Schluck Flüssigkeit war daher auch nicht etwa Muttermilch, sondern Wasser – nämlich Fruchtwasser.
Fruchtwasser statt Muttermilch
Die überragende Bedeutung des Wassers für alles Lebendige ist dem Menschen zweifellos immer schon bewusst gewesen. Selbst an Orten, wo es im Überfluss vorhanden war und selbst zu Zeiten, in denen der fahrlässige Umgang mit dieser kostbaren Ressource gang und gäbe war. Aber noch nie gab es ein wissenschaftlich so fundiertes Wissen, wie sehr diese Lebensressource bedroht ist.
Die globale Erwärmung sorgt dafür, dass es selbst hierzulande bereits zu land- und forstwirtschaftlich besorgniserregenden Trockenjahren mit eklatanten Grundwasserspiegelabsenkungen kommt. Neben Wassermangel wird Wasserverschmutzung zu einem zentralen Problem der Menschheit. Die Verschmutzung betrifft sogar die ungeheuren Salzwassermengen der Ozeane. Was die raren Süßwasservorkommen anbelangt, so stellt verunreinigtes Trinkwasser global bereits die mit Abstand größte Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. Wir Mitteleuropäer genießen immer noch den Komfort, dass wir nahezu beliebig viel Trinkwasser verbrauchen können – und sei es auch nur, um unser Auto damit zu waschen.
Zu den wichtigsten Risikofaktoren hinsichtlich der Verschmutzung zählt hierzulande vor allem die Anreicherung von Nitrat aus Düngemitteln. Probleme bereiten vermehrt auch die Rückstände von Medikamenten. Auch müssen unsere Klärwerke immer mehr gegen Verunreinigungen durch Mikroplastik ankämpfen. Auf lange Sicht verschmutzen insbesondere Ölrückstände unser Trinkwasser: Ein Liter Rohöl macht eine Million Liter Trinkwasser dauerhaft unbrauchbar. Die Liste der Verunreinigungen ließe sich mühelos ergänzen – etwa durch Schwermetalle, Pestizide und so vieles andere mehr. Doch diese kleine Auswahl macht bereits deutlich, wie sehr wir unser Trinkwasser tagtäglich belasten – und zwar wider besseren Wissens. Wie kann es nur sein, dass wir ausgerechnet unser Lebensmittel Nummer eins so maßlos verachten, dass wir es permanent vergeuden und vergiften?
Reinhard Lassek
Reinhard Lassek ist Wissenschaftsjournalist. Er lebt in Celle.