Religionsunterricht (RU) lebt aus der persönlichen Zeugenschaft der Unterrichtenden. Das Besondere des Faches liegt darin, dass nicht eine „neutrale“ Unterrichtung über Religion geboten, sondern die Einladung erfahren wird, eigenen Glauben nebst Zweifeln und Distanzen im Gegenüber zur Positionalität eines lebenserfahrenen religiösen Menschen zu entwickeln.
Umso irritierender nimmt sich der diesem Buch vorausgeschickte Befund aus, welche Nebenrolle die Konfessionalität in der akademischen Behandlung des RU bislang spielt. Wie der Titel ankündigt, schließt Antonia Lüdtke im praktisch-theologischen Diskurs eine Lücke.
Im Zeichen erodierender Volkskirchlichkeit und der damit verbundenen religiösen Pluralisierung der Gesellschaft kann Konfession formal nicht mehr so selbstverständlich postuliert werden, wie es vor Jahrzehnten möglich schien, als die geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen des RU geschaffen wurden. Unter den von Konfessionslosigkeit geprägten heutigen Umständen bildet Konfessionalität einen „polarisierenden Containerbegriff“, der nach gesellschaftlich und pädagogisch plausibler Füllung verlangt.
Lüdtke überzeugt nicht allein durch mehrperspektives Herangehen, sondern mit einem ambitionierten eigenen Ansatz: Religiöse Pluralität möchte die Kieler Doktorandin vermitteln durch eine Pluralität der unterrichtenden Personen. Das programmatische Schlagwort heißt „dialogische Konfessionalität“; gemeint ist damit ein gemeinsames und abwechselndes Unterrichten von Vertretern verschiedener Bekenntnisse, die ihre persönliche Glaubensprägung jeweils positionell vermitteln, den unredlichen Anspruch der „Äquidistanz“ vermeiden, in der Kooperation aber reale Vielfalt zur Geltung bringen. Unterrichtsinhalte werden gemeinsam bestimmt. Ein ansprechendes Konzept, das nota bene die kirchlich Verantwortlichen herausfordert, ihr eigenes Proprium offensiv herauszuarbeiten. Wie sehr es empirisch am erkennbaren Profil des Evangelischen fehlt, weiß Lüdtke darzulegen.
Offen bleibt, weshalb die Autorin in ihrem grundsätzlich ansprechenden Vorschlag eines kooperativ-multikonfessionellen RU allein auf staatliche Lehrkräfte abhebt. Gerade kirchlich bestallte Lehrkräfte, sprich: Schulpfarrerinnen und Schulpfarrer, ebenso aber Gemeindepfarrer mit nur wenige Stunden umfassendem Unterrichtsdeputat, verkörpern doch den pädagogischen Mehrwert des Konfessionellen. Im Erleben der Schüler macht es einen Unterschied, ob sie mit einem Lehrer zu tun haben, der fachlich kompetent und mit kirchlicher Vocatio versehen, aber eben im Kern Lehrer ist – oder mit einem Kirchenvertreter, der aus seiner außerschulischen Berufswelt authentisch berichtet. Was Glaubenspraxis ist, kann nun einmal der am besten vermitteln, der selbst Hinterbliebenen in deren Trauer beigestanden oder Alltagskonflikte im Licht des Evangeliums bearbeitet hat. Lüdtkes Absage an die „Kirche in der Schule“ dürfte theologisch und pädagogisch stärker reflektiert sein. Die schulische Präsenz jüdischer oder muslimischer Geistlicher könnte das kooperative Modell zusätzlich beleben. In einer konzeptionellen Betrachtung des Bildungsauftrags des Religionsunterrichts verdiente die Institution der Schulseelsorge einen angemessenen Fokus.
Zu fragen ist auch, ob die konfessionelle Vielfalt des RU real nicht mancherorts längst weiter reicht als Lüdtkes Erwägungen. An berufsbildenden Schulen wird der RU seit Jahren im Klassenverband erteilt – weniger auf anspruchsvoller theoretischer Basis als aus Rücksicht auf pragmatische Belange des Schulsystems. Gute Theorie kann da nicht schaden. Maßgebliches dazu liefert dieses Buch.
Klaus Beckmann
Dr. Klaus Beckmann ist Schulpfarrer und Gefängnisseelsorger in Ludwigshafen.