Wichtige Pionierin

Die Theologin Christiane Renner und das Phänomen Kirchentag
Christiane Renner
Foto: Claudia Hofmair

Christiane Renner hat eine umfassende Dissertation über den Deutschen Evangelischen Kirchentag geschrieben. Damit leistet sie wichtige Pionierarbeit.

Mein Weg zum Theologiestudium und zur Promotion verlief wenig geradlinig und mit einigen Anstiegen, so wie die Landschaft, aus der ich ursprünglich stamme. Am Rande der Schwäbischen Alb bin ich zunächst ohne kirchlichen Bezug aufgewachsen. In den Sommerferien ging es als Kind zwar ins Zeltlager der Kirchengemeinde, und durch eine Schulfreundin kam ich mit der Jugendgruppe der Landeskirchlichen Gemeinschaft in Berührung. Meine Eltern staunten dann aber nicht schlecht, als ich ihnen in der zwölften Klasse am Küchentisch eröffnete: „Ich will Theologie studieren.“

Die Begegnungen mit pietistischer Frömmigkeit in meiner Jugend warfen Fragen auf, und auch das Paradiesvogel-Gefühl in der Jugendgruppe haftete mir eine ganze Zeit lang noch an. Ich war froh, dass in meinem Theologiestudium in Neuendettelsau, Helsinki, Berlin und Tübingen ein ganz anderer Wind wehte. Auch mein Religionslehrer am Gymnasium ermutigte mich und lag mir während der gesamten Oberstufe immer wieder in den Ohren: „Christiane, Du bist klug. Du kannst reden. Du hast eine Überzeugung. Gute Pfarrerinnen und Pfarrer braucht die Welt, willst Du nicht?“

Das Zutrauen in meine Fähigkeiten hat mich beeindruckt. Ich habe schließlich gerne und leidenschaftlich Theologie studiert. Endlich hatte ich Zeit, mich allen Fragen zu widmen, die mich beschäftigten. Am liebsten hätte ich immer weiter studiert, doch das Examen rückte näher. Da kam mir ein praktisch-theologisches Seminar, geleitet von Kristian Fechtner, Birgit Weyel und Peter Bubmann, zum „Gemeinde auf Zeit“-Projekt der EKD gerade recht. Da stellten die Doktorand*innen ihre Arbeiten vor, die mich faszinierten. Als „Gemeinden auf Zeit“ standen dort zum Beispiel Tourismusseelsorge und Riesenchorprojekte im Fokus. Die empirische Blickrichtung der Arbeiten überzeugte mich: Da wurde nicht gleich normativ etwas gesetzt, sondern genau hingeschaut, was ist, und dann erst ein Abgleich mit der Theorie gesucht. So kam man dann zu weiterführenden Schlüssen. Schon während dieses Seminars dachte ich bei mir: „Hey, das wär’s doch, wenn Du auch so etwas machen könntest.“

Am Rande kam in diesem Tübinger Seminar dann die Frage auf, ob nicht auch der Kirchentag zu den „Gemeinde auf Zeit“-Formaten gehören müsste. Da aber „Gemeinde auf Zeit“ eine feste Projektgruppe war, fiel diese Frage dort unter den Tisch. Nicht so bei mir, denn für mich war damals der Deutsche Evangelische Kirchentag biografisch wichtig geworden. Im Jahre 2003 war ich zum ersten Mal im Alter von 15 Jahren auf dem Ökumenischen Kirchentag in Berlin gewesen, seitdem hatte ich bereits vier Kirchentage mit Lust und Leidenschaft erlebt. Es arbeitete in mir: „Kirchentag! Wäre das nicht ein Thema für eine Dissertation?“ Im Gespräch mit Professor Peter Bubmann in Erlangen nahm diese Idee Gestalt an. Er ermutigte mich direkt und sagte: „Sehr gut. Sie schreiben die Arbeit, die ich schon immer schreiben wollte!“ Glücklicherweise ergab sich dann auch die Möglichkeit, von der bayerischen Landeskirche ein Stipendium zu erhalten, was mir die Dissertation auch in finanzieller Hinsicht ermöglichte.

Die erste Zeit als Promovendin war hart, denn ich stand morgens auf, setzte mich an den Schreibtisch und fing an. Abends war ich dann oft unglücklich, weil ich nicht so viel geschafft hatte, wie ich wollte. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass zum Erstellen einer solch umfangreichen Arbeit auch gehört, nicht alles zweck- und zielorientiert rezipieren zu wollen, sondern mit Offenheit immer wieder den eigenen Horizont zu weiten. Und außerdem muss man nicht immer morgens früh anfangen – da sind die Menschen eben verschieden! So kam ich nach einer Weile ins produktive Arbeiten und konnte die Dissertation in einem Zeitraum von vier Jahren abschließen.

Mit meiner Arbeit „Phänomen Kirchentag. Event, Hybrid, Gemeinde? Praktisch-theologische Erkundungen“ verfolge ich das Ziel, das Phänomen Kirchentag für den kirchentheoretischen Diskurs zu erschließen. Denn bisher – es ist kaum zu glauben – gibt es nur eine Arbeit, ebenfalls eine Dissertation, die vor 25 Jahren den Kirchentag zum Thema hatte. Seitdem ist viel Zeit vergangen. Mir war es deshalb zunächst wichtig, in meiner Arbeit den Kirchentag möglichst umfassend empirisch zu erschließen. Das heißt, ich habe prozessgenerierte Daten der Kirchentage 2013 bis 2017 in Hamburg, Stuttgart und in Berlin/Wittenberg analysiert, also Veröffentlichungen und Produkte des Kirchentages gesichtet, zusammengestellt und ausgewertet. Hinzu kommen Beobachtungsprotokolle, die beim Kirchentag 2017 in Berlin/Wittenberg entstanden sind. So werden die prozessgenerierten Daten noch um eine Perspektive des Erlebens erweitert.

Diese beiden empirischen Säulen meiner Arbeit erlaubten mir umfangreiche Kategorisierungen, die schließlich eine gegenstandsbezogene, eigene Theorie des Kirchentages ermöglichte. Die bringe ich dann im zweiten Hauptteil meiner Arbeit mit einschlägigen kirchentheoretischen Reflexionen ins Gespräch. Dabei konnte ich eine Fülle von unterschiedlicher Perspektiven in den wissenschaftlichen Diskurs einbringen. Dazu zählen vielfältige Elemente der Organisation des Kirchentages, aber auch das Medieninteresse am Kirchentag und – das ist besonders eine Entwicklung im Zuge der Digitalisierung – der eigenen Mediatisierung von Kirchentagen. Hier habe ich an ausgewählten Beispielen rekonstruiert, wie der Kirchentag sich selbst in den Medien darstellt. Ein zentraler Begriff des Kirchentags ist der Event-Begriff. Es ist ein Anliegen meiner Arbeit, diesem besonderen Begriff auch wissenschaftlich fundiert „Futter“ zu geben. Meine Dissertation leistet deshalb viel Pionierarbeit, denn bisher ist der Kirchentag weder für die Kirchentheorie erschlossen worden noch dort sichtbar gewesen.

Als wichtiges Ergebnis meiner Arbeit möchte ich festhalten, dass der Kirchentag auf jeden Fall auch „Kirche“ ist. Auf Grund der eigenen Formen, die sich auch von dem abheben, was man landläufig kirchenrechtlich oder dogmatisch unter Kirche versteht, ist das durchaus auch mal strittig. Aber am Kirchentag lässt sich in besonderer Weise der Ereignischarakter von Gemeinde aufzeigen. Das habe ich erfahren und das in so umfangreicher Weise darzubieten, war schön und beglückend und wird hoffentlich auch für andere gut und hilfreich sein!

Aufgezeichnet von Reinhard Mawick

 

Literatur

Christiane Renner: Phänomen Kirchentag – Event, Hybrid, Gemeinde? Praktisch-theologische Erkundung. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2020, 356 Seiten, Euro 32,–.

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