Ganz ehrlich: Autobiografien von Professoren gehören nicht zu meiner bevorzugten literarischen Gattung. Sie sind meist sehr akademisch gehalten mit ausführlichen Paraphrasen gehaltener Vorträge und verfasster Bücher des Autors. Stets betonen sie, welche bekannten Menschen der Autor getroffen und in welchen wichtigen Gremien und Organisationen er mitgearbeitet hat, so dass ich mich als Leser dann immer frage: Gab es eigentlich auch ein Privatleben neben der Universität und dem Schreibtisch? Alles das trifft zwar auch auf das vorliegende Buch zu. Doch das Schöne und eher Seltene an dieser Autobiografie ist, dass es ihr gelingt, hinter dem Professor auch den Privatmensch Lähnemann immer wieder durchblicken zu lassen.
Wer sich hierzulande für den interreligiösen Dialog engagiert, der kommt an Johannes Lähnemann nicht vorbei. Und wer das als Lehrerin oder Lehrer unternimmt, der erst recht nicht. Denn der fast 80-jährige Lähnemann ist seit Jahrzehnten ein Pionier dieses Dialoges, insbesondere im religionspädagogischen Bereich. Dialog mit Andersglaubenden, das heißt für ihn zunächst einmal Begegnung. Und diese geschieht in einer Haltung der Neugier und der unablässigen Bereitschaft zum Staunen: „Am Anfang der Begegnung mit dieser ungeheuer vielgestaltigen Religiosität sollte das Staunen stehen – vor jedem Kategorisieren und Urteilen.“ Diese Tugend des Staunens hat aus Lähnemann einen permanent Lernenden gemacht, was die beste Voraussetzung ist, um für zahllose Menschen auch ein guter Lehrer zu sein.
Das schönste Kompliment, das ihm als Lehrer gemacht wurde, stammt von dem britischen Rabbiner David Rosen, der im Jahre 2000 mit Bezug auf ihn aus der hebräischen Bibel zitierte: „Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz.“ Bis zu seiner Emeritierung hatte der leuchtende Lehrer Johannes Lähnemann jahrzehntelang den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Universität Erlangen-Nürnberg inne. In den 1980er-Jahren initiierte er die bekannten, bald internationalen Nürnberger Foren und war Delegierter sowie Kommissionsleiter bei der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden (WCRP, später „Religions for Peace“ genannt). Als solcher ist er viel in der Welt der Religionen herumgekommen.
Sein Lebensbericht ist auch ein Who is Who der interreligiösen Szene weltweit. Dieses Buch ist daher für jeden ein Gewinn, der sich als Theologe oder/und Pädagoge für den Dialog mit Andersglaubenden interessiert und den Lehrbuchcharakter weiter Passagen dieses Buches nicht scheut. Doch, wie gesagt, auch der Privatmensch scheint immer wieder hervor, nicht zuletzt in den Abbildungen, die freilich viel zu klein geraten sind. Wir lernen auch Lähnemann kennen, den passionierten Hornbläser, Segler, Schwimmer, Inlineskater, Bahnfahrer und Prediger auch bei interreligiösen Feiern. Zudem ist er ein echter Familienmensch. Und er lässt die Leser Anteil nehmen an dem Verlust seiner ersten Ehefrau Susanne 2004. Zu den tragenden Texten für Lähnemann zählen Worte Bonhoeffers aus „Widerstand und Ergebung“, die er am Ende zitiert: „Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen.“ Diese Freiheit hat Johannes Lähnemann in beeindruckender Weise als Lehrer und als Mensch in der Begegnung gelebt.
Martin Bauschke
Martin Bauschke ist Theologe und Religionswissenschaftler. Er wohnt in Berlin.