Rettet die Kunst in der Kirche!

Warum die Gemeinden jetzt großzügig sein sollten
Foto: EKDKultur/Schoelzel

Gegenwärtig zeigt sich eine unheimliche Gemeinsamkeit von Kunst und Religion: In der Krise fallen sie aus. Ein Kunstwerk zu zeigen, einen Glauben zu feiern – das sind öffentliche Akte, die in Pandemien untersagt werden. Außerdem gehören die jeweiligen Akteure nicht zu den systemrelevanten Berufen: Musiker sind keine Ärzte, Pastorinnen keine Polizistinnen.

Doch zeigt sich gegenwärtig auch: In einer Krise sind Kunst und Glaube besonders wichtig. Sie verbinden Menschen über die erzwungenen Distanzen hinweg, trösten und geben neuen Mut. Aber hier gilt es, einen Unterschied zwischen den Akteuren zu beachten: Bei den einen läuft das Gehalt weiter, bei den anderen fällt die Entlohnung aus. Auf der einen Seite die festangestellten Kirchenmusikerinnen, Pastoren (Museumsdirektorinnen, Theaterintendanten etc.), auf der anderen Seite die freien oder halbfreien Organistinnen, Sänger etc. – aber auch Reiseführerinnen und Seminarleiter in der (kirchlichen) Erwachsenenbildung – und nicht zu vergessen das technische Personal. Wenn Konzerte, Gottesdienste und Kurse abgesagt werden, kann das für unverzichtbare Kolleginnen und Kollegen existenzgefährdend werden.

Deshalb wäre es ein so wichtiges Zeichen, wenn Kirchengemeinden die vereinbarten Entlohnung auszahlen würden, wenn es ihnen möglich ist – vor allem nach Bedürftigkeit. In vielen Fällen dürfte das kein Problem sein, weil zum Beispiel gottesdienstliche Orgeldienste im Haushalt berücksichtigt sind und nicht über Eintrittspreise finanziert werden. Übrigens, oft gibt es hier Verabredungen, die bindend sind: Ein Handschlag, eine verbindliche Terminfestlegung sollte nicht nur bei ehrbaren Kaufleuten, sondern auch bei Kirchengemeinden etwas gelten. Aus gutem Grund raten einige Landeskirchen, wie die Berlin-Brandenburgische, in Rundschreiben den Kirchengemeinden zu Kulanz. Andere, wie die Landeskirche Mitteldeutschlands, haben hierzu schon genauere Handlungsempfehlungen erarbeitet. Einzelne Landeskirchenmusikdirektoren haben zudem vorgeschlagen, pauschal 50 Prozent der verabredeten Entlohnung auszuzahlen. Es gibt also schon verschiedene praktische Vorschläge.

Schön wäre es, wenn alle kirchlichen Akteure – Kirchengemeinden und -kreise, Landeskirchen und die EKD, ein gemeinsames Signal der Solidarität aussenden könnten. Natürlich erwartet niemand einen kirchlichen Rettungsschirm. So etwas lässt sich nur über Schuldenaufnahmen finanzieren, was der Kirche so nicht erlaubt ist. Aber ein gebündeltes „Ihr seid es uns wert!“ könnte einiges bewegen. Dazu könnte man die eigenen Töpfe einer Prüfung unterziehen, auch wenn ich natürlich weiß, dass große Einbußen für die ganze Kirche kommen werden.

Nun kann man es aber auch anders versuchen und schauen, was von unten entsteht. Da bietet das Anarchische und Kleinteilige der evangelischen Kirche einige Chancen: Viele Kirchengemeinden zahlen wie selbstverständlich, versuchen für ihre Passionsoratorien Spendenkampagnen à la #ichwillkeingeldzurück, sprechen mit Sponsoren. Die guten Ideen sollte man aber sammeln, sortieren und austauschen. Auch die staatlichen Hilfen müssten in der Kirche bekannter sein und in der Verantwortung für die Freiberuflichen besser genutzt werden. An entsprechenden Petitionen, die gerade durchs Netz laufen, kann man sich beteiligen, um das Bewusstsein für diese Themen zu erhöhen.

Eine Hilfe für die Freiberuflichen ist übrigens nicht nur gut gemeint, sondern eine kluge Investition. Ohne die ungezählten freien/halbfreien/teilbeschäftigen Kolleginnen und Kollegen ist eine kirchliche Zukunft nach Corona nicht denkbar. Man könnte sich von bösen Kapitalisten wie Netflix inspirieren lassen: Der Streamingdienst hat, ohne zu zögern, einen gigantischen Fonds aufgelegt, um seine kreativen Zulieferer zu bezahlen, obwohl die meisten von ihnen gerade nicht drehen dürfen. Denn in diesen Menschen sieht die Firmenleitung die Zukunft des Betriebs. Hier sind keine Gremien am Werk, die Verantwortung vermeiden, sondern Unternehmer mit einem Blick über die Krise hinaus.

Wenn diese Krise vorüber sein wird, dann ist es Zeit, sich ernsthaft über die Kirche, die Kunst und das liebe Geld auszutauschen. Über Fragen wie: Welche Verträge haben wir miteinander abgeschlossen? Oder: Welche Vereinbarungen sind wir eingegangen und damit welche Verantwortung füreinander? Und: Zahlen wir angemessen und anständig? Mir scheint, dass viele Kirchenkonzerte zu günstig berechnet sind. Von staatlich subventionierten Konzerten ist man bestimmte Preise gewöhnt (viel mehr können viele Besucher auch nicht bezahlen). Sie sind in der Kirche aber nur möglich, wenn man die Musiker entsprechend bescheidener entlohnt – und diese im wahrsten Sinne des Wortes dennoch mitspielen. Das sollte den Zuhörenden bewusst sein. Ich weiß, ich weiß, damit öffne ich ein großes, tiefes Fass. Auch habe ich keine Lösung anzubieten, keinen Netflix-Fonds zur Verfügung. Aber mir scheint, dass die Krise uns dazu nötigt, bisherige Regelungen noch einmal ehrlich anzusehen.

Jetzt aber ist es wichtig, dass an vielen Orten spürbar Solidarität geleistet wird.

 

Links:

https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/eckpunkte-corona-soforthilfe.pdf?__blob=publicationFile&v=4

 

Hilfsprogramme der Länder:

https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/laender-soforthilfen.html

 

Hilfsprogramme des Bundes:

https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/hilfen-fuer-kuenstler-und-kreative-1732438

 

Hilfsprogramm der GEMA:

https://www.dmv-online.com/de/fuer-mitglieder/interne-news/single//gema-nothilfe-programm-fuer-mitglieder/

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Foto: EKDKultur/Schoelzel

Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen ist seit 2016 Kulturbeauftragter der EKD. Zuvor war er Propst und Hauptpastor in Hamburg.


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