Einmal Gemeinschaft, bitte!

Foto: Markus Konvalin in Lizenz der BRmedia Service Gmbh

Um uns vor Corona zu schützen, wird unser Leben auf ein Minimum eingekocht. Das ist nachvollziehbar. Aber es rührt an all das, was unser Leben liebens- und lebenswert macht.

In einer denkwürdigen Szene von Monty Pythons Kultfilm „Das Leben des Brian“ rief das Volk schäfchengleich: „Ja, wir sind alle Individuen!“, „Ja, wir sind alle völlig verschieden“. Nur einer rief: „Ich nicht!“ Vierzig Jahre alt ist der Film nun. Individualisierung als Kennzeichen unserer postmodernen Gesellschaft – an dieser These hat sich seitdem kaum etwas verändert. Brav wie Monty Pythons Volk haben wir jahrelang wiederholt: „Ja, es geht den Menschen vor allem um die persönliche Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung.“ „Ja, früher da hat die Gemeinschaft noch etwas gezählt.“ Wer würde das groß bezweifeln? Ich freilich auch nicht, bis zum Mittwochabend.

Am vergangenen Mittwochabend fand ein sehr merkwürdiges Konzert statt: Mit dem britischen Sänger James Blunt auf der Bühne der Hamburger Elbphilharmonie – vor komplett leeren Rängen. Kannte ich die sogenannten Geisterspiele im Fußball schon als erzieherische Maßnahme gegen Vereine oder ihre Fans, hatte ich ein solches Geisterkonzert noch nie gesehen. Der Grund für das fehlende Publikum war freilich die aktuelle Krone der viralen Bedrohungen: Corona.

Nun ging es in den vergangenen Tagen ja gefühlt allem an den Kragen: Sportturnieren, Messen, Theatervorstellungen. Sogar den Bielefelder Gottesdiensten und den evangelischen heiligen Kühen, Synoden. Alles gecancelt oder verschoben, damit nicht zu viele Menschen aufeinandertreffen. Dass wir uns zudem so oft wie möglich die Hände waschen sollen, anstatt sie uns zu geben oder uns gar zur Verabschiedung zu umarmen, ist uns schon fast in Fleisch und Blut übergangen.

Fast. Denn so groß das Verständnis für all die verschiedenen Schutzmaßnahmen ist, so sehr keimt auf einmal ein neues Gefühl auf: Die ganzen Absagen und die Zurückhaltung rühren an all das, was unser Leben liebens- und lebenswert macht. Und das sind – Überraschung! gerade jene Momente, in denen ich mich als Teil einer Gemeinschaft erlebe, in denen ich mit anderen Zeit verbringe, gemeinsam unterwegs bin und Erlebnisse teilen kann. Darin fühle ich mich lebendig und menschlich und nicht in diesem auf ein Minimum eingekochten Leben, in dem ich am besten viel Zeit mit mir allein und ohne Kontakt zu anderen verbringen soll.

James Blunt hat sich dafür entschieden, sein Konzert nicht abzusagen, sondern es stattfinden zu lassen – auf einer riesigen Bühne in diesem riesigen, komplett stillen Haus. Ohne Applaus, ohne Einstimmen in die Lieder, ohne Raunen oder Rufen oder Räuspern. James Blunt ließ dafür im Livestream statt der 2100 eigentlich vorgesehenen Besucher der Elbphilharmonie zeitweise mehr als zwanzigtausend Menschen zuschauen, online, auf der ganzen Welt. Und die sparten nicht mit Zeichen ihrer Verbundenheit mit dem Sänger und mit allen, die wie auch immer unter Corona gerade leiden. Unzählige Begeisterungsstürme in allen Sprachen, Smileys und Herzen schickten sie James Blunt virtuell auf die Bühne. Und immer wieder der Dank, sie alle zumindest auf diese Weise zusammenzubringen.

Wir sind alle Individuen. Ja, gewiss, und vor allem solche mit einem starken Hang zur Gemeinschaft.

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Stefanie Schardien

Dr. Stefanie Schardien ist Pfarrerin in Fürth seit Mai 2019 eine der Sprecherinnen des "Wort zum Sonntag".


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