Entgegensetzungen

Blick in die Gegenwart

Schon der Titel von Justus Geilhufes Buch Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche macht klar, dass sein Autor gern in starren Gegensätzen denkt. Hier die Kirche, dort die Gesellschaft, hier der heilvolle Ort des Gottesglaubens, dort der heillose Hort des Atheismus – so ungefähr lautet die Aufteilung der Welt, in der sich der promovierte sächsische Pfarrer, Podcaster und Autor eingerichtet hat. Im Hintergrund dieses diastatischen Denkens, das ans konservative Luthertum des 19. Jahrhunderts erinnert, stehen lebensgeschichtliche Prägungen.

Geilhufe, geboren 1990, hat seine Kindheit und Jugend als Pfarrerssohn in Ostdeutschland verbracht. Gleich zu Beginn des Buchs erzählt er von der frühen Konfrontation mit den nach 1989 im Osten omnipräsenten Phänomenen des Rechtsextremismus und der sozialen Verwahrlosung. Den elterlichen Pfarrhof am Rande Dresdens zeichnet er im Gegensatz dazu – nicht selten grenzt sein Stil ans Pathetische und Kitschige – in paradiesischen Farben. Dort, so seine kindliche Erfahrung, war alles in guter Ordnung, während der Rest der Gesellschaft in Chaos und Gewalt zu versinken drohte. Letzteres führt er nun auf den staatlich verordneten Atheismus der DDR-Zeit zurück, demgegenüber sich die Kirche als Statthalterin „der alten Wahrheit, der alten Güte und Schönheit des Glaubens“ bewährt habe. Als solche, darauf will Geilhufe hinaus, muss sie sich auch heute bewähren, weil die Gesellschaft im „Zeitalter des Geldes“ ebenso vom Atheismus durchdrungen sei wie zu DDR-Zeiten. Die Vielfalt gegenwärtiger Religionskulturen blendet er dabei aus.

Exemplarische Szenen

Exemplarische Szenen sollen dennoch die atheistische Signatur unserer Gegenwart vor Augen führen. Geilhufe berichtet etwa von einem Freund, der ihm nach dem Misslingen einer polyamoren Beziehung sein Leid klagt, und er besucht eine freie Trauung, die er als vollkommen sinnentleert empfindet. In beiden Fällen sieht er einen ökonomisierten Selbstverwirklichungsdrang am Werk, der sich von althergebrachten Lebensweisen emanzipieren möchte, ohne deren Verlässlichkeit und Tiefe je erreichen zu können. Geradezu hämisch registriert Geilhufe das Scheitern dieses Selbstverwirklichungsdrangs, aus dem bei ihm natürlich die Überlegenheit der christlichen Tradition folgt. Allein: Dass er an der monierten Oberflächlichkeit der geldgeprägten Gesellschaft auch selbst Anteil hat, zeigen die ständigen Erwähnungen der Ralph-Lauren-Hemden, Ray-Ban-Brillen und protzigen Geländewagen, die er in den geschilderten Szenen aufträgt und fährt. Das hätte ihn zum Nachdenken anregen können.

Redundant ist aber nicht nur das Aufzählen solcher Statussymbole, zu denen auch erlesene Reiseziele (wie Sylt, Biarritz, Princeton) gehören. Darüber hinaus wiederholt Geilhufe gebetsmühlenartig die in ihrer Bedeutung nie näher beleuchtete Trias vom Guten, Wahren und Schönen, das die Kirche zu bewahren habe und nur bewahren könne, wenn sie sich nicht mit dieser Welt gemein mache. Solches Gemeinmachen wirft er dem politisierten Protestantismus der Gegenwart vor, der den Menschen ethisch perfektionieren wolle, anstatt ihn mit seinen Widersprüchen anzunehmen. 

Geilhufes Kritik trifft an dieser Stelle durchaus einen wichtigen Punkt. Nur ist es erstens fraglich, ob gerade die evangelische Kirche in der DDR als Vorbild eines unpolitischen Protestantismus taugt. Zweitens scheint sein Gegenprogramm zur „atheistischen Gesellschaft im Zeitalter des Geldes“ geradewegs in einen reformatorisch kaum begründbaren Ritualismus und Klerikalismus hineinzuführen. Entlarvend ist an dieser Stelle die Beschreibung einer Reise zum römischen Requiem für Benedikt XVI., in der Geilhufe sich höchst begeistert von den Soutanen der Priester zeigt. Diese Begeisterung passt zu einer anderen Stelle des Buchs, die ein Hohelied auf die Amtstracht des Talars anstimmt. Wird am Ende also die Rückkehr zu klerikalen Hierarchien gepredigt, um die Menschen aus dem Sog vermeintlich gottloser Selbstverwirklichungswünsche zu befreien?

Geilhufes Buch lebt von den Entgegensetzungen, die es betreibt. Man ist gut beraten, sie nicht mitzumachen.

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Karl Tetzlaff

Karl Tetzlaff ist promovierter Systematischer Theologe und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie/Ethik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.


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